Die Schwarze Null ist nicht mehr heilig

28.10.2019

Michael Reuss, geschäftsführender Gesellschafter der Huber, Reuss & Kollegen Vermögensverwaltung / Foto: © Huber, Reuss & Kollegen

Deal zwischen EZB und Berlin?

Besonders interessant sind Gedankenspiele, wonach es zu einem Deal zwischen der EZB und der Bundesregierung kommen könnte. Wenn Deutschland über Steuererleichterungen und Ausgabeprogramme die Wirtschaft stützt, könnte die Zentralbank auf eine weitere geldpolitische Lockerung verzichten. Ob es soweit kommt ist völlig unklar, Charme haben solche Überlegungen aber durchaus. Auf der einen Seite würde es die EZB von der einseitigen Last befreien, immer noch extremere Maßnahmen ergreifen zu müssen, um Konjunktur und Inflation nach oben zu bringen. Auf der anderen Seite könnte Deutschland im Zuge substanzieller fiskalpolitischer Programme seinen Kritikern etwas entgegensetzen. Diese monieren seit langem, dass Deutschland zu wenig für den heimischen Konsum tue und sich stattdessen in enormen Handelsbilanzüberschüssen sonne. Ein Vorwurf, der nicht von der Hand zu weisen ist. Denn die deutschen Waren, die im Ausland überproportional stark gekauft werden, lassen hierzulande zwar die Gewinne steigen, bei den Handelspartnern jedoch die Schulden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht sogar „eine mittelfristige Bedrohung der globalen Finanzstabilität“, sollten Deutschlands Überschüsse weiter steigen. Insbesondere US-Präsident Donald Trump könnte wohlwollend auf fiskalische Anreize aus Berlin reagieren, wenn dadurch die US-Ausfuhren nach Europa steigen. Zölle auf deutsche Autos und andere Exporte, mit welchen Trump immer wieder droht, könnten damit vom Tisch sein. Hinzu kommt: Je stärker in Deutschland die Binnennachfrage ist, umso weniger abhängig ist das Land von seinen Exporterfolgen – und damit auch von den Auswirkungen diverser Handelskonflikte.

Die Diskussion um neue fiskalpolitische Programme ist nicht auf Deutschland begrenzt. So überlegen die Niederlande, bis zu 50 Milliarden Euro neue Schulden für Infrastruktur- und Bildungsprojekte aufzunehmen. Auch Südkorea will mit einem großen Konjunkturprogramm die Investitionen ankurbeln und in den USA denkt Trump über Steuersenkungen im Wahljahr 2020 nach.

Es ist klar erkennbar, dass in den vergangenen Monaten die Debatte um fiskalische Anreize entflammt ist, zumal es angesichts historisch niedriger Zinsen weltweit und einer niedrigen Inflation finanzpolitische Spielräume gibt. Für die Aktienmärkte ist das tendenziell ein gutes Zeichen. Wenn neben der ultralockeren Geldpolitik nun noch fiskalpolitische Programme hinzukommen, um eine Rezession zu verhindern und die Konjunktur zu stützen, dann dürfte dies auch den Aktienmärkten zugutekommen. Qualitativ hochwertige Unternehmen mit etablierten Geschäftsmodellen und einer soliden Dividendenrendite bleiben in diesem Umfeld erste Wahl.

Kolumne von Michael Reuss, geschäftsführender Gesellschafter der Huber, Reuss & Kollegen Vermögensverwaltung in München