Das große Schnippeln

01.02.2015

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Erst wurde viel geredet, nun werden die Folgen des LVRG Stück um Stück greifbar. Unstreitig ist, dass sich das Vergütungsumfeld für die freie Maklerschaft eintrübt und nicht mit einer Besserung zu rechnen ist. Nichts zu tun und wie gewohnt weiterzumachen ist für die Maklerschaft aus vielen Gründen die falscheste aller Konsequenzen, die aus der Situation zu ziehen ist.

Der Rotstift regiert. Vergütungen sinken, Sponsoring wird gekappt. Anstelle von aufwändigen Vertriebsveranstaltungen, wie man sie noch aus dem letzten Jahrzehnt erinnert, sind Sparbemühungen, Kostenreduktion und höhere Qualität in Beratung und Produktion angesagt. Der freie Vertrieb, so meint man, der im letzten Jahrzehnt in Einzelfällen die Aufmerksamkeit einer aufwändig bespaßten Geliebten genoss, soll heute die Rolle der sparsamen Hausfrau einnehmen, die gut haushält, kocht, bügelt und aus den Resten noch das Beste auf den Tisch bringen soll. Was ist passiert?

Die Folgen von jahrelangem Niedrigzins.

Das, was die unabhängige Maklerschaft in diesem Jahr so hart trifft, hat sich durch die angeblich „alternativlosen" Maßnahmen zur Eurorettung bereits vor längerer Zeit angekündigt. Durch die konzertierten Maßnahmen der Zentralbanken wie auch durch die Ankündigungspolitik der EZB wurden die erzielbaren Renditen von Staatsschuldtiteln, auch solchen der südeuropäischen Peripherie, auf historische Tiefst stände gesenkt. Deutsche Staatsschuldtitel rentieren seither knapp über null, manchmal kurzzeitig auch darunter.

Was den Finanzminister und seine europäische Kollegen frohlocken lässt, lässt professionelle Anleger, darunter auch die deutschen Lebensversicherer, sehr verdrießlich zurück, denn sie erwirtschaften in diesem traditionell sicheren und rentablen Bereich kaum noch Verzinsung. Zum Vergleich: 1990 rentierten deutsche 10-jährige Staatsanleihen bei rund 8,5 %, seither fiel die Rendite beständig, um erstmals am 14.08.2014 auf unter 1 % zu rutschen. Bei Staatsanleihen mit kurzen Laufzeiten kann es vorkommen, dass der Anleger negative Zinsen in Kauf nehmen muss – man zahlt drauf. Und an dieser Situation wird sich, so fast einhellig die Experten, sehr, sehr lange nichts ändern.

Kostensenkung steht im Vordergrund.

Wo früher satte risikolose Überschüsse erwirtschaftet werden konnten, wird auf absehbare Zeit am Zins-Hungertuch genagt werden müssen, und wenn weniger Überschuss aus Kapitalanlagen, die für zukünftige Versicherungsleistungen bestimmt sind, erwirtschaftet werden kann, dann muss eben gespart werden. Erschwerend kommt dabei die seit 2011 verbindliche Dotierung der Zinszusatzreserve, die die Finanzaufsicht BaFin verlangt. Die Zinszusatzreserve soll sicherstellen, dass alle Verträge aus der Vergangenheit dauerhaft bedient werden können. Die Mittel für die Dotierung der Zinszusatzreserve nehmen die Versicherer aus den laufenden Überschüssen. Laut einer Umfrage der ASSEKURATA unter deutschen Lebensversicherern mussten den Zinszusatzreserven allein 2013 ca. 7 Mrd. Euro zugeführt werden. Die Rückstellungen summierten sich in den zurückliegenden drei Jahren ab und inklusive 2013 auf über 13 Mrd. Euro. Für 2014 rechnet ASSEKURATA mit vergleichbaren Zahlen wie 2013. Darüber hinaus hinterlassen die Reduzierung der Risikogewinne und die nach der „Verordnung über die Mindestbeitragsrückerstattung in der Lebensversicherung" fällige Überschussbeteiligung der Versicherungsnehmer deutliche Spuren in der GuV und der Bilanz.

