Mehr Sichtbarkeit für mehr Diversität

26.08.2022

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Aufmerksamen Leserinnen und Lesern der finanzwelt ist es bestimmt schon aufgefallen – seit einigen Ausgaben thematisiert immer ein Beitrag unseres Magazins „Frauen in der Finanzwelt“. Der Grund dafür ist ein oft wiederholtes Motto im Kontext von Diversität: „Representation matters!“. Und die Resonanz verdeutlicht: Damit haben wir einen Nerv getroffen!

Verschiedene Studien zeigen, wie wichtig die Sichtbarkeit von „Minderheiten“ für die Gesellschaft sowie die einzelnen Gruppen selbst ist. Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um die Ökonomen Nicola Persico, Northwestern University, und Bernhard Ganglmair, Universität Mannheim und Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), hat 2021 herausgefunden, dass mehr Diversität allerdings nur durch die Kombination aus erhöhter Sichtbarkeit und einem kulturellen Wandel erreicht wird. In 2022 lässt sich klar sagen: Wir befinden uns bereits mitten in diesem Wandel.

Gerade in der Finanzbranche mangelt es aber noch an der Sichtbarkeit. „Die Branche ist eher eine Männerdomäne, aber es gibt mehr Frauen als man vermutet. Unter den hauptberuflichen Finanzcoaches bei der Deutsche Vermögensberatung AG ist bereits jeder Dritte weiblich – und die Zahlen steigen. Wichtig ist dabei, dass die erfolgreichen Frauen sichtbar gemacht werden“, erklärt zum Beispiel die DVAG auf Anfrage. Bereits viele Unternehmen der Branche nehmen sich dem Thema an – Vertriebe, Versicherungen, Dienstleister, Investmenthäuser.

Auch Ann-Katrin Ruhnow, erfolgreiche Portfoliomanagerin bei Union Investment, findet: „Der wichtigste Punkt ist für mich ein Kulturwandel. Eine Ungleichverteilung der Geschlechter sollte nicht nur als Tatsache, sondern als Nachteil anerkannt werden, den es auszugleichen gilt. Erst ab einer gewissen prozentualen Grenze werden individuelle Gruppen mit ihren Meinungen und Merkmalen nicht mehr mit einer Sonderstellung in Verbindung gebracht, bis man von einem Selbstverständnis im Sinne von Inklusion spricht. Für einen nachhaltigen Erfolg ist meines Erachtens auch ein gutes Augenmaß sowie eine langfristige Perspektive sehr wichtig, da kurzfristige Maßnahmen kontraproduktiv wirken können.“

Zeiten ändern sich

Ruhnow vertritt die Meinung, dass das Verhältnis der Geschlechter in der Finanzbranche bereits fast ausgeglichen sei. „Das ist auch bei Union Investment der Fall. Unterschiede zeichnen sich eher in einzelnen Bereichen ab, wie beispielsweise dem Portfoliomanagement oder der IT, oder auch in den höheren Senioritätsstufen sowie innerhalb der Führungsebenen“, meint die junge Portfoliomanagerin. Ist die Finanzwelt also bereits vielfältiger aufgestellt als es erscheint? – Jein. Der Knackpunkt ist genau das: „erscheint“. Auch wenn es mittlerweile mehr Frauen in der Finanzbranche gibt, sind sie kaum sichtbar. Das gilt besonders für die Führungsebenen. Viele Unternehmen bieten deshalb eine Förderung für Frauen.

Claudia Andersch, Vorständin R+V Lebens- und Krankenversicherung, und Julia Merkel, Personalvorständin R+V Versicherung AG, wissen als Führungsfrauen genau, wie viele Möglichkeiten es dafür gibt. Neben einem aktiven Netzwerk für Frauen in Führung, einem Mentorinnen- und Mentoren-Programm und der Talentförderung biete die R+V grundsätzlich gleiche Löhne für vergleichbare Tätigkeiten. Zudem sorge die R+V dafür, dass Mutterschaft und Karriere sich nicht ausschließen. „Und das bis in die Vorstandsetagen. Es gibt bei der R+V auch Führungskräfte, die in Teilzeit arbeiten – das ist anspruchsvoll und setzt eine hervorragende Organisation voraus, aber immer mehr Kolleginnen und Kollegen bekommen das hin. Hier helfen auch die Digitalisierung und die wachsende Akzeptanz des Homeoffice“, so Andersch und Merkel.

Portfoliomanagerin Ruhnow kennt ähnliches von Union Investment. Dort gebe es ebenfalls Seminarangebote und Netzwerke speziell für Frauen, Förderprogramme oder Veranstaltungen für Frauen in Führung. Und auch der „Women for future“-Kongress der DVAG ist branchenweit bekannt.

An die Zukunft denken

Ein weiterer Grund, warum die Diversitätsfrage für die Finanzwelt so wichtig ist, ist der Nachwuchsmangel. Besonders die Maklerschaft hat sehr damit zu kämpfen. Um junge Menschen für den Vertrieb zu begeistern, sind neue Ansätze notwendig. Dabei hat die Finanzbranche heutzutage deutliche Vorteile, die besser nach außen kommuniziert werden sollten. Und mit flexiblen Arbeitszeiten, Vereinbarkeit mit der Familie sowie leistungsbasierten Aufstiegsmöglichkeiten lässt sich gerade der weibliche Nachwuchs optimal ansprechen.

Besonders durch seine leistungsorientierte Aufstellung ist gerade der Finanzvertrieb prädestiniert für mehr Diversität. Das kann auch Vermögensberaterin Madeline Kiel bestätigen. Als sie ihre Karriere begonnen hat, hätte sie sich mehr weibliche Vorbilder gewünscht. Sie habe sich dennoch nie benachteiligt gefühlt. „Wir arbeiten leistungsorientiert und jede und jeder hat dieselben Chancen. Das ist keine Floskel, sondern Programm. Außerdem sind die Aufstiegskriterien bei der DVAG ganz transparent geregelt: Nur wer seinen Job gut macht, macht auch Karriere. Und inzwischen kann ich selbst ein Vorbild sein.“

„Traut euch!“

Andersch und Merkel raten jungen Menschen, eigene Vorstellungen für ihre Karriere zu entwickeln. Weiterentwicklung müsse dabei aktiv eingefordert werden. „Traut Euch! Formuliert Eure Ideen und Vorstellungen und geht voran! Gleichzeitig heißt dies auch, konstruktiv mit Rückschlägen umgehen und aus ihnen lernen zu können“, so die R+V-Vorständinnen. (lb)