Heimlich, still und leise

29.10.2014

Seit einigen Wochen tritt das Heidelberger Unternehmen DEFINO Deutsche Finanz Norm® verstärkt in den Blickwinkel der Vermittlerbranche. Während es in den vergangenen Jahren lediglich im Namen mit dem Normierungsbegriff spielte, macht es nun mit zwei Normvorschlägen („DIN SPECs") ganz formal von sich reden und schafft dabei Fakten.

Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die Initiatoren den normalerweise mehrjährigen Markttest der versicherungsbezogenen DIN SPEC 77222 abbrechen und den noch nicht einmal voll im Markt wahrgenommenen Vorschlag schon jetzt beim DIN zur endgültigen Prüfung angemeldet haben. Schafft hier ein relativ kleiner Marktteilnehmer wirklich einen Standard für die Zukunft? Man kann sich dieser erstaunlichen Entwicklung nur nähern durch einen Exkurs zum Thema „DIN-Normen". In diesem Fall geht es um ein Software-Scoring, das vom DIN Deutsches Institut für Normung e.V. in einem formalistischen zweistufigen Verfahren zum Standard erhoben werden soll. Jeder kann ein solches Verfahren initiieren, das mit einer vorläufigen Spezifikation beginnt (DIN SPEC), im Markt getestet und einige Jahre später abschließend auf die Normierungsfähigkeit geprüft wird. Ob es am Ende zu einer Norm kommt, ist somit offen, und selbst an diese muss sich anschließend niemand halten. Andere Branchen zeigen aber, dass DIN-Normeneinige Sogwirkungen erzeugen.

Im Finanzbereich gibt es bislang so gut wie keine Normen. Ausnahme: Die wenig bekannte DIN ISO 22222, die Qualifikationen und Arbeitsweise von Financial Plannern festlegt, also eine personenbezogene Norm. Das Fehlen von Normen für Beratungsprozesse wurde immer wieder bemängelt, zum Beispiel 2008 in der Studie „Anforderungen an Finanzvermittler" des Bundesverbraucherministeriums. Die Situation erschwert Bemühungen um Beratungsqualität – schon weil Tests und Zertifizierungen ohne Norm schwierig sind. Dass DEFINO nun für die Verbreitung seines Software-Scorings die DIN-Karte spielt, war ein geschickter Schachzug, der viele Marktteilnehmer aktuell auf dem falschen Fuß erwischt. Denn die Entwicklung ist gleichzeitig positiv wie fragwürdig.

Die DEFINO-Spezifikation hat eine lange Entstehungsgeschichte und erscheint auf den ersten Blick plausibel. Kundendaten werden systematisch über alle Sparten erfasst und mit einer festgelegten Mindestdeckung abgeglichen. So errechnet sich ein „Finanzscore" des Kunden. Die Grundannahmen und Priorisierungen decken sich dabei teilweise mit dem, was auch die Brancheninitiative „Arbeitskreis Beratungsprozesse" seit Jahren empfiehlt. Dennoch weht den DIN-Initiatoren auch Kritik entgegen. Sie entzündet sich schon daran, dass DEFINO teilweise den Eindruck erweckt, sein Angebot entspreche einer endgültigen Norm („DEFINO ist DIN Standard"), was nicht der Fall ist. Auf der Webseite von DEFINO findet man die zutreffendere Formulierung: „Ein erstes Arbeitsergebnis der Gesellschaft für Finanznorm ist DEFINO Deutsche Finanz Norm®, die als Vorlage für die Entwicklung der DIN SPEC 77222 ,Standardisierte Finanzanalyse für Privathaushalte' beim Deutschen Institut für Normung (DIN) diente." Am Markt wird kritisch betrachtet, dass die Initiatoren mit dem kostenträchtigen DIN-Verfahren konsequent Fakten schaffen wollen und dabei nur punktuell die Öffentlichkeit suchen. Im Sommer wurde durch Zufall bekannt, dass DEFINO mit einer weiteren Initiative, der DIN SPEC 77223, den Ansatz auf die Anlageseite übertragen will – und zwar in der Rekordzeit von geplant acht Monaten. Der Arbeitskreis Beratungsprozesse, seit vielen Jahren für Prozessstandards und Beratungