Eine Krankheit wie jede andere?

31.10.2022

Philip Wenzel, Fachwirt für Versicherungen und Finanzen (IHK), Biometrie-Experte und Chefredakteur von worksurance.de / Foto: © Philip Wenzel

Philip Wenzel von der BSC GmbH ist Fachautor, Fachwirt für Versicherungen und Finanzen (IHK) und absoluter Biometrie-Experte. Er erläutert, ob und wie COVID-19 die Berufsunfähigkeitsversicherung beeinflusst.

Stephan Kaiser kann man mit den schlauen Worten zitieren, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung die einzige sei, die die beruflichen Tätigkeiten mit einer Krankheit verknüpfe. Damit ist an sich schon alles gesagt, um zu verstehen, wie COVID-19 die Berufsunfähigkeitsversicherung beeinflusst. Ich hole aber trotzdem mal etwas aus. Die BU-Versicherung leistet dann, wenn ich wegen Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall meine beruflichen Tätigkeiten für mindestens sechs Monate nur noch zur Hälfte ausüben kann oder bereits konnte. „Die Hälfte“ ließe sich über die Zeit, aber vor allem über das Arbeitsergebnis definieren.

Bevor ich auf das Offensichtliche komme, nämlich dass die Corona-Erkrankung eine Krankheit ist, möchte ich mal den Einfluss der Pandemie auf die beruflichen Tätigkeiten beleuchten. Um hier möglichst viele Aspekte gleichzeitig zu erfassen und auch anschaulich darzustellen, würde ich mal ein Beispiel erfinden. Mal angenommen, wir haben einen Maklerbetreuer, dessen Aufgabe es vor der Pandemie war, auf Messen sich am Stand die Beine in den Bauch zu stehen oder durch das ganze Land zu reisen, um Kontakte mit Vermittlern zu pflegen. Seit Corona passiert all das online. Mal angenommen, er hat eine Krankheit, die Medikamente erfordert, bei deren Einnahme er nicht mehr Autofahren darf. Dann wäre er in seinen alten Tätigkeiten berufsunfähig.

So, wie sein Beruf jetzt ausgestaltet ist, spielt das aber keine Rolle. Also ist er nicht BU. Es ließe sich mal diskutieren, ob sein jetziger Beruf auch der ist, den er zuletzt in gesunden Tagen ausgeübt hat. Auch wenn er nicht selbst krank war und sich deshalb umstrukturieren musste, war ja eine Krankheit der Grund dafür. Diese Argumentation steht aber tatsächlich auf tönernen Füßen. Aber dennoch ist die Tätigkeit in der jetzigen Ausprägung nicht der versicherte Beruf. Zumindest in meinen Augen.

Denn der versicherte Beruf muss mindestens drei Kriterien erfüllen:

  • Er muss den Lebensstandard prägen.
  • Er muss auf Dauer angelegt sein.
  • Er muss freiwillig gewählt sein.

In unserem erfundenen Fall trifft maximal das Kriterium mit dem Lebensstandard zu. Aber die anderen beiden auf keinen Fall. Trotzdem gibt es sicherlich auch einige Maklerbetreuer und auch andere Berufe, die gefallen an Homeoffice und Videokonferenzen gefunden haben und das auch jetzt weiter so fortführen. Dann kommt die Freiwilligkeit dazu und es ist auch auf Dauer angelegt. In dem Fall hätte die Pandemie dazu geführt, dass eine Berufsunfähigkeit in vielen Fällen erst später eintritt als vorher. Wenn wir die Krankheit als solche betrachten, dann lässt sich dazu nicht so viel sagen. Da kursiert gerade viel Halbwissen. Aber Tatsache ist, dass in der BU-Versicherung jede Krankheit versichert ist. Und deshalb ist auch COVID-19 und die Folgen versichert. So wie jede andere Krankheit auch. Darum muss Corona an sich nicht speziell bei den Gesundheitsfragen aufgeführt werden.

