Fonds statt Speiseöl – mögliche Lehren aus der Inflation

14.04.2022

Holger Nacken, Managing Director Financial Services Edelman / Foto: © Edelman

„Inflation ist der periodisch wiederkehrende Beweis für die Tatsache, dass bedrucktes Papier bedrucktes Papier ist.“ Das dem deutschen Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler Helmar Nahr zugeschriebene Zitat bringt die Angst vieler Deutscher auf den Punkt: Was ist, wenn mein Geld plötzlich nichts mehr Wert ist?

Gerade derzeit treibt die aktuelle Lage so manchem Sparer die Sorgenfalten ins Gesicht: Die Verbraucherpreise in der Bundesrepublik sind laut einer Schätzung des Statistischen Bundesamts im März um 7,3 % gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen und damit so stark wie noch nie im wiedervereinigten Deutschland. Dies bedeutet eine deutliche Verschlechterung der Einkommenslage vieler: Wenn die Preise auf breiter Front steigen, sind vor allem die Menschen benachteiligt, die Renten und Einkommen beziehen. Häufig ist auch von einer „Enteignung der Sparer“ zu lesen. Denn natürlich verlieren Anleger Geld, die ihr Geld auf Sparkonten und Tagesgeldanlagen liegen haben oder im Vertrauen auf feste Rückzahlungen kapitalbildende Lebensversicherungen abgeschlossen haben.

Was die Sparer angeht: So verständlich diese Sorgen auch sind, so unverständlich ist aber, dass die Deutschen immer noch bevorzugt in solche Anlagen investieren, die von der Inflation besonders stark betroffen sind. Vom Geldvermögen der privaten Haushalte in Höhe von 7.399 Mrd. Euro (Stand zum 30.9.2021) waren nach Angaben der Deutschen Bundesbank stolze 39,5 % in Bargeld und Sichteinlagen angelegt. Weitere 34,4 % lagen in Versicherungs-, Alterssicherungs und Standardgarantiesystemen. Das sind zum Beispiel Lebensversicherungen. Nur 12,4 % der Anlagen waren in Aktien investiert, nur 11,8 % der Einlagen entfielen auf Investmentfonds.

Deutsche Scheu vor Aktien rächt sich

Um es klar zu sagen: In diesem Umfang allein auf klassische Sparformen zu vertrauen, ist genau so clever, wie bei der Energieversorgung vor allem auf Russland zu setzen. Es ist ein massives Klumpenrisiko entstanden. Denn höher rentierliche Anlagen sind im Portfolio der deutschen Sparer unterrepräsentiert. Und die Vernachlässigung der Anlageform Aktie rächt sich jetzt: Denn gerade Dividendentitel sind es, die in Zeiten fortschreitender Inflation Schutz bieten. Schließlich handelt es sich um Sachwerte, die von einem Verlust der Kaufkraft nicht betroffen sind. Wer Aktien kauft, investiert in Unternehmen. Und die können Preissteigerungen leicht an Konsumenten weitergeben. Wer als Konsument nicht auch über den Aktienkauf zum Mitunternehmer wird, hat schlechte Karten. Aber die Deutschen horten eben lieber Salatöl statt Fonds. Oder sie setzen eben auf das gute alte Sparbuch – mit fatalen Folgen für die Vermögensbildung.

Vielleicht hängt die Börsen-Scheu auch an der traditionell großen Skepsis gegenüber der Finanzbranche generell. Bei der Edelman-Trust Umfrage rangiert Deutschland auch dieses Jahr wieder auf dem vorletzten Platz unter allen Nationen: Nur 39 % der Befragten vertrauen der Branche. Zum Vergleich: In unserem Nachbarland Niederlande sind es immerhin 54 %. Wenn die Aktien-Aversion also gleichzeitig eine Banken-Aversion ist, dann hat die gesamte Branche eine Verantwortung, daran etwas zu ändern.

Corona-Börseneinsteiger müssen durchhalten

Immerhin ist die Zahl der Aktionäre in Deutschland während der Corona-Krise insgesamt gestiegen. Besaßen 2016 lediglich neun Millionen Menschen in Deutschland, waren es 2021 immerhin 12,1 Millionen. Es gibt also Grund zur Hoffnung: „Die Einstellung zu Aktien als Geldanlage verändert sich. Aktien werden in der deutschen Bevölkerung nicht mehr vor allem als Spekulationsobjekt (37 %) gesehen. Mit 35 % ist der Anteil derer, die in Aktien eine gute Geldanlage sehen, mittlerweile fast genauso hoch,“ schreibt der Lobbyverband Aktion pro Aktie in einer aktuellen Studie. Allerdings definieren nach wie vor nur wenige Deutsche eine Aktie als sichere Geldanlage (12 %).

Genau hier liegt die Hauptverantwortung bei der Finanzbranche. Sei es bei den Anbietern oder den Vermittlern von Wertpapieren. Wichtig ist, die zahlreichen Neu-Aktionäre an Bord zu halten und nicht wieder zu verlieren, wie es im Zuge der Dot-Com-Krise 2001 oder nach der Finanzkrise 2008 schon einmal geschah. Gefragt sind Klarheit und Transparenz in der Kommunikation. Diese sollte nicht die Gier, sondern den Verstand ansprechen. Das Traden mit einzelnen Titeln wie Gameshop-Aktien mag zwar verlockend sein – vor allem für die Broker und Handelsplattformen. Nachhaltiger und auch volkswirtschaftlich sinnvoller wäre eine vor allem Aufklärung darüber, dass es sinnvoll ist, einen Teil seines Vermögens breit diversifiziert und langfristig in Aktien zu investieren – auch als Schutz vor der allgemeinen Teuerung. Wenn sich die Erkenntnis schließlich auch hierzulande durchsetzt, dann hätte die hohe Inflation zumindest etwas positives.

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© Deutsche Bundesbank[/caption]

Gastbeitrag von Holger Nacken, Managing Director Financial Services Edelman