Die Automobilbranche auf dem Prüfstand

09.10.2018

Andreas Kern, Gründer und CEO der wikifolio Financial Technologies AG / Foto: © Martina Draper

Der Automobilsektor galt in Deutschland über viele Jahre hinweg als echte Vorzeigebranche. Spätestens mit der nicht enden wollenden „Diesel-Abgas-Affäre“ hat sich das Image der Branche aber spürbar verschlechtert. Wie entwickelt sich die Automobilbranche aus Sicht der Börsianer? Wir haben bei wikifolio-Tradern nachgefragt.

Die Einbußen der Imagewerte spiegeln sich auch an den Kursen der deutschen Autoaktien wider, die in diesem Jahr einmal mehr zu den Underperformern zählen. Die Große Koalition hat nun ein so genanntes Beschlusspapier zum Streit um die Diesel-Nachrüstung veröffentlicht. Die Hoffnung, dass die Firmen dadurch mehr Planungssicherheit bekommen und Investoren wieder mehr Vertrauen gewinnen, ist bislang aber nicht erfüllt worden.

Es geht nicht nur um den Abgas-Skandal

Das dürfte auch daran liegen, dass es noch zahlreiche andere Baustellen gibt und die Geschäfte nicht wirklich rund laufen. BMW zum Beispiel schockte die Marktteilnehmer vor kurzem mit einer Gewinnwarnung. Dass diese unter anderem auf höhere Rückstellungen für Kulanz- und Gewährleistungsfälle zurückgeführt wurde, sehen Analysten gar als „Weckruf für die Branche“, auf die hier wohl noch so einiges zukommen wird. Das fürchtet auch wikifolio-Trader Wilfried Schöpges, der die Bewertung der deutschen Autobauer zwar recht günstig findet, sich gleichzeitig aber die Frage stellt, „ob die Autobauer nicht noch Jahre mit Entschädigungszahlungen konfrontiert sein werden und hierdurch zu stark geschwächt werden.“ Zudem sieht er die „China-Abhängigkeit“ der Hersteller zunehmend kritisch: „Die rein chinesischen Autofirmen werden immer stärker wachsen, was es für die deutschen Unternehmen in diesem wichtigen Markt schwieriger machen wird.“

„Aktuell mehr Risiken als Chancen“

Auch die Folgen des neuen nordamerikanischen Freihandelsabkommens zwischen den USA, Kanada und Mexiko (USMCA) könnten zu einem Problem werden. „Die weltweiten Autobauer, allen voran Volkswagen, BMW und Daimler, müssten womöglich ihre Wertschöpfungsketten anpassen und überdenken. Bis 2020 sollen rund 75 Prozent der Komponenten (bisher 62,5 Prozent) eines Pkw oder Lkw in Kanada, Mexiko oder den Vereinigten Staaten hergestellt werden. 40 bis 45 Prozent der Bauteile sollen von Mitarbeitern gefertigt werden, die mindestens 16 US-Dollar pro Stunde verdienen. Das liegt deutlich über dem Durchschnittslohn von Auto-Arbeitern in Mexiko. Demzufolge sehe ich aktuell mehr Risiken als Chancen für die Autobauer“, sagt Thomas Schreyer, der ebenfalls bei wikifolio.com aktiv ist und derzeit eher Aktien der Autozulieferer bevorzugt.

Zulieferer mit größerem Potenzial

Schreyers größter Favorit ist hier die Aktie von Continental, obwohl das Unternehmen seine Jahresziele auch schon nach unten revidieren musste. „Fundamental betrachtet ist Continental attraktiv bewertet und viele negative Aspekte sind im aktuellen Kurs mit eingepreist. Als Wachstumstreiber sehe ich die Automotive-Sparte. Der Reifensparte prognostiziere ich ein stabiles Wachstum. Langfristig bietet die Continental ein starkes Wachstumspotenzial.“ Zusätzliche Fantasie enthält das Unternehmen seiner Meinung nach durch die Positionierung beim Thema „Elektroautos“. Weil der Konkurrent Bosch aus der Zellfertigung sowie aus der Forschung für Elektroauto-Batterien weitgehend ausgestiegen sei, habe man das Feld asiatischen Unternehmen und eben Continental überlassen, die das Geschäft mit Batterien ausbauen und mit Zellherstellern aus Asien kooperieren.

Tesla wird trotz aller Kritik positiv bewertet

Natürlich muss in diesem Zusammenhang auch die in der Branche sehr kontrovers geführte Diskussion um die zukünftige Rolle von Tesla genannt werden. Deren Chef Elon Musk geriet gerade erst ins Visier der SEC. Davon unabhängig sind die beiden Trader davon überzeugt, dass sich Tesla in diesem Zukunftsmarkt behaupten wird, sofern auch zukünftig ausreichend Kapital am Markt eingesammelt werden kann. Während Schöpges auf „einige Jahre Vorsprung in der Technologie“ sowie eine „feste Fangemeinde“ (wie bei Apple) verweist, spricht Schreyer unter anderem den „klaren Kostenvorteil“ durch einen geringeren Anteil an Kobalt an, dessen Preis in den vergangenen Jahren massiv gestiegen ist: „Während der Anteil bei Tesla bei 2,8% liegt, benötigt die restliche Branche durchschnittlich rund 8%. Tesla hat vor allem mit strategischen Kooperationen mit beispielsweise Panasonic einen erheblichen Einfluss auf Entwicklung und Produktion der Batteriezellen. Die Batterie eines Elektroautos stellt derzeit rund 40% des Wertes eines Elektroautos dar. Dies sind sehr gute Voraussetzungen, um sich weiter im Markt zu etablieren.“

Autor: Andreas Kern, Gründer und CEO der wikifolio Financial Technologies AG