"1 %-Wachstum dürfte bald ein Erfolg sein"
15.01.2020

Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa DWS / Foto: © DWS
Die vom statistischen Bundesamt am heutigen Mittwoch veröffentlichten Zahlen zum deutschen Bruttoinlandsprodukt (BIP) bergen zwar keine Überraschung, doch bieten sie einen guten Anlass, das deutsche Wirtschaftswachstum in Perspektive zu setzen.
- Mit einem Plus von 0,6 Prozent dürfte das deutsche BIP-Wachstum 2019 eines der schwächsten der Industrieländer sein – lediglich Italien schneidet noch schlechter ab.
- Ursache dafür war vor allem die Schwäche in der Industrie, die in Deutschland ein deutlich höheres Gewicht als in anderen „Industriestaaten“ hat. Die exportorientierte Industrie leidet unter verschiedenen Faktoren: Trumps Handelskrieg, dem Brexit (immerhin gingen früher acht Prozent der deutschen Exporte ins Vereinigte Königreich, jetzt nur noch sechs Prozent) und den zahlreichen Malaisen der Autoindustrie.
- Ist Deutschland damit knapp an einer Rezession „vorbeigeschrammt“, wie oft geschrieben wird? Nein, das wäre eine Fehlinterpretation. Die Kapazitäten in der Industrie und im Bausektor waren 2017/2018 deutlich überausgelastet. Nach der langen Schwächephase sind die Kapazitäten nun deutlich weniger ausgelastet; aber von einer massiven Unterauslastung, wie sie zu einer Rezession gehört, ist Deutschland weit entfernt. Im Dienstleistungsbereich und im Baubereich sind die Kapazitäten nach wie vor überausgelastet. Davon legt auch der Arbeitsmarkt ein beredtes Zeugnis ab: Die Fachkräfte sind knapp und die Arbeitslosigkeit ist nahe dem tiefsten Stand seit den siebziger Jahren.
- Die gute Lage am Arbeitsmarkt führt auch dazu, dass der Verbraucher weiterhin die Konjunktur trägt, trotz der nun bald zweijährigen Schwäche in der Industrie. Wir gehen weiter davon aus, dass der Konsument so lange die Stellung hält, bis die Industrie selber wieder Impulse liefert.
- Die weiteren Aussichten bleiben jedoch insgesamt schwach. Wir erwarten zwar eine Normalisierung der wirtschaftlichen Lage, nicht zuletzt aufgrund abnehmender Unsicherheiten beim Handelskrieg und beim Brexit. Aber das neue „normal“ liegt deutlich tiefer als in der Vergangenheit, was unter anderem auf die Demographie zurückzuführen ist. In den kommenden Jahren schrumpft die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter – erst langsam, dann immer schneller. Mitte der “zwanziger Jahre“ dürfte ein Wirtschaftswachstum von einem Prozent als Erfolg gefeiert werden. Für 2020 rechnen wir mit einem Wachstum von etwas unter einem Prozent.
Marktkommentar von Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa DWS
Mehr aus dieser Kategorie


Warum das Home Office auch 2025 eine kostensparende Alternative ist
Für viele hat sich die Arbeit von zu Hause aus in den letzten Jahren durchgesetzt. Es ist nicht nur bequem, sondern kann nachweislich auch die eigene Effizienz steigern. Doch es gi...

Sekundensache mit System?
Was einst institutionellen Investoren vorbehalten war, ist heute auch für Privatanleger Realität: Dank Internet und Online-Brokern lassen sich Aktien und andere Finanzprodukte in S...