Anfechtung der Berufsunfähigkeitsversicherung

16.08.2023

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke. Foto: Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte


Ein Grund für rechtliche Auseinandersetzungen in der Berufsunfähigkeitsversicherung kann die Anfechtung des Versicherungsvertrages durch den Versicherer sein. Mit diesem Gestaltungsrecht können Versicherungen im Einzelfall sich bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen vom Versicherungsvertrag lösen. Doch welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit der Versicherer anfechten kann? Wer trägt die Beweislast für die maßgeblichen Umstände und welche Konsequenzen drohen dem Versicherungsnehmer? Was kann der Versicherungsnehmer tun, wenn sein Versicherungsvertrag vom Versicherer angefochten wurde? Diese und weitere Fragen werden in einer neuen Bericht der Die Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow geklärt.

Die Anfechtung des Versicherungsvertrages nach § 22 VVG in Verbindung mit § 123 BGB ist nur unter engen Voraussetzungen möglich. Wegen eines Irrtums über einfache Umstände ist die Anfechtung des Versicherungsvertrages durch den Versicherer nur dann zulässig, wenn es sich nicht um gefahrerhebliche Umstände handelt. Denn in diesem Fall muss vorrangig der Rücktritt nach den §§ 19, 21 VVG ausgeübt werden.

Jederzeit und ohne Beschränkung des Gegenstandes kann hingegen die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung im Sinne des § 22 VVG erklärt werden. Eine Beschränkung dieses Rechts auf bestimmte Umstände ist aufgrund der bewussten Täuschung des Vertragspartners nicht geboten (BGH, Urteil v. 08.10.1964 – Az. II ZR 35/62). Um wegen einer arglistigen Täuschung anfechten zu können, muss zunächst objektiv eine Täuschung vorliegen. Diese muss subjektiv gesehen arglistig gewesen sein und den Versicherer kausal zum Abschluss des Versicherungsvertrages bewegt haben.

Die Täuschung setzt also eine objektiv falsche Angabe voraus. Eine Angabe des Versicherungsnehmers ist dann falsch, wenn er sie dem Versicherer gegenüber wissentlich abgibt oder aber für den Versicherer relevante Angaben verschweigt (Unterlassen). Ob die objektiv falsche Angabe durch Tun oder Unterlassen getätigt wird, ist zunächst erstmal irrelevant. Maßgeblich ist die Relevanz der richtigen Information für den Versicherer. Relevant sind grundsätzlich alle Informationen, die unmittelbar mit dem Versicherungszweck zusammenhängen. Bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung sind das beispielsweise der bisher ausgeübte Beruf, das zu versichernde Einkommen oder die ganzen Daten zum gesundheitlichen Zustand (BGH, Urteil v. 14.07.2004 – Az. IV ZR 161/03).

Bestehen einer spontanen Anzeigeobliegenheit

Enthält der Gesundheitsfragebogen im Vorfeld des Versicherungsvertrages mehrdeutige oder unpräzise Fragen, die der Versicherungsnehmer anders als der Versicherer versteht, scheidet eine falsche Angabe hingegen aus. In engen Ausnahmefällen kann den Versicherungsnehmer jedoch eine sogenannte „spontane Anzeigeobliegenheit“ über Informationen treffen, nach denen der Versicherer nicht ausdrücklich gefragt hat. Dies gilt aber nur bei Informationen, die für jeden erkennbar das Aufklärungsinteresse des Versicherers in elementarer Weise betreffen und es deshalb für den Versicherten auf der Hand liegt, dass es sich um eine bedeutende Information handelt (BGH, Urteil v. 19.05.2011 – Az. IV ZR 154/10).

Weiterhin ist es nicht notwendig, dass der Versicherungsnehmer selbst täuscht. Bedient er sich eines Maklers, so sind dem Versicherten die Täuschungen, die der Makler selbst vornimmt, gemäß § 166 Abs. 1 BGB dem Versicherten zuzurechnen (BGH, Urteil v. 12.03.2014 – Az. IV ZR 306/13).

Arglist des Versicherten

Um die Täuschung als arglistig qualifizieren zu können, muss der Versicherungsnehmer in Kenntnis der Unrichtigkeit seiner Angaben handeln. Es muss ihm gerade darauf ankommen, dass die Entscheidung des Versicherers hinsichtlich des Vertragsabschlusses durch die Falschangabe beeinflusst wird und der Vertrag unter den wahren Bedingungen nicht oder nicht so zustande gekommen wäre. Die Absicht, dass dem Versicherer aufgrund der falschen Angabe tatsächlich ein Vermögensschaden entsteht, ist nicht erforderlich. Es genügt vielmehr das Bewusstsein, dass die Falschangabe in irgendeiner Weise Einfluss auf eine etwaige Schadensregulierung haben kann (BGH, Urteil v. 22.06.2011 – IV ZR 174/09).

Zusätzlich muss die arglistige Täuschung des Versicherten ursächlich dafür geworden sein, dass der Versicherer den Versicherungsvertrag zu den konkreten Bedingungen geschlossen hat. Es reicht aus, dass der Versicherer mit der richtigen Information den Vertrag nicht in dieser Form geschlossen hätte, selbst wenn es sich nur um eine marginale Änderung in den Versicherungsbedingungen handeln würde (BGH, Urteil v. 24.11.2010 – Az. IV ZR 252/08).

Frist zur Anfechtung durch den Versicherer

Liegen diese drei Voraussetzungen kumulativ vor, hat der Versicherer dem Grunde nach ein Anfechtungsrecht, wenn er dieses fristgemäß ausübt. Gem. § 124 BGB muss der Versicherer die Anfechtung innerhalb eines Jahres ab Erlangung der Kenntnis der arglistigen Täuschung dem Versicherungsnehmer gegenüber ausdrücklich erklären. Diese Frist beginnt erst zu laufen, wenn Kenntnis sowohl der objektiven Täuschung als auch der subjektiven Arglist besteht. Jedoch gilt auch für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, dass gem. § 21 Abs. 3 S. 2 VVG eine Anfechtung grundsätzlich nicht mehr möglich ist, wenn die arglistige Täuschung mehr als zehn Jahre zurückliegt (BGH, Urteil v. 25.11.2015 – IV ZR 277/14). (fw)