Jetzt tickt die Uhr – Was müssen Russland-Anleger beim Umtausch von ADRs beachten?

02.09.2022

Maximilian Weiss LL.M., Rechtsanwalt und Geschäftsführer Weisswert Rechtsanwaltsgesellschaft mbH / Foto: © Weisswert

Wer nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine Hinterlegungsscheine auf Aktien russischer Emittenten im Depot hatte, muss um sein Investment bangen. Hinterlegungsscheine wie ADRs, GDRs und DRs können weder verkauft noch getauscht werden. Es drohen freihändige Verkäufe. Doch es gibt seit Mitte Juli ein neues Gesetz aus Russland. Ist dies die Lösung aller Probleme?

Russische Wertpapiere erfreuten sich in deutschen Depots bislang außerordentlich hoher Beliebtheit. Dies ist auch nicht verwunderlich, wenn man sich die Performance diverser Werte vor Augen führt. Ob Gazprom, Lukoil, Nornickel oder Sberbank: Russische Wertpapiere standen bislang hoch im Kurs bei deutschen Anlegern und waren zuverlässige Dividendenbringer. Durch den Krieg in der Ukraine hat sich dies schlagartig geändert. Deutsche Anleger sind regelmäßig nicht in den russischen Originalaktien investiert, sondern in Hinterlegungsscheinen, denen russische Aktien zugrunde liegen. Zu den Hinterlegungsscheinen gehören ADRs (American Depositary Receipts), GDRs (Global Depositary Receipts) oder EDRs (European Depositary Receipts). Der Clou dabei: Investoren konnten auf diese Weise bislang mittelbar in russische Aktien investieren, ohne über ein Depot in Russland verfügen zu müssen.

Infolge des Krieges und diverser Sanktionspakete ist der Handel mit den Hinterlegungsscheinen allerdings nicht mehr möglich. Mehr noch: Wer Hinterlegungsscheine besitzt, erhält keine Dividenden und hat auch kein Stimmrecht. Als wäre dies nicht genug, drohen zudem freihändige Verkäufe. Investoren müssen vor diesem Hintergrund mit enormen Verlusten rechnen. Während mache Broker versucht haben, Lösungen für einen Umtausch in russische Aktien zu entwickeln und dies in bestimmten Zeiträumen auch gelang, sind vielen Investoren, nicht zuletzt in Deutschland, weiterhin die Hände gebunden. Wer es „vom Westen“ her plant, muss mit allerlei Hürden rechnen. Mal hat es Probleme mit Blick auf den russischen Zentralverwahrer NSD gegeben, mal war es die Girosammelverwahrung, mal eine Verwahrstelle, mal der Broker. Und viel zu oft kämpfen Anleger mit mehreren Hürden zugleich. Die Lage ist weiterhin dynamisch. Was heute gilt, kann morgen wieder nicht gelten. Für viele Investoren ist diese Situation nicht nur unbefriedigend, sondern in hohem Maße nervenaufreibend.

Liebesgrüße aus Moskau: Hoffnung auf Umtausch von ADR – oder nicht?

Was also ist zu tun, wenn man sein Investment nicht abschreiben möchte? Große Hoffnung gab vielen Anlegern ein neues Gesetz, welches das russische Parlament am 14. Juli 2022 verabschiedet hat. Hiernach können Hinterlegungsscheine auch ohne die Unterstützung westlicher Kreditinstitute und Broker in russische Originalaktien umgetauscht werden, und zwar im Wege der „Zwangskonvertierung“. Die Investoren müssen hierzu in Russland entsprechende Anträge stellen. Wer das Prozedere erfolgreich bewältigt, wird belohnt. Nach der Konvertierung sind Verkäufe der Hinterlegungsscheine nicht mehr zu befürchten. Auch können die Investoren Dividenden vereinnahmen, und zwar mit Blick auf diverse Wertpapiere, so etwa Gazprom, auf Rekordniveau. Nach Ende des Krieges und Aufhebung der Sanktionen – so die Idee – können die Originalaktien auch wieder verkauft werden. Was aber als „russischer Weg“ unter Anlegern für Furore sorgte, erweist sich in der Praxis als „russischer Irrweg“.

Die Frist läuft ab – und die Anforderungen sind abenteuerlich

Die Gründe für den Irrweg sind vielfältig: Die Frist für den Umtausch ist kurz. Zu kurz. Sie läuft bis zum 12. Oktober 2022. Was nach viel Zeit klingen mag, immerhin beträgt der Zeitraum seit Juli 2022 drei Monate, ist bei Lichte betrachtet ein aussichtsloses Unterfangen. Als Mitte Juli 2022 das Gesetz verabschiedet wurde, haben die Depotbanken in Russland zunächst einmal viele Wochen verstreichen lassen, bevor sie dem Anlegerpublikum überhaupt mitteilten, welche Unterlagen nun in welcher Form konkret einzureichen sind. Die Uhr tickte derweil unaufhaltsam.

Als schließlich eine Depotbank nach der nächsten mit Informationen herausrückte, folgte die große Ernüchterung. Die Anforderungen sind abenteuerlich hoch. Nur ein skurriles Beispiel: Eine Depotbank verlangt etwa, dass ein Dokument zum Nachweis der Inhaberschaft der ADR nicht älter als 14 Tage sein darf, und zwar dies gerechnet ab dem Tag der Einreichung des Antrags in Russland. Nun muss man wissen: Allein der Transport – die Dokumente müssen im Original eingereicht werden – dauert für gewöhnlich mindestens 14 Tage. Doch damit nicht genug. Wer Nachweise von seinem Broker verlangt, muss zusehen, dass diese verwertbar sind. Schließlich müssen zahlreiche Unterlagen, so auch Nachweise zur Inhaberschaft, von einem Notar beglaubigt werden, etwa dass die Unterschrift von einer vertretungsberechtigten Person des Brokers stammt. Im Anschluss daran ist eine Haager Apostille zu erteilen. Zuständig hierfür wiederum ist das jeweilige Landgericht.

Selbst wenn man die Unterlagen vollständig zusammengetragen hat und diese beglaubigt sowie apostilliert sind, müssen diese nicht nur nach Russland transportiert, sondern vor Ort ins Russische übersetzt werden. Übersetzen soll zudem nicht irgendwer, sondern ein beeidigter Übersetzer. Einen gemeinsamen Standard haben die Depotbanken bei alledem nicht entwickelt. Nicht zuletzt ist auch die Eröffnung eines Rubelkontos angezeigt. Ohne eine professionelle Unterstützung besitzen Anleger bei dieser Gemengelage so gut wie keine Chance. Der Passierschein A38 lässt grüßen.

Vorsicht vor unseriösen Angeboten bei ADR-Umtausch

Gerade weil die Lage komplex ist, bieten diverse Rechtsanwaltskanzleien ihre Dienste an, um Anleger bei dem Umtausch von ADR in Aktien zu unterstützen. Hier ist Vorsicht geboten, wem man sich anvertrauen möchte. Wer seine ADR umtauschen möchte, sollte sich trotz der angespannten Situation nicht unter Druck setzen lassen, sondern sich sorgfältig informieren und abwägen. Auch nach dem 12. Oktober kann der Umtausch von ADR in Aktien schließlich gelingen. Nur für den russischen Irrweg ist es zu spät.

ADR-Umtausch: Vorbereitung ist die halbe Miete

Die Lage ist alles andere als aussichtslos. Insbesondere können Investoren Vorkehrungen treffen, um im Falle neuer Möglichkeiten des Umtauschs, mithin von westlicher Seite her, sofort handeln zu können. Als Beispiel hierfür sei die Lagerstellenumlegung genannt. Ebenfalls bietet es sich an, C-Depots sowie Rubelkonten einzurichten. Auch bietet es sich an, entsprechende Anträge schon vor einer offiziellen Mitteilung des Brokers zu stellen. In der Vergangenheit zeigte sich schließlich, dass ein Umtausch oftmals nur innerhalb einer kurzen Frist möglich war. Wer die Hürden nicht bereits im Vorfeld aus dem Weg räumte und entsprechende Voraussetzungen schuf, lief Gefahr, die jeweils gesetzte Frist zu verpassen. Es gilt, vorbereitet zu sein.

Trotz aller Widrigkeiten besteht die berechtigte Hoffnung, dass der Umtausch von ADR gelingt. Es ist bereits in vielen Fällen gelungen und es wird auch weiterhin gelingen. Allerdings sollten Investoren keine Hoffnung mehr in den russischen Weg setzen. Dieser ist und bleibt ein Irrweg.

Gastbeitrag von Maximilian Weiss, LL.M. (Northwestern), Rechtsanwalt und Geschäftsführer von Weisswert Rechtsanwaltsgesellschaft mbH