Die Schwarze Null ist nicht mehr heilig

28.10.2019

Michael Reuss, geschäftsführender Gesellschafter der Huber, Reuss & Kollegen Vermögensverwaltung / Foto: © Huber, Reuss & Kollegen

Die Politik des billigen Geldes verfängt immer weniger, selbst die Notenbanker gestehen dies inzwischen ein. Jetzt soll es die Fiskalpolitik richten. In Deutschland wird sogar die Schuldenbremse in Frage gestellt.

Als Anfang Juli bekannt wurde, dass Christine Lagarde neue EZB-Chefin und damit Nachfolgerin von Mario Draghi wird, knallten in den südeuropäischen Ländern die Sektkorken. Binnen weniger Sekunden sanken die Renditen zehnjähriger italienischer Staatsanleihen um einen Zehntel Prozentpunkt. Bei spanischen Anleihen war der Abschlag ähnlich und auch in Griechenland gingen die Zinsen, die das Land bezahlen muss, zurück. Das Signal der Märkte war eindeutig: Mit der 63-jährigen Französin dürfte die ultralockere Geldpolitik der Draghi-Ära fortgeführt und eventuell sogar noch ausgeweitet werden. Noch vor Lagardes Nominierung hatte Draghi die weitere Marschrichtung vorgegeben: „Wir gehen davon aus, dass der Leitzins mindestens bis Mitte 2020 auf dem gegenwärtigen oder einem niedrigeren Niveau bleibt.“ Mitte September beschloss die EZB, die Negativzinsen, die Banken auf ihre Einlagen bei der Notenbank zahlen müssen, von 0,4 auf 0,5 Prozent anzuheben. Der Leitzins verblieb bei null Prozent.

Dennoch hat die EZB ein riesiges Problem: Die Wirtschaft im Euroraum kommt nicht in Schwung, das Wachstum beträgt gerademal 1,2 Prozent. Vor allem aber verharrt die Inflationsrate seit Jahren weit unter der Zielmarke von 2,0 Prozent. Immer offensichtlicher wird, dass die Notenbanken mit ihrer Politik des billigen Geldes an ihre Grenzen stoßen. „Die Versprechen der Notenbanker hinsichtlich des angepeilten Inflationsziels funktionieren nicht“, räumt Draghi-Berater Vitor Constancio, Ex-Vize­präsident der EZB, ein. Eine höhere Geldentwertung wäre aber aus mehreren Gründen wichtig. Vielleicht der wichtigste: Eine höhere Inflation würde die zum Teil enormen Schuldenberge der Staaten automatisch abschmelzen lassen.

Da die Geldpolitik in Sachen Wachstum und Inflation versagt, wird seit kurzer Zeit der Ruf nach staatlichen Ausgabeprogrammen und anderen fiskalpolitischen Maßnahmen immer lauter. Um die Wirtschaft in Gang zu bringen, sei eine entschlossene Fiskalpolitik viel wichtiger als niedrige Zinsen, betonte EZB-Chef Draghi im Sommer. Die Notenbanken sehen sich ohnehin in erster Linie der Geldwertstabilität verpflichtet. Der Zustand der Wirtschaft ist aus ihrer Sicht primär Sache der Regierungen.

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