Gebremste Freiheit

25.08.2021

Wolfgang Thust, Vertriebs- und Rhetoriktrainer, Keynote-Speaker und Buchautor

Während der Vorbereitung zu meinem letzten Buch „Irrgarten Glück“ habe ich fast sieben Jahre Forschungen zu den persönlich wichtigen Werten unserer Mitmenschen betrieben. Der mit weitem Abstand am häufigsten genannte Begriff war der Wert „Freiheit“. Mit diesem wichtigen Wert Freiheit habe ich mich in den letzten Monaten intensiv auseinandergesetzt. Vielleicht fragen Sie sich jetzt schon, was hat bitteschön der Begriff Freiheit mit meinem Hauptthema Verkauf und Vertrieb zu tun. Ich musste in den letzten vier Jahrzehnten feststellen, dass gerade Verkäufer und Führungskräfte im Vertrieb sehr häufig durch persönliche Einstellungen zur Freiheit auf ihrem großartigen Weg zu besonderen Erfolgen immer wieder gebremst wurden.

Im Besonderen sind es unsere Gedanken, die diese Bremsen anziehen und damit unser Handeln beeinflussen. Wir alle führen jeden Tag unzählige Selbstgespräche, also Gedankenkonstrukte, mit denen wir uns regelmäßig beschäftigen. So denken wir sehr häufig, oft vielfach jeden einzelnen Tag: Was denken die Anderen, wenn ich das mache, wenn ich sage, wenn ich das frage und so weiter… Wir wissen zwar nicht, was der Andere denkt, aber wir denken, er könnte so oder so denken und machen dann einfach nicht das, was wir ohne diese, unsere Gedanken getan hätten. Eine enorme Einschränkung, eine große Bremse, die unser Weiterkommen und unsere Erfolge beeinträchtigt.

Zum Beispiel in einem Verkaufsgespräch: Viele Verkäufer trauen sich einfach nicht, direkt auf einen Abschluss zuzusteuern, also konkrete Abschlussfragen zu stellen. Grund ist meist: Was könnte mein Gegenüber über mich denken? Gleiches gilt für die Frage nach den Empfehlungen. Die beste Chance unser Geschäft kontinuierlich auszubauen ist, immer und jeden nach Empfehlungen zu fragen. Dazu hatte ich für meine Geschäftspartner bestfunktionierende Werkzeuge entwickelt und diese mit ihnen trainiert. Wenn ich dann bemerkte, dass bei vielen Kollegen zu wenig Empfehlungen mitgenommen wurden und ich recherchierte, dann war immer der Hauptgrund, dass einfach nicht danach gefragt wurde. Warum? Der Geschäftspartner traute sich nicht, er dachte, was könnte mein Kunde über mich denken.

Das gleiche Spiel wiederholt sich genauso beim Rekrutieren neuer Geschäftspartner. Was könnten die Angesprochenen denken, wenn ich so oder so vorgehe? Es geht um die Argumente oder den Weg der Ansprache. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, dass diese Bremse besonders stark ist in einem persönlichen Gespräch, wenn ich also meinem Gesprächspartner gegenübersitze, während in den sozialen Medien, z. B. bei Instagram diese Bremse überhaupt nicht vorhanden ist. Dort wird oft auf die billigste Art auf die Teilnehmer geballert. Dort scheint man zu vergessen, dass dies mindestens genauso imageschädigend ist wie alles andere, ja, oft noch viel schlimmer, denn dort ist es meist für ewig festgeschrieben. Genau um dieses persönliche Image geht es den meisten Zeitgenossen, wenn sie denken: Was denkt der Andere über mich? Und das hat etwas mit dem eigenen Selbstwertgefühl zu tun und von der eigenen Überzeugung von dem, was man da tut!

Wir sind soziale Wesen und sind oft abhängig von anderen Menschen, mehr oder weniger. Wir denken, wie denken die über uns, wir wollen gemocht werden, wir wollen geliebt werden. Und genau deshalb benehmen wir uns nicht wie wir es wollen, wie wir fühlen und erreichen genau das Gegenteil. Mit einem authentischen Verhalten kommen wir deutlich weiter. Sich eben nicht zu verstellen, klare Meinungen zu beziehen und zu dem zu stehen, was man tut. Der Ausweg ist gleichzeitig auch der Weg hin zu Erfolg und Glück, einfach keine Rollen mehr zu spielen. Freiheit zu erreichen, dass wir nicht danach leben, was Andere (vielleicht!) von uns denken. Stück für Stück unser Selbstbewusstsein weiter auszubauen durch authentisches Leben. So wie der Bayer sagt: „I bin I!“

Zur Person

Wolfgang Thust, Jahrgang 1946, ist Vertriebs- und Rhetoriktrainer, Keynote-Speaker, Buchautor sowie Gründer der Stiftung Helping Hand – wir helfen Kindern in Not. Nach seiner Karriere als Architekt in Frankfurt beginnt er 1975 seine Laufbahn in der HMI, dem Strukturvertrieb der Hamburg-Mannheimer. Innerhalb von nur fünf Jahren wird er HMI-Generalrepräsentant und erhält damit die allerhöchste Auszeichnung der Organisation. 2012, nach über 36 Jahren, verlässt er das Unternehmen, das inzwischen ERGO Pro heißt. Heute teilt er sein Wissen in eigens entwickelten Schulungen und Seminaren.