Der Geist ist aus der Flasche

24.11.2013

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Das Überraschende an der aktuellen Diskussion um die Provisionsdeckelung bei der LV ist, dass der freie Vertrieb davon überrascht ist. Dabei hat sich ein Diskussionsbedarf schon lange abgezeichnet und es war und ist nur noch eine Frage der Zeit. Der freie Vertrieb wird vom Produktgeber in Zukunft intensiver auf der Kostenseite gesehen – dort, wo es Einsparungen zu machen gilt.

Der GdV schafft keine eigene Politik, er sammelt das Meinungsbild aus der Branche, auch hinsichtlich Vertriebskosten. So ergab es sich, dass ein internes Diskussionspapier der Presse zugespielt wurde. Über die strategischen Absichten des- oder derjenigen, die diese Indiskretion begingen, mag jeder selber rätseln.

Wie es begann – Das lancierte Papier des GdV

Worum geht es? Um den Griff in den Geldbeutel der unabhängigen Vermittler. Seit der Lancierung des Papiers des GdV dreht sich die Diskussion fast ausschließlich um die dort vorgeschlagenen Modelle der LV-Courtage für den freien Vertrieb. Modell Eins: Deckelung auf 40 Promille und Verdopplung der Stornohaftzeit von heute fünf auf 10 Jahre. Modell Zwei: Deckelung auf 35 Promille unter Beibehaltung der Stornohaftzeit von fünf Jahren. Bei beiden Modellen soll die Courtage insgesamt nicht höher sein als ein Jahresbeitrag. Soweit, so schlecht.

Vermittler in der Ausschließlichkeitsorganisation (AO) sind von den

Inhalten des GdV-Papiers wenig tangiert, denn die AO ist die

Größenordnung von ca. 40 Promille bei der LV gewohnt.

Der AO-Mitarbeiter erhält von seiner Organisation schließlich auch erhebliche Benefits, bis hin zur Altersversorgung, die der freie Vermittler sich selbst erarbeiten muss. Und genau dort liegt der wirtschaftliche Graben: Der freie Vertrieb ist stets Unternehmer, der mit spitzem Stift jeden verfahrenen Liter Benzin, jeden einzelnen Aufwand beim Beratungsgespräch als Kosten gegen die Erlöse aus eben diesen Beratungsgesprächen rechnen muss. Beim freien Vertrieb liegt die Courtage in der Regel über 40 Promille, daher käme die diskutierte Deckelung einem erheblichen Erlösverlust bei gleichzeitiger Haftungsausweitung in der Sparte LV-Geschäft gleich.

Was ist der Grund? Der freie Vertrieb wird zur Kostengröße. Was dem freien Vertrieb bislang entgangen war, ist die Tatsache, dass die Versicherer bereits seit Jahren an der Senkung ihrer Kosten arbeiten. Die Gründe sind vielfältig, wie z. B. Solvency II und der intensivere nationale und internationale Wettbewerb. Man differenziert bei den Kosten der Versicherer grob nach Gamma-, Beta- und Alphakosten: Die Gamma-Kosten sind Versicherungsleistungen; um diese zu senken betreiben Versicherer eine Risikoauswahl, erhöhen in Risikobereichen die Prämien oder trennen sich ganz von risikoreichen Sektoren. Dies ist ein dauerhaftes Vorgehen. Beta-Kosten sind hauptsächlich Betriebs- und Verwaltungskosten, die in den letzten Jahren enorm gesenkt wurden, die Einsparungspotenziale bei den Beta-Kosten sind daher weitgehend erschöpft. Alpha-Kosten sind Abschluss- und Vertriebskosten – also auch die Courtagen des freien Vertriebs. Die größten Kostensenkungs-Potenziale gibt es nur noch bei den Alpha-Kosten, daher ist damit zu rechnen, dass in den nächsten Jahren kräftig an dieser Kostenschraube gedreht wird. Für den freien Vertrieb bedeutet das, dass die Courtagen im LV-Geschäft (aber nicht nur da) mit Sicherheit unter Druck geraten und sich der in der AO üblichen Höhe langfristig annähern werden.