Es ist daher unschwer zu erkennen und auch unstreitig, dass die Reduzierung der Kosten im Zentrum des Interesses der Unternehmen – und mit dem LVRG auch der Politik – steht. Die Verwaltungskosten der Versicherer wurden in den letzten Jahren teilweise bereits drastisch reduziert, die Leistungsseite besteht wie sie bestehen muss und damit ist das letzte Reservat, nämlich der Vertrieb, den notwendigen Einsparungen preisgegeben.

Die Vergütungen schmelzen.

Ob es uns gefällt oder nicht – der Vertrieb wird über das Abschmelzen einiger Vergütungen seinen Teil zur „alternativlosen" Eurorettung durch Niedrigzinsen und auch zur Sicherung der Branche in diesem Zinsumfeld beitragen müssen. Gefragt hat uns niemand, die Adressaten für allfällige Beschwerden sind nicht bei den Versicherern, nicht in Berlin, sondern in Brüssel zu suchen. Die Senkung des Höchstzillmerungssatzes erzwingt eine Reaktion der Versicherer. Faktische und taktische Gründe haben verhindert, dass diese branchenweit unisono zum 01.01. 2015 erfolgte, einerseits ist die Umstellung der IT inklusive der teilweise mehreren hundert Programmabläufen von der Angebotserstellung bis zur Bilanz vielfach nicht kurzfristig möglich, andererseits hat sich die Befürchtung eingestellt, dass wer zuerst die Vergütung senkt, Umsatzanteile verlieren könnte. Die Firmenpolitik ist unterschiedlich, einige Versicherer haben sofort konsequent die Vergütungen abgesenkt, andere werden im Laufe des Jahres und mit teilweise unterschiedlichen Modellen der Aufteilung in AP und BP und teilweise Sonderformen nachfolgen. Klar ist allerdings, dass sich, solange die Zinsen nicht wesentlich und dauerhaft steigen, an den Eckdaten der Branche nichts ändern wird. Fazit: Die Vergütungen im LV-Bereich werden im Schnitt zunächst dort bleiben, wo das LVRG sie sehen will.

Freie Maklerschaft zwischen den Stühlen.

Analysiert man die Zahlen hinter dem aktuellen LV-Neugeschäft vollständig, d. h. inklusive der Dotierung der Zinszusatzreserven und allfälligen weiteren Kostengrößen, so drängt sich der Eindruck auf, dass das Neugeschäft nicht mehr so attraktiv ist wie es einmal war. Im LV-Geschäft verliert der Vertrieb, insbesondere der freie Vertrieb, durch die Entwicklungen an politischem Gewicht in der Branche – erkennbar daran, dass einzelne Versicherer die Maklerbetreuung abbauen und Direktionen schließen. Laut Schätzungen von Branchenexperten im Vertrieb macht der Anteil der freien Maklerschaft ca. 50 % des LV-Neugeschäftes sowie ca. 60 % des Biometriegeschäftes, insbesondere BU, aus. Was nach großem politischem Gewicht klingt. Ist es aber nicht, denn zu der freien Maklerschaft im vorstehenden Sinne werden nach Branchensicht auch die Großvertriebe (die mit den drei bzw. vier Buchstaben) wie auch Vergleichsplattformen gerechnet. Die Summe der Einzelmakler als Produzenten haben im Branchenkalkül ein leichteres Gewicht und eine entsprechende Bedeutung. Während der freie Maklervertrieb im LV-Bereich der im Durchschnitt vergleichsweise günstigere Vertriebskanal ist (mit nach Expertenmeinung durchschnittlichen Gesamtkosten von zwischen 40 und 50 Promille im Verhältnis zum Vertriebskanal AO mit teilweise, zu Vollkosten gerechnet, 85 bis 100 Promille), wird die Bedeutung der AO im Branchenmix tendenziell voraussichtlich zunehmen. Die Ausnahmen sind reine Maklerversicherer, die ihre Position weiterhin behaupten wollen und dies auch können.

