Keine neuen Sonderregeln für den Schwarm

17.01.2019

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Crowdinvestments sind eine Anlageform, die sich weiter wachsender Beliebtheit erfreut: Im ersten Halbjahr 2018 hat der Anlegerschwarm mit 122,5 Mio. Euro fast 50 % mehr in Immobilien, Unternehmen und Energieprojekte investiert als im Vorjahreszeitraum. Die seit der ersten dokumentierten Transaktion im Jahr 2011 insgesamt über Crowdinvesting-Plattformen eingesammelte Anlagesumme hat damit die Marke von einer halben Milliarde Euro überschritten. So weist es die Datenbank Crowdinvest.de aus.

Besonders erfreut zeigen sich die Beteiligten von der wachsenden Marktdynamik: Es dürfte keine zwei Jahre mehr dauern, bis die Milliardengrenze überschritten ist, frohlockt ein mittelständischer Unternehmer und Crowdinvestor öffentlich. Die Vorteile der digital geprägten Finanzierungsform liegen nicht nur für ihn auf der Hand: Insbesondere jungen Unternehmen eröffnet sie alternative Kapitalquellen und Privatanlegern alternative Anlagemöglichkeiten. So weit, so richtig. Gerade Start-ups können von der Schwarmfinanzierung profitieren. Und prinzipiell spricht nichts dagegen, dass sich auch Kleinanleger als Wagniskapitalgeber betätigen. Ebenfalls grundsätzlich nichts einzuwenden ist gegen die Crowd-Finanzierung von Immobilienprojekten. In sie fließt der Löwenanteil des Schwarmkapitals: Mehr als zwei Drittel des im 1. Halbjahr vermittelten Volumens dienen der Errichtung neuer Immobilien, wobei es sich fast ausschließlich um überschaubare Einzelvorhaben handelt. Denn ein begrenztes Investitionsvolumen zählt zu den Bedingungen, die einen unkomplizierten Vertrieb von Crowdinvestments über die Plattformen ermöglichen: Als Ausnahme im Vermögensanlagengesetz und Kleinanlegerschutzgesetz qualifiziert, entfällt für Crowdinvestments bis zu einem Investitionsvolumen von 2,5 Mio. Euro die Prospektpflicht, also die Auflage, einen umfangreichen Prospekt zu erstellen, der Chancen und Risiken der jeweiligen Anlage detailliert darstellt. Weitere Voraussetzung: Einzelne Anleger dürfen nicht mehr als 1.000 oder bei einer Selbstauskunft über entsprechende Vermögensverhältnisse 10.000 Euro investieren. Tatsächlich ist ein Prospekt, wie er etwa für geschlossene Immobilienfonds und fast alle anderen Kapitalanlagen vorgeschrieben ist, aus Risikoaspekten entbehrlich – wird er doch in den seltensten Fällen vom Anleger gelesen und von der Aufsichtsbehörde nur auf formale Fehler geprüft.

Zweifelhaft ist allerdings, ob das stattdessen von den Crowdinvesting-Anbietern vorzuhaltende Vermögensanlagen-Informationsblatt (VIB) einen guten Ersatz darstellen kann. Dass diese häufig nur unzureichend aufklären, belegt eine Untersuchung der Universität Bamberg im Auftrag des baden-württembergischen Verbraucherministeriums. In der Studie „Infos für den Schwarm: Werden Crowdinvesting-Kleinanleger mit VIBs gut informiert?“ kommt der verantwortliche Finanzwissenschaftler Andreas Oehler zu dem Ergebnis, dass die vorgehaltenen VIBs keine gute Verbraucherinformation darstellen. Mehr noch: Sie erweckten bei Anlegern trotz eines Mangels an relevanten Informationen die Illusion, gut informiert zu sein. Entscheidend erscheint insbesondere, Anleger besser über die tatsächliche Struktur ihrer Engagements aufzuklären. Allzu häufig wird suggeriert, Crowdinvestoren beteiligten sich direkt an einem konkreten, für sie greifbaren Projekt, während sie in Wahrheit nur Kreditgeber auf nachrangiger Ebene sind – und im Falle einer Insolvenz also aller Voraussicht nach leer ausgehen. Bislang brüstet sich die Branche mit äußerst geringen Ausfallquoten im Immobiliensegment. Das allerdings dürfte weder die Schwarminvestoren beruhigen, die Kapital für den Bau der Mikro-Apartment-Anlage „Luvebelle“ in Berlin bereitgestellt, noch diejenigen, die auf eine Rendite aus dem Investment in das Projekt „Z19 Stadthaus Plus“ im sachsen-anhaltinischen Bernburg gesetzt haben. Hier läuft das Insolvenzverfahren, dort stehen die Bagger still – versprochene Zinszahlungen Fehlanzeige. Diese Ausfälle mögen bislang tatsächlich überschaubar sein – und sind im Übrigen auch in der Welt regulierter geschlossener Fonds nicht ausgeschlossen. Insbesondere wenn sich die Branche mit ihren Forderungen durchsetzt, Crowdinvestments weiter zu flexibilisieren, ist die Ungleichbehandlung zwischen einer  weißen Welt scharf regulierter geschlossener Fonds und einer grauen Welt lax regulierter Schwarminvestments nicht mehr zu rechtfertigen. So ist derzeit im Gespräch, das maximale Investitionsvolumen bei Immobilienprojekten auf 8 Mio. Euro zu erhöhen. Gleichzeitig streben die Anbieter eine Neuregelung hinsichtlich der Investitionssummen an: Statt des aktuell gültigen absoluten Maximums von 10.000 Euro sollen künftig relative Maxima zum Tragen kommen, die sich an den Vermögensverhältnissen des Investors orientieren. Klares Ziel ist dabei, auch institutionelle Investoren, Private-Banking-Kunden und Familiy Offices ins Boot zu holen.

Sollte dieses Ansinnen umgesetzt werden, müssen für Crowdinvestments künftig wenigstens ähnliche Regeln gelten, wie sie für die Beteiligungsbranche sonst vorgesehen sind. Im Segment geschlossener Fonds hat der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren durch eine komplette Neuregulierung einen maßgeblichen Qualitätsschub initiiert, der mittlerweile Früchte trägt. Sämtliche verdächtige oder tatsächliche Betrugsfälle, wie zuletzt bei der inzwischen insolventen, auf Container spezialisierten Investmentgruppe P&R, stammen aus der Zeit vor Inkrafttretens des Kapitalanlagegesetzbuches. Hier ist insbesondere die Einbindung einer mit umfangreichen Kontrollaufgaben ausgestatteten Verwahrstelle zu nennen. Sie überwacht nicht nur die Zahlungsströme eines geschlossenen Fonds, sondern stellt auch sicher, dass bei sämtlichen Verträgen im Zusammenhang mit der Fondsimmobilie sowie bei der Bewertung branchenübliche Standards eingehalten werden. Begrüßenswert erscheint, dass Crowdinvesting-Plattformen derzeit über die freiwillige Einrichtung einer solchen Verwahrstelle nachdenken – sie könnte für ein zusätzliches und unter den aktuellen Bedingungen ausreichendes Maß an Sicherheit sorgen.

Gleichzeitig ist der Gesetzgeber gefordert, bei der auf das kommende Jahr verschobenen Evaluierung der für Crowdinvestments einschlägigen Bestimmungen Augenmaß walten zu lassen. Andernfalls könnte er sich zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Regulierung gezwungen sehen. Es wäre nicht das erste Mal.

Autor: Ludger Wibbeke, Leiter Asset Servicing für Real Assets, Hauck & Aufhäuser Privatbankiers AG