Es gibt gut 12.000 Krankheiten und davon sind tatsächlich nicht alle einzeln im Antrag aufgeführt. Und ich verrate euch auch, warum: „Es ist JEDE Krankheit mitversichert.“ Auch gibt es das Gerücht, eine Corona-Erkrankung führe zu einer Ablehnung. Das stimmt pauschal nicht. Es ist wie mit jeder Erkrankung. Solange diese nicht ausgeheilt ist, ist Versicherungsschutz nicht immer möglich. Ich selbst arbeite nicht besonders körperlich, aber als ich mir das Syndesmose-Band gerissen hatte, hätte ich mich auch nicht versichern können, bis es wieder beschwerdefrei ist. So ist das mit Corona auch.

Weil, und ich wiederhole mich hier absichtlich und sehr gern, es für die BU-Versicherung eine Krankheit wie jede andere auch ist. Wenn ich erst kürzlich COVID-19 hatte und immer noch kurzatmig bin, dann werden die Versicherer eher Abstand nehmen. Hinzu kommt selbstverständlich noch, dass der Akademiker am Schreibtisch hier wieder eher versichert werden kann als der Perlentaucher. Auch das ist bei jeder anderen Krankheit auch so. Eine reine Infektion muss also nicht zwingend zur Ablehnung führen. Es kommt auf die Schwere und Dauer des Verlaufs an, den zeitlichen Abstand und den Beruf. Mittlerweile gibt es die ersten Leistungsfälle, die mit Corona im Zusammenhang stehen oder tatsächlich durch COVID-19 ausgelöst wurden.

Das ist nicht weiter verwunderlich und es hält sich auch noch in Grenzen. Auch hier wird genauso geprüft, wie bei jeder anderen Erkrankung auch. Es kommt auf die Einschränkung im beruflichen Alltag an, die durch die Krankheit bedingt sind. Ich habe dazu zwar keine Daten, aber ich kann mir durchaus auch feststellen, dass die teilweise noch unerforschten Post- und Long-COVID-Fälle dann vielleicht eher mehr als altersentsprechender Kräfteverfall zu werten sind. Aber auch das macht keinen Unterschied. Denn sowohl Krankheit als auch Kräfteverfall können eine Leistung auslösen. Eine Häufung an Leistungsfällen, die die Kalkulation gefährden würde, ist bisher noch nicht zu sehen. Belegen lässt sich diese Aussage dadurch, dass kein einziger BU-Versicherer seine Brutto-Prämie über den § 163 VVG angepasst hat.

Und man kann durchaus sagen, dass auch ein gewissenhafter Aktuar die Pandemie nicht hätte voraussehen können. Hier hätten Versicherer durchaus auch ohne Imageschaden Kalkulationsfehler aus der Vergangenheit vertuschen können. Haben sie aber nicht. Vielleicht gibt es auch keine Kalkulationsfehler. Aber Fakt ist, dass Corona es bisher nicht notwendig machte. Vielleicht liegt das teilweise auch daran, dass wir in den letzten zwei Jahren in vielen beruflichen Bereichen zu mehr Flexibilität gezwungen wurden, so dass wir jetzt auch schneller auf gesundheitliche Einschränkungen reagieren können, bevor wir zu 50 % berufsunfähig werden. Unterm Strich lässt sich sagen, dass Corona für die BU-Versicherung eine Krankheit wie jede andere auch ist, die keine besondere Aufmerksamkeit in den Prozessen der Risikoprüfung oder Leistungsfallprüfung erfordert. Ob Post- oder Long-COVID noch zu einer Häufung von Leistungsfällen führen wird, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, aber bisher scheinen die Kalkulationen der Versicherer auszureichen.

Gastbeitrag von Philip Wenzel, Fachwirt für Versicherungen und Finanzen (IHK) Biometrie Experte, Fachautor BSC GmbH