Die Folge: Rückzug der freien Vermittler aus dem LV-Geschäft. Ganz klar: Es wird Ausfälle geben. Zuerst werden die Grenzvermittler aus dem LV-Geschäft ausscheiden. Für diese wird sich das LV-Geschäft nach dem Inhalt des GdV-Papiers einfach nicht mehr lohnen. Bei denjenigen freien Vermittlern, die weiter einen Schwerpunkt in der LV-Beratung haben wollen, wird Konzentration erzwungen. Kleine Einheiten werden es im Hinblick auf die Senkung der Courtage und Ausweitung der Stornohaftung wirtschaftlich schwer haben, zu überleben. Sie werden zwecks Senkung der Fixkosten Zusammenschlüsse tätigen müssen und vermehrt über Pools arbeiten müssen. Wer hier keine gezielte Kundschaft und keine erfolgreichen Akquisekonzepte hat, wird in der LV Probleme bekommen.

Wie verändert sich die Branche? Sollte das GdV-Papier im Wesentlichen umgesetzt werden, so werden große Teile des freien Vertriebes das LV-Geschäft einschränken. Das LV-Geschäft wird sich nur noch bei einkommensstarken Zielgruppen wirklich lohnen, daher werden diese umkämpft, wohingegen sich die Beratung von einkommensschwächeren Mitbürgern wirtschaftlich wohl nicht mehr rechnen wird. Somit werden die, die eine unabhängige Beratung betreffs Altersvorsorge unbedingt brauchen, diese tendenziell nicht mehr erhalten. In diese vom freien Vertrieb verlassenen Marktlücken wird voraussichtlich die AO strömen, die ausschließlich ihre eigenen Produkte vermitteln und nicht unabhängig über die Breite des Marktes beraten.

Es ist daher mit einem großen Verlust von unabhängiger Beratung zu rechnen.

  • Der freie Vertrieb muss ausweichen, dies wird in die Bereiche biometrische Risiken, bAV und Komposit am besten funktionieren.
  • Klassische große Strukturvertriebe werden möglicherweise mit dem Inhalt des GdV-Papiers Probleme im LV-Geschäft bekommen, denn ihre derzeitige Organisationsform braucht eine bestimmte Provisionshöhe, um die Kaskaden der Organisation am Laufen zu halten. Hier werden in der Mitte der Struktur Einsparungen wahrscheinlich sein, was interne Konflikte auslösen könnte.
  • Die großen Gewinner könnten Pools sein: Sie sind Gegenleistungsmodelle und bieten dem Vermittler sogar Kostensenkungspotenziale, denn die Leistungen, die der Pool anbietet, müsste der Vertrieb ohnehin erbringen, nur wären diese in der Regel für ihn in Eigenleistung teurer. Es ist daher mit einem Bedeutungsgewinn der Pools im LV-Geschäft zu rechnen.

Die Gewinnung von Nachwuchs für den freien Vertrieb würde im Falle der Umsetzung des GdV-Papiers massiv erschwert werden. Welcher junge Mensch der Generation iPad wird sich ernsthaft mit einem Beruf auseinandersetzen, der wirtschaftlich derart belastet ist? Machen Sie den Test: Erzählen Sie heute noch einem 18-Jährigen, dass er für kleines Geld den ganzen Tag kompetent beraten soll, in seinem eigenen Auto auf eigene Kosten zu Terminen fahren soll und dann noch für zehn Jahre für die schmale Provision haftet. Der junge Mann oder die junge Dame wird heute Abend noch im Freundeskreis erzählen: „Ich hab' heute einen Verrückten getroffen!"

Fazit

Die fetten Jahre im LV-Vertrieb sind vorbei. Wir erleben eine Entwicklung, die sich schon lange angebahnt hat und wohl noch längst nicht vorbei ist. Der freie Vertrieb ist nicht mehr pauschal der Star der Versicherungswirtschaft, er ist auch zum Kostenfaktor geworden.

(Prof. Dr. Hans-Wilhelm Zeidler

langjähriger Vertriebsvorstand in der Versicherungsbranche)

Provisionsdeckelung bei Lebensversicherungen - Printausgabe 06/2013