Wie gefährlich ist der Mai 2024?

06.05.2024

Rolf Ehlhardt - Foto: © I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH

An der Börse herrscht eine gefährliche Sorglosigkeit. Weiter hohe oder sogar steigende Zinsen werden genauso wie fallende Zinsen positiv für den Börsentrend ausgelegt. Diesbezügliche Annahmen können also nur negativ überrascht werden.

Es sind auch nicht die breiten Märkte die steigen, sondern es ist nur ein kleiner Teil der Werte, die den Markt nach oben ziehen. Die Probleme, die aus der höchsten Verschuldung aller Zeiten, sowie den geopolitischen Konflikten, die eskalieren könnten, sind total ausgeblendet. Es herrscht sogar FOMO!! Fear of missing out (Angst den Anstieg zu verpassen). Beste Beispiele sind Nvidia, bei denen mittlerweile ein Gewinnanstieg in den Kursen eingepreist ist, die selbst für diese Superaktie nur sehr schwer realisierbar sein wird (s. Kurs Cisco in 2000, Kurs heute), was einen weiteren Kursanstieg nicht ausschließt. Oder auch Bitcoin, die von den wenigsten verstanden werden, aber von allen (vor allem jüngeren Börsianer) gekauft werden. Bei knapp 60.000 Euro steht der Kurs. Aber für was? Ist das nur der Preis oder ist das der Wert?

Das Gegenteil findet bei den Rohstoffen und Edelmetallen statt. Denn wer hat schon eine Newmont, eine Pan American Silver oder eine Freeport im Depot? Oder Gold und Silber? Die westlichen Anleger „nutzen“ die gestiegenen Kurse zum Ausstieg aus den Edelmetallen. Die Bestände sind seit 2020 um rund 30 %zurückgegangen. Da haben viele den 50-prozentigen Anstieg zumindest teilweise verpasst. Gold hat ein neues All-time-high erreicht. Nicht nur wegen der Zinssenkungsfantasie, aber trotz der westlichen Abgaben und trotz einem in diesem Jahr festen US-Dollar. Käufer waren und sind die östlichen Notenbanken, also „starke“ Hände. Das lässt verschiedene Interpretationen zu. Aber diese Notenbanken werden vorerst nicht auf der Verkäuferseite stehen. Ein Edelmetallanteil von mindestens zehn %erscheint angebracht. Die aktuelle Konsolidierung könnte noch einmal gute Einstiegsmöglichkeiten bieten.

Die US-Wahlen im Herbst

Während die US-Wirtschaft noch immer stabil wächst, bewegt sich die europäische und hier besonders die deutsche Konjunktur am Rande der Rezession. Die Wahlen der Amerikaner im Herbst dieses Jahres werfen schon ihre Schatten voraus. Da Trump derzeit favorisiert wird, ist der Optimismus recht groß, denn Trump will ein großes Wirtschaftsprogramm auflegen, u.a. die Steuern senken. Allerdings gehen alle Versprechungen zu Lasten weiterer Schulden. Die Amis müssen heute bereits jährlich eine Billion Dollar für den Schuldendienst aufbringen, und zwar bei einem durchschnittlichen Zins von 3,1%. Aber aktuell liegen die kurzen Zinsen bei 5,25/ 5,50 % die zehnjährigen Zinsen bei etwa 4,63 %, das heißt jede Prolongation erhöht momentan den Durchschnittszins. Der jährliche Aufwand für die Schulden steigt pro ein % Zinsverteuerung um ca. 340 Mrd. Noch höher wird dieser, wenn der kommende Präsident die Verschuldung weiter in die Höhe treibt. In der zweiten Jahreshälfte dürften die seit etwa einem Jahr auf diesem Niveau liegenden Zinsen ihre negative Wirkung auf die Wirtschaft voll entfalten. Bei ersten Anzeichen einer deutlichen Abschwächung wird die Fed die Zinsen senken. Denn eine Rezession kann sich Amerika nicht mehr leisten.

Die Entscheidung könnte zu einem Zeitpunkt anstehen, wenn die Basiseffekte bei der Inflationsberechnung (hohe Inflationsraten im 1. HJ. 2023, Jan. 2023 8,7 %) auslaufen (Mai 2023 6,1 Prozent, September 4,5 % , November 3,2 %) und wir wieder steigende Inflationszuwächse registrieren, wobei sich die Teuerung schon aktuell hartnäckig bei zwei bis drei %hält. Denn steigende Energiepreise und steigende Löhne (auch wegen Personalmangel und Überalterung) werden die Inflationsraten hochhalten. Aber hohe Inflation und steigende Zinsen passen für die Börse nicht zusammen, weil beides der Wirtschaft schadet. Andererseits hohe Zinsen bei hohen Schulden passen auch nicht. Eine Schuldenbremse bremst aber das Wachstum. Hier baut sich eine nahezu unlösbare Problematik für die Notenbanken auf.

Die Fed und der US-Dollar

Für die Fed auch mit Blick auf den US-Dollar. Denn die Schulden werden Großteils mit Staatsanleihen finanziert. Große Investoren (zum Beispiel BRICS-Staaten, aber auch Japan) ziehen sich aus unterschiedlichen Gründen zurück. Also mehr Angebot bei weniger Nachfrage. Niedrigere Zinsen ließen sich nur mit Notenbankkäufen realisieren (QE 4-x). Fallende Zinsen würden die Attraktivität des Dollars weiter reduzieren. Der dadurch entstehende negative Ausblick für die Währung könnte zum Käuferstreik führen, besonders dann, wenn das Dollarrisiko größer ist als der Zinsertrag.

Genau hier liegen die Gefahren für die Börsen. Denn jede Entscheidung könnte die Börse negativ auslegen. Aber aktuell sind fast alle Teilnehmer positiv und hoch investiert. Bei Enttäuschungen werden erst die Unternehmensgewinne gekürzt, dann die Kursziele und meist auch die KGVs. Dann sind die heute schon teuren Aktien plötzlich zu teuer. Eine Abwärtsspirale könnte starten. Die heutigen Börsenstars würden besonders leiden, weil Übergewichtungen als erstes abgebaut werden. Rendite- und Trendfolgemodelle müssen reagieren. Der hohe Bestand an Derivaten kommt in Zugzwang. Der Anleger bekommt Zweifel.

Der Mai 2024 läuft daher Gefahr, seinem Ruf als „Wendemonat“ gerecht zu werden. Zwar werden die „Zahlen“ sich im Mai nicht massiv verschlechtern, eventuell aber die Meinung der Börsengurus, wenn sie ihre Prognose abgeben (meist ab Mai), welches Szenario sie zum Ende des Jahres erwarten. Für den Anleger würde es logischerweise bedeuten, die Liquidität jetzt bei steigenden Notierungen zu erhöhen. Denn ob Korrektur oder Kursstillstand, bei hoher Liquidität lebt er deutlich entspannter. Und bei einer kräftigen Korrektur hat er das Geld, um Aktien preiswerter wieder einzukaufen.

Kolumne von Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH.