Wie ein Streamingdienst den Medienmarkt aufmischte

22.12.2023

Fotos: © Timon/Diego - stock.adobe.com

„Wenn das Geheimnis von Starbucks ein Lächeln ist, wenn man seinen Cappuccino bekommt... dann ist unseres eine Webseite, die sich an den individuellen Geschmack des Nutzers anpasst.“ Reed Hastings, einer der Gründer des Medienunternehmens Netflix, war sich seiner Rolle schon früh bewusst. Seit dem Start im Jahr 1997 als DVD-Verleih per Post hat sich der Konzern strategisch kontinuierlich dem milliardenschweren Film- und Medienmarkt angepasst und avancierte zum börsennotierten Unterhaltungskonzern mit weltweit rund 13.000 Mitarbeitern.

Netflix wurde 1997 in Kalifornien von dem Unternehmer Marc Randolph und dem Mathelehrer, Informatiker und Softwareentwickler Reed Hastings gegründet. Die beiden Visionäre hatten die Idee, den Billionen-Dollar-schweren Medienmarkt aufzumischen und die Filmauswertung nicht nur den traditionellen Playern wie Filmstudio, Verleih, Verkauf, Videothek und TV-Sendern zu überlassen. Die Blütezeit der Videotheken war gerade am Ausklingen, als dem Medium DVD der Durchbruch gelang und damit für die gute alte VHS-Kassette das Totenglöckchen geläutet wurde. Zur gleichen Zeit entwickelte sich das Internet immer weiter und es entstanden zwielichtige Webseiten, auf denen sich ebenso umsonst wie illegal Filme herunterladen ließen. Das dauerte zwar mit einem ISDN-Modem mitunter tagelang und die Bildqualität war katastrophal, doch das Interesse an Filmtiteln, ob alt oder aktuell, war zu dieser Zeit massiv.

Ein verlockender Markt, den Hastings und Randolph den etablierten Playern nicht einfach überlassen wollten. Wie also ließe sich der Konsumenten-Hunger nach Video-Ware stillen? Wo war die Marktlücke zwischen DVD-Verkauf, Videoverleih und Downloads? Randolph wollte zunächst über das noch junge E-Commerce-Unternehmen Amazon VHS-Kassetten verkaufen. Mit der Markteinführung der deutlich schlankeren DVD begannen die beiden Gründer, sich testweise diese Medien hin und her zu schicken, um Transportzeiten und -gefahren einzuschätzen. Hastings wird gerne zitiert mit der Anekdote, er hätte beschlossen, Netflix zu gründen, weil er in seiner Videothek 40 Dollar nachzahlen musste, da er den Film „Apollo 13“ nicht rechtzeitig abgegeben hatte. Wie dem auch sei: Das „Konzept Netflix“ – die einfache, legale, dezente und zuverlässige Belieferung des Home-Entertainment-Bereichs mit Filmstoff – war geboren. 2,5 Mio. US-Dollar investierten die Gründer als Startkapital, mit 30 Mitarbeitern und einem Sortiment von 925 Filmen startete die Online-DVD-Vermietung per Post. „The Best Way You Rent Movies“ war der markante Claim in den ausklingenden 90ern – plus dem Hinweis, dass bei zu später Filmabgabe keine Gebühren anfielen.

Anfängliche Stolpersteine und die Dotcom-Blase

Bis Juli 1999 kamen für das Start-up insgesamt 30 Mio. Dollar Risikokapital zusammen. Zur gleichen Zeit entwickelte man sehr innovativ und adaptiv das erste Monatsabo-Modell. Gegen einen Festbetrag von 20 Dollar bestellte der Kunde drei DVDs per Post, die er dann in dem bereitgestellten Briefumschlag an Netflix zurückschickte. Das Flatrate-Konzept war so einleuchtend wie erfolgreich, dass man das Einzelmietmodell Anfang 2000 einstellte. Als kreativ wurde auch die Gestaltung der Abo-Verträge eingestuft, da alle anfallenden Kosten (Versand- und Bearbeitungsgebühren) mit einem Pauschalbetrag abgegolten waren. Im Jahr 2000 – als Netflix trotz seiner nun 300.000 Abonnenten immer noch rote Zahlen schrieb und der Versand seiner DVDs von externen Postdienstleistern abhängig war – wollten die beiden Gründer ihr Geschäft an die amerikanische Video-Kette Blockbuster für 50 Mio. US-Dollar verkaufen. Der Deal kam nicht zustande. Netflix überlebte auch – trotz mangelnder Profitabilität bis Mitte der 2000er Jahre – die Dotcom-Blase.

Das Film-Empfehlungs-Prinzip

Einer der wichtigsten geschäftlichen Entscheidungen war der Auf- und Ausbau eines Online-Filmkatalogs. Das Unternehmen verzichtete auf Ladengeschäfte, sondern bot stattdessen den Kunden einen kuratierten und personalisierten Katalog. Dies bedeutete, dass jeder Benutzer in jedem Teil des Landes Zugriff auf die gesamte Netflix-Bibliothek hatte, anstatt nur auf die Titel beschränkt zu sein, die die nächstgelegenen Videotheken führten. Dies ermöglichte es den Benutzern auch, in aller Ruhe von zu Hause aus nach jenen Filmen zu suchen, die sie sehen wollten. Und gleichzeitig wurden hier die wegweisenden Weichen gestellt für das Prinzip der kundenorientierten Empfehlungs- und Werbeplattform. Im Jahr 2002 verschickte Netflix rund 190.000 DVDs pro Tag an seine über 670.000 Abonnenten. Kein Wunder, dass der Konzern zu diesem Zeitpunkt seinen Börsengang einleitete: 5,5 Millionen Stammaktien wurden im Mai 2002 zu einem Preis von 15 US-Dollar je Aktie verkauft. Im Juni 2002 wurden weitere 825.000 Stammaktien zum gleichen Preis an Investoren abgegeben. Nachdem Netflix bis dahin den Jahresumsatz immer im Minus abgeschlossen hatte, kam es im Geschäftsjahr 2003 zum ersten Gewinn: Bei einem Umsatz von 272 Mio. Dollar erzielte das Unternehmen 6,5 Mio. US-Dollar Gewinn. 2004 – der Netflix-Katalog war auf 35.000 Titel angewachsen und man verschickte täglich eine Million DVDs – schied Gründungsmitglied Randolph aus dem Unternehmen aus.

Der webbasierte Filmverleih

Im Januar 2007 kündigte Netflix die Einführung eines neuartigen Video-Streaming-Dienstes mit dem Namen „Watch Now“ an. Damals ging man davon aus, dass der Streaming-Service nur für eine Handvoll Power-User mit Breitband-Internetanschlüssen geeignet sei. Für das Streamen von 18 Stunden Videos in DVD-Qualität bei einer Verbindungsrate von 3 MBit/s verlangte Netflix 17,99 Dollar. „Wir haben unser Unternehmen 1998 Netflix genannt, weil wir glaubten, dass dem internetbasierten Filmverleih die Zukunft gehört, zunächst als Mittel zur Verbesserung von Service und Auswahl und dann als Mittel zur Bereitstellung von Filmen“, erklärte Reed Hastings damals. „Auch wenn es aufgrund inhaltlicher und technologischer Hürden noch einige Jahre dauern wird, bis sich der Online-Filmverleih bei den Verbrauchern durchsetzt, ist die Zeit für Netflix reif, den ersten Schritt zu tun.“

2011 fing Netflix an, seinen Streaming-Service international zu expandieren. Bis Ende des gleichen Jahres bot man den Dienst in vielen Ländern Nord-, Zentral- und Südamerikas an. Die europäische Expansion startete in Großbritannien und Irland im Januar 2012 (Deutschland kam zwei Jahre später hinzu). 2013 markierte für Netflix einen weiteren Meilenstein in der Firmengeschichte: Mit der Politserie „House of Cards“ präsentierte der Streamingdienst erstmals „Netflix Originals“ – kein wie bislang lizenzierter Inhalt, sondern ein selbstproduziertes bzw. in Auftrag gegebenes Filmwerk. Gleichzeitig markierte der Erfolg dieser Serie die Geburt des sogenannten „Binge-Watching“-Trends: das Schauen mehrerer Folgen einer neuen Serie am Stück – ein echter Vorteil von Video-on-Demand gegenüber dem linearen Fernsehen. In den folgenden Jahren investierte Netflix konsequent in die Produktion eigener Inhalte – und konnte sich damit nicht nur gegenüber der Streaming-Konkurrenz wie Amazon Prime Video, Apple TV oder Disney+ durchsetzen, sondern auch gegenüber den anderen Playern im Medienmarkt, allen voran den Kinos und den TV-Sendern. Regelmäßig wurden Netflix-Produktionen auf Filmfestivals oder bei Filmpreis-Verleihungen ausgezeichnet. Viele bekannte Kreative wagten den Weg zum „Filmstudio Netflix“. Der Schritt zur Eigenproduktion erwies sich als extrem erfolgreich und führte zu einer stets steigenden Anzahl von Abonnenten weltweit. 2020 konnte Netflix während der Corona-Krise 36,5 Millionen neue Abonnenten gewinnen und verzeichnete Ende des Jahres zum ersten Mal über 200 Millionen zahlende Kunden. Heute ist Netflix in über 190 Ländern verfügbar und hat global 230 Millionen Abonnenten

Kursentwicklung: wechselhaft

Die Kursentwicklung von Netflix war, trotz bemerkenswertem Firmen-Wachstum, nicht immer nur von Höhen geprägt. Zwar stieg von Anfang 2010 bis Anfang 2022 der Kurs um mehr als das Hundertfache, doch Rückschläge mussten in der Entwicklung durch unpopuläre Preisänderungen oder durch das Aufkommen neuer VoD-Dienste hingenommen werden. Trotzdem bezeichnen Analysten die Börsenentwicklung von Netflix in den letzten Jahren als positiv. Das Unternehmen habe es geschafft, den Streaming-Markt zu dominieren und eine große Fangemeinde weltweit aufzubauen. Mit der fortgesetzten Investition in Originalinhalte und der Expansion in neue Märkte sei Netflix weiterhin ein attraktives Investment für Anleger. Dazu passt auch die im Oktober 2023 veröffentlichte letzte Quartalsbilanz: Der Umsatz betrug im 3. Quartal 2023 rund 8,54 Mrd. US-Dollar. Die Zahl der Neukunden stieg im 3. Quartal um 8,76 Millionen Abonnenten. Damit verzeichnete das Unternehmen zum Quartalsende insgesamt 247,15 Millionen zahlende Kunden. Das Betriebsergebnis von Netflix vor Steuern und Abgaben lag im 3. Quartal bei 1,7 Mrd. US-Dollar. Anfang 2023 trat Gründer Reed Hastings als CEO zurück und nahm den Posten des Executive Chairmans an. Seine beiden Nachfolger im Amt sind Ted Sarandos, der bereits seit Juli 2020 als Co-CEO fungierte, sowie Greg Peters. (sg)