EU-Kleinanlegerstrategie: Top oder Flop?

29.05.2024

Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski. Foto: privat

Am 24.4.2024 stimmte das Europäische Parlament mehrheitlich dafür, mit diversen Änderungsvorschlägen zu dem von der EU-Kommission vorgelegten Entwurf einer Kleinanlegerstrategie in die nun dazu anstehenden Verhandlungen mit der Kommission und dem Rat der EU – den sogenannten Trilogverhandlungen – zu gehen. Im Kern soll den Kleinanlegern der Zugang zum Kapitalmarkt erleichtert werden – insbesondere sollen sie deutlich bessere Ergebnisse erzielen können, als dies bisher der Fall ist.

Um Abhilfe zu schaffen, will die Europäische Kommission die Kleinanlegerstrategie in acht Schwerpunkten umsetzen. Die Kommission begründet allerdings nicht, warum sie glaubt, dass die acht Schwerpunkte, die sie setzt, letztlich dazu führen werden, dass die Kleinanleger am Kapitalmarkt deutlich bessere Ergebnisse erzielen werden, als dies bisher der Fall ist. Wenn die Kommission dieses Ziel tatsächlich im Auge hätte, so müsste sie die Frage stellen, wieso die Kleinanleger ihr Geld nicht in Fonds investieren, die nach dem MSCI-World anlegen. Der MSCI-World hat in den letzten Jahrzehnten durchschnittlich eine Rendite um 10% im Jahr erwirtschaftet (Für Kleinanleger gibt es inzwischen das Portal OSKAR, bei dem man 25 € pro Monat einzahlen kann und eine ähnliche Rendite erzielt, vergleichbar dem MSCI-World).

I. Informationspflichten

Versicherungsvermittler und VU, die Versicherungsanlageprodukte vertreiben, sollen in ihren Informationsmaterialien, die Kleinanlegern zur Verfügung gestellt werden, angemessene Warnhinweise aufnehmen, mit denen auf die spezifischen Risiken potentieller Verluste bei besonders riskanten Versicherungsanlageprodukten und gegebenenfalls zugrunde liegenden Anlagevermögenswerten aufmerksam gemacht wird (Neuer Art.29 Abs. 5 und neuer Art.12 Abs.3 lit.q lDD).

Es ist nicht ganz leicht zu verstehen, wieso es zusätzlicher Warnhinweise vor Verlustrisiken bedarf. Schon heute darf der Versicherer (§7c 1 VVG) dem Versicherungsnehmer nur Versicherungsanlageprodukte empfehlen, die für diesen geeignet sind und insbesondere dessen Risikotoleranz und dessen Fähigkeit, Verluste zu tragen, entsprechen. Aus der Tatsache, dass das Anlageprodukt für den VN geeignet sein muss, folgt, dass dieses Produkt in der Lage sein muss, die Ziele, die ein VN verfolgt, zu erfüllen.

Mit anderen Worten: Es kann denklogisch gar nicht möglich sein, dass es zusätzliche Verlustrisiken gibt, die in der Geeignetheitsprüfung nicht berücksichtigt worden sind.

II. Provisionsregelungen

Noch der Entwurf der neuen Richtlinie sah ein Provisionsverbot für Makler als unabhängige Sachwalter des Kunden vor. Dieses Provisionsverbot hat das Europäische Parlament verworfen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, da die Kleinanleger frei wählen können, von wem sie sich beraten lassen wollen. Da die Märkte für Vermittlungsleitungen in Deutschland und Europa nicht vermachtet sind, gab und gibt es keinerlei Hinweise auf ein Marktversagen; jedes Provisionsverbot wäre automatisch mit dem Europäischen Primärrecht nicht zu vereinbaren gewesen.

III. Best-Interest-Test

Schon heute müssen Versicherer und Vermittler „stets ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse der Versicherungsnehmer handeln (§1a VVG). Dieses Konzept (Grundlage Art. 17 RL (EU) 2016/97 IDD) soll durch den Best-Interest-Test ersetzt werden (Neuer Art. 29 b und geänderter Art). 30 IDD . Danach muss die Beratung auf eine angemessene Auswahl an Versicherungen gestützt werden (1). Empfohlen werden muss das kosteneffizienteste Produkt (2). Aus den als geeignet eingestuften Produkten muss das empfohlen werden, das die Anlageziele erreicht, ohne zusätzliche Kosten zu verursachen.

Sollte die Kommission mit dem Begriff der Kosteneffizienz in Wirklichkeit die niedrigsten Vermittlungskosten meinen, so läge darin ein rechtswidriger Eingriff in die Freiheit des Wettbewerbs auf den Märkten für Vertriebsentgelte. Die Kommission würde gegen Art. 119, 120 AEUV verstoßen.

Das Gleiche gilt mit Blick auf das 3. Merkmal, wonach prinzipiell Produkte empfohlen werden müssen, die ohne Kapitalgarantie oder strukturierte Absicherungselemente auskommen. Wieso solche Produkte prinzipiell besser als andere sind und woher die Kommission dieses Wissen nimmt, lässt sich aus der Richtlinie nicht ableiten.

IV. Eignungs- und Angemessenheitsprüfung

Schon heute müssen Versicherer und Vermittler nach §7c Abs. 2 VVG prüfen, ob das Versicherungsprodukt für den Versicherungsnehmer angemessen ist.

Dieses Konzept will die Kommission vertiefen und detailreicher gestalten (Art. 30 Abs. 1 IDD-neu). Es sollen Informationen eingeholt werden über die Zusammensetzung etwaiger bestehender Anlageportfolios (bisher sind nur die allgemeinen Informationen zu den finanziellen Verhältnissen einzuholen).

Wieso das tradierte und erprobte Konzept der Geeignetheitsprüfung noch stärker als bisher ausdifferenziert wird, begründet die Kommission nicht.

Problematisch ist, dass sich ein Vermittler mit der Zusammensetzung etwaiger Anlageportfolios beschäftigen soll. Damit wird die Grenze zwischen der Produktberatung und einem ganzheitlichen Financial-Planning-Ansatz überschritten. Vor allem hat ein Versicherungsvermittler keine Erlaubnis, über Finanzprodukte in einem Anlageportfolio zu beraten und umgekehrt der Finanzexperte über keine Erlaubnis nach §34d GewO.

V. Preisbildungsverfahren – Produktüberwachung

Laut Kommission ist das Preis-Leistungs-Verhältnis einiger Anlageprodukte für Kleinanleger, insbesondere wegen der hohen Produktkosten, häufig nicht angemessen. Es soll im Rahmen des Produktgenehmigungsverfahrens in Zukunft Preiskontrollen und Preisobergrenzen (Referenzwerte) geben. Die Aufzeichnungen dazu müssen der zuständigen Aufsichtsbehörde auf deren Ersuchen zur Verfügung gestellt werden.

Mit diesen Regulierungsvorgaben greift die Kommission massiv in den freien Produkt- und Vertriebswettbewerb ein und verletzt damit Artt. 119, 120 AEUV ebenso wie das europäische Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art. 5 EUV). Darin liegt kein Fort-, sondern ein massiver Rückschritt, der den Kleinanlegern schadet.

VI. Marketing

Die Vermittler sollen einmal jährlich Bericht über die eingesetzten Marketingmitteilungen und Methoden erstatten. Aufsichtsbehörden sollen tätig werden, wenn die neuen Anforderungen für Marketingmitteilungen nicht eingehalten werden. Vermittler müssen darüber Aufzeichnungen machen und 7 Jahre bereitstellen.

Es entsteht Bürokratie zulasten der Versicherer und Finanzinstitutionen und der Aufsichtsbehörden. Ob dem Kleinanleger damit in irgendeiner Weise gedient ist und er insbesondere an den Erträgen am Kapitalmarkt besser als bisher beteiligt wird, bleibt ungeklärt.

VII. Berufliche Anforderungen

Die Kommission will die Anforderungen zum Nachweis der Finanzkenntnisse und Fähigkeiten für Versicherungs- und Finanzberater standardisieren und vereinheitlichen (Geänderter Art. 10 und geänderter Anhang I IDD). Dies alles ist nachvollziehbar und durchaus zweckmäßig. Je besser die Finanzberater ausgebildet sind, desto besser werden auch die Kunden beraten werden.

VIII. Förderung der Finanzkompetenz

Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf (Neuer Artikel 16a IDD.), Finanzbildungsmaßnahmen auf nationaler Ebene zu fördern.

Was die Kommission letztlich genau unter dem Begriff Finanzwissen versteht, bleibt offen. Aber der Grundgedanke, dass ein besseres Finanzwissen den Menschen die Möglichkeit gäbe, insbesondere Altersarmut vorbeugend zu vermeiden, ist mit Sicherheit zutreffend.

Alternative: Handlungsempfehlung

Das Grundziel der Kommission ist, die Kleinanleger an den Ergebnissen der Kapitalmärkte besser als bisher zu beteiligen. Dieses Ziel, so zeigen die Berechnungen des Finanzwissenschaftlers Maurer, ist ohne Weiteres erreichbar. Allerdings nicht durch die Vorschläge der Kommission zur Kleinanlegerstrategie. Die Kleinanleger könnten aber angemessen und wirkungsvoll an den Ergebnissen des Kapitalmarktes beteiligt, wenn der europäische und/oder nationale Gesetzgeber dafür sorgen würde, dass sie Geldbeträge über sehr lange Zeiträume nach dem Konzept des Lebenszyklusportfolios anlegen würde (Maurer/Schwintowski, Die Generationenrente ab Geburt: Vorschlag für eine Altersarmut vermeidende ergänzende kapitalgedeckte Alterssicherung, SAFE Whitepaper Nr. 90, August 2022).

Letztlich ging es Maurer darum, zu zeigen, dass man mit einer Einzahlung von 5.000 € ab Geburt über eine Laufzeit von 63 Jahren bereits eine auskömmliche Altersrente erreichen kann. Verlängert man die Laufzeit auf das Endalter 67, so kann die monatliche Rente beim Lebenszyklusportfolio 3.084 € betragen.

Das Hauptproblem der Kleinanleger besteht nicht in den Informations- und Beratungspflichten, sondern darin, dass sie das Kapital, das ihnen zur Verfügung steht, viel zu kurzfristig anlegen und vor allem, dass die von ihnen gewählten Aktienquote viel zu niedrig ist. Das Grundziel der Kommission mit Blick auf die Kleinanlegerstrategie müsse also sein, die Aktienquote für die Kapitalanlage der Kleinanleger ganz erheblich zu erhöhen.

Ferner sollte die Kommission durchsetzen, dass bei jedem Versicherungs- und Finanzprodukt zwischen dem Produktpreis und dem Vertriebspreis getrennt würde.

Selbstverständlich kann ein Kleinanleger aber auch völlig andere Ziele als eine angemessene Altersrente verfolgen. Für diese anderen Ziele kann es sehr unterschiedliche Anlagestrategien geben.

Ein professioneller Kapitalanleger würde übrigens die Kosten der Beratung nicht scheuen, da er genau weiß, dass er nur bei guter Beratung auch ein gutes Anlageportfolio zusammenstellen kann.

Vermeiden sollte der Gesetzgeber den Eindruck, dass eine gute Beratung nichts kostet und dass ein Kleinanleger sich dies womöglich gar nicht leisten kann.

Genau das Gegenteil ist richtig: Gerade der Kleinanleger benötigt eine besonders gute Beratung. Je besser die Beratung ist, desto größer ist die Chance, dass aus einem kleinen Geldbetrag bei langer Anlagedauer ein angemessener großer Betrag wird.

Gastbeitrag von Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski, Rechtswissenschaftler, Autor und Hochschullehrer.