Die Langsamkeit des Erkenntnisprozesses in der freien Maklerschaft ist derzeit die größte erkennbare Gefahr.

Es steht zu befürchten, dass manche Makler die Konsequenzen aus den Entwicklungen nicht ziehen werden, ihr Geschäft so weiter betreiben als wäre nichts passiert, noch länger ihre Stornoreserven aufbauen – und möglicherweise scheitern. So zu tun, als ob sich nichts ändert, ist falsch.

Das kommende Wettbewerbsfeld Risikopolitik.

Auch die Biometrie wird nicht von den Folgen der geschilderten Entwicklungen ausgenommen sein, wenn auch voraussichtlich nicht auf der Vergütungsebene. Der Schauplatz wird vielmehr das Risiko sein. Die Versicherer, als Gesamtbranche gesehen, werden infolge der negativen Entwicklungen im LV-Bereich ihre Erträge optimieren wollen und dies wird sich voraussichtlich auf dem Feld der Risikopolitik niederschlagen. Ein wahrscheinliches Szenario ist, dass es in absehbarer Zeit zu einer gesteigerten Risikoauswahl kommen könnte, die als Element des Preiskampfes den Markt in Qualität und Quantität verändert. Teil dieses Szenarios ist die Erkenntnis, dass derjenige, der im Bereich Biometrie möglichst nur die jeweils besten Risiken absichert, die besten Preise und/oder die relativ höchsten Vergütungen machen kann und damit eine Verdrängung auslöst, die andere dazu zwingt, den gleichen Weg zu beschreiten. Die Folge dieses Szenarios wäre eine Veränderung des Marktes in der Qualität (nur die besten Risiken wären versicherbar) und in der Quantität (folglich wären weniger Personen potenzielle Kunden des Maklers), wodurch sich infolge der potenzielle Beitrag dieser Sparte um den Gesamterlös des Maklers reduzieren könnte.

Die kommende Rolle der Pools.

Den Pools wird in Folge der aktuellen Entwicklungen eine tragende Rolle zukommen, denn Vermittler müssen einerseits in ihrer Kostenstruktur schlanker werden und andererseits trotzdem ständig wachsende formale Erfordernisse erfüllen. Pools werden zukünftig immer mehr Dienstleistungen für den freien Vermittler und Makler erbringen, die dieser selber aus Kosten- und organisatorischen Gründen nicht erbringen kann. Daraus ergibt sich für den Wettbewerb der Pools untereinander das Ziel, möglichst das gesamte Geschäft des jeweiligen Maklers im Hause zu halten und es damit, wie in einem Nullsummenspiel, anderen Pools, die der jeweilige Makler parallel nutzt, wegzunehmen. Service, Produktvollständigkeit, Leistungsvollständigkeit, aber auch Faktoren wie Bestandsgarantien, werden im Wettbewerb der Pools untereinander entscheidend sein und damit gleichzeitig die Situation des Maklers verbessern. Nichtsdestotrotz steigt dadurch auch die Kostenseite der Pools nicht unerheblich an. Wir prognostizieren daher ein Wachstum von beitrags bzw. gebührenbasierenden Poolmodellen.

Was tun?

In Anbetracht der geschilderten Umstände gilt es für den freien Makler, seine Einnahmenseite ehrlich zu durchleuchten und die Beiträge einzelner Geschäftssparten für die Zukunft zu prognostizieren. Diese Prognosen werden individuell verschieden ausfallen. Sicher ist aber, dass die Vergütungen aus dem Versicherungsbereich, wenn das Geschäft so weiter betrieben wird wie bisher, über die Jahre eher nicht wachsen werden. Im Gegenteil, das wird der durchschnittliche Fall sein. Es müssen daher Wachstumsszenarien entworfen und mit Hilfe von Produktgebern auf deren Realisierbarkeit überprüft werden.

Ein mögliches Szenario wäre die entsprechende Qualifizierung und Fokussierung auf besonders einträgliche Sparten der Versicherung sowie die dauerhafte ganzheitliche Begleitung der Kunden mit im Idealfall dem klaren Ziel – das dem Kunden deutlich kommuniziert wird – sein ganzes Geschäft zu begleiten oder andernfalls sogar darauf zu verzichten. Diese Form kann helfen, zu hoher Vertragstiefe bei weniger Zeitstreuung und damit höheren Gesamtvergütungen beizutragen.

Ein anderes Szenario wäre beispielsweise der Aufbau eines stärkeren Standbeins in der Finanzdienstleistung. Derzeit bringt sich die Investmentbranche als Alternative im Verkaufsportfolio des Maklers ins Spiel. Ihr Vorteil ist der Verzicht auf Zillmerung und vielfach auch auf Storno. AIFM-Produkte, Direktinvestments und die neu geregelten Vermögensanlagen könnten unter Erlösgesichtspunkten die Einnahmeseite des Maklers stabilisieren und ihn damit befähigen, die immer aufwändiger werdende Beratung im Versicherungsbereich weiterhin qualitativ hochwertig erbringen zu können.

Das ideale Szenario wird für jeden Makler individuell ausfallen. Und doch gilt: Nichts tun wäre der größte Fehler.

Folgen des LVRG – die aktuellen Vergütungsmodelle.

Diese Vergütungsmodelle sind uns bis Redaktionsschluss bekannt:

  • Kappung der Abschlussprovision (AP) ohne Ausgleich. Die AP wird um einen bestimmten Satz von Promille-Punkten gesenkt. Eine Veränderung der Stornohaftzeit geht in der Regel nicht einher. Die Gesamtvergütung sinkt entsprechend.
  • Kappung der AP bei gleichzeitiger Erhöhung der Bestandsprovision (BP). Die AP wird um einen bestimmten Satz von Promille-Punkten gesenkt, es erfolgt ein Ausgleich – ganz oder nur teilweise – durch Steigerung der BP für den neuen Vertrag. Die Gesamtvergütung kann, je nach Ausgestaltung, gleich bleiben oder sinken.
  • Kappung der AP bei Einführung einer laufenden AP. Die AP wird um einen bestimmten Satz von Promille-Punkten gesenkt, es erfolgt ein Ausgleich – ganz oder nur teilweise – durch eine laufende Abschlussprovision (LAP genannt), die über einen bestimmten Zeitraum gezahlt wird. Dieser Zeitraum kann von wenigen Jahren bis zur gesamten Vertragslaufzeit reichen. Die LAP wird in der Regel parallel zur BP abgerechnet, eine Stornohaftung für die LAP ist uns noch nicht bekannt. Die Gesamtvergütung kann, je nach Ausgestaltung, gleich bleiben oder sinken.
  • Veränderung der AP mittels Laufzeitfaktoren. Die AP wird bei z. B. Verträgen kürzerer Laufzeit durch die Einführung eines Laufzeitfaktors, der auf die Bewertungssumme angewendet wird, reduziert. Die Gesamtvergütung wird in der Regel sinken, dies ist jedoch von der individuellen Ausgestaltung abhängig.
  • Veränderung der AP durch Vergütungszahlungen mit nachgelagerter Entstehung von Ansprüchen. Ein Teil der AP wird als grundsätzlich über einen Zeitraum verteilte Provision umgewandelt, die vorschüssig ausgezahlt wird. Die Stornohaftzeit bleibt in der Regel bei fünf Jahren. Für bilanzierende Makler stellt sich die Frage nach der korrekten Einordnung der verteilten aber vorschüssig ausgezahlten Einordnung in die Bilanz. Die Gesamtvergütung kann, je nach Ausgestaltung, gleich bleiben oder sinken. (cs)

LVRG - Printausgabe 01/2015

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