Auf der Suche nach dem neuen Rezept

15.06.2015

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Chinas Wachstum geht deutlich zurück, statt 10 % und mehr zu erzielen, ist es jetzt schon schwierig geworden, die vorgegebenen 7 % zu erreichen. Das bisher benutzte, auf hohen Investitionen und starken Exporten beruhende Geschäftsmodell kommt an seine Grenzen.

Chinas Machthaber suchen eine neue Strategie, denn das formell immer noch kommunistische Regime setzt unverändert darauf, den eigenen Herrschaftsanspruch durch soziale Wohltaten zu legitimieren oder zumindest Potenziale für Unruhen und Protest durch materiellen Fortschritt einzudämmen.

Der aktuelle Ausblick 2015/16 der renommierten Asian Development Bank (ADB) stellt China für 2015/16 noch 7,2 % und 7,0 % Wachstum in Aussicht, was doch schon fühlbar unter dem Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2013 mit 8,5 % liegt, von den regelmäßig zweistelligen Raten vor der Krise von 2008 ganz zu schweigen. Mit diesen Einschätzungen folgt die ADB anderen Banken, wie etwa dem IWF und der Weltbank, die bereits ähnliche Prognosen abgeliefert haben. Hintergrund ist die Neuausrichtung der chinesischen Wirtschaft – weg vom bisher verfolgten Modell, das auf starke Investitionen und Exporte setzte: Investitionen wirken zunächst als Doping auf der Nachfrageseite und heizen die Konjunktur ordentlich an, im weiteren Verlauf muss sich dann aber die zusätzliche Nachfrage einstellen, die für eine Auslastung der neu geschaffenen Kapazitäten sorgt. Diesen Beitrag lieferte schon das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit und bislang auch der Export in China. Mittlerweile sammeln sich aber Indizien für eine Überinvestitionskrise in Form unterbeschäftigter Kapazitäten oder etwa leer stehender, unverkäuflicher Immobilien. Offenbar funktioniert das alte Rezept nicht mehr richtig.

Die Verantwortlichen haben darauf mit den üblichen Instrumenten der Konjunkturpolitik reagiert, also die Zinsen gesenkt, mehr Geld in die Wirtschaft gepumpt und staatliche Ausgabenprogramme aufgelegt. Das bremst den Abstieg, stoppt ihn aber nicht. Stattdessen wurde eine zur Überhitzung neigende Börse erkennbar, die manche Züge einer „Hausfrauen-Hausse" aufweist, wie etwa eine erstaunlich hohe Zahl von Kleinanlegern, die ihre Aktieninvestments mit beachtlichen Kredithebeln „anschärfen".

Das Problem sitzt offenbar tiefer: Privatisierung.

Ein kürzlich von der Brookings Institution veröffentlichtes Papier zeigt einen weiteren Faktor auf: Offenbar spielten die Privatisierungen von Staatsfirmen und die davon ausgelösten Produktivitätseffekte eine tragende Rolle beim enormen Wachstumsschub Chinas. Demnach wurden vor allem kleinere, weniger effiziente Staatsunternehmen privatisiert. Der durch Privatisierungen schnell gewachsene private Sektor musste unter dem Druck des Wettbewerbs schnelle Effizienzgewinne erzielen. Die verbleibenden staatlichen Betriebe wurden in größeren Konglomeraten mit strafferer Führung neu zusammengefasst, was zu großen Produktivitätsfortschritten innerhalb des Staatssektors führte. Zudem wurden ineffiziente Betriebe beider Sektoren geschlossen, die Arbeitskräfte überwiegend auf effizientere Arbeitsplätze umgesetzt. Diese Umschichtungsprozesse haben sich allerdings verlangsamt, weil die Privatisierungen zurückgehen. Von daher ergibt sich: Die Abflachung des Wachstums der Produktivität bremst das Einkommenswachstum.

Neues Rezept: Liberalisierung der Finanzmärkte

Außerhalb der Grenzen Chinas kaum richtig wahrgenommen, haben die Verantwortlichen in Peking darauf reagiert und in den letzten Monaten wichtige Reformen auf den Weg gebracht, die konsequent auf neues Wachstum zielen. Ganz vorne auf der Agenda steht die Liberalisierung der Finanzmärkte. Im Windschatten der jüngsten Zinssenkung hat die chinesische Notenbank PBoC People´s Bank of China einen wichtigen Schritt auf dem Bankenmarkt gemacht: Sie verbreitert den Spielraum der Banken für die Gestaltung der Kredit- und Einlagenzinsen, was als Zwischenschritt hin zur vollständigen Freigabe der Marktzinsen gedacht sein dürfte. Die PBoC wird wohl auch in absehbarer Zeit wie die meisten Notenbanken das Zinsspektrum nur noch von der Refinanzierung der Banken her steuern, ohne direkten Zugriff auf das Endkundengeschäft der Banken. Dazu hat sie in den letzten Wochen und Monaten einige Vorbereitungen getroffen. Die chinesische Notenbank PBoC hat im April das Mindestreserve-Soll um einen Prozentpunkt auf 18,5 % herabgesetzt, womit bei den chinesischen Banken 1,2 Billionen Yuan (rund 180 Mrd. Euro) frische Liquidität frei wurden. Damit federn die Währungshüter offenbar Schockwellen ab, die vom härteren Zugriff der Finanzaufsicht auf die Brokerhäuser ausgehen. Die Begrenzung von Aktien-Investments auf Kreditbasis wird jetzt durchgesetzt. Die wichtigste trat zum 1. Mai in Kraft: Das chinesische Bankensystem wurde mit einer obligatorischen Einlagenversicherung unterlegt, welches die Banken über die entsprechenden, auch risikoabhängigen Versicherungsprämien finanzieren. Damit wird die bisher angenommene implizite Garantie des Staates für die Banken durch ein marktkonformes System ersetzt, mit dem offenbar auch die bestehenden Schattenbanken und informellen Finanzierungen ausgetrocknet werden sollen. Gleichzeitig werden die Banken durch den Zusammenhang von übernommenen Risiken und Absicherungskosten zu einer rationalen Geschäftspolitik gezwungen, die Kosten der jetzt offiziellen staatlichen Absicherung steigen mit dem Risiko.

Weiterer Reformbaustein ist der neu geschaffene Markt für standardisierte kommunale Anleihen.

Mit diesem Schritt wird nicht nur der Wildwuchs der außerhalb der regulären Etats geparkten Schulden der Kommunen und Gebietskörperschaften reguliert, sondern durch den angeordneten Tausch der Schulden auch ein neuer Wertpapiermarkt geschaffen, der mit einem Volumen von 20 Billionen Yuan (knapp 3 Billionen Euro) starten soll. Gerade aus Sicht asiatischer Investoren dürfte der chinesische Markt durchaus attraktiv sein und ein Engagement dort schon aus politischen Gründen sinnvoll erscheinen.

Die chinesische Regierung geht die Reform des Finanzsektors kompetent und zielgerichtet an, hier liegen die Grundlagen für weitere Effizienzgewinne, die neues Wachstum in Gang setzen. China bleibt gerade auf längere Sicht der wohl attraktivste Markt unter den Emerging Markets. (mk)

Printausgabe 03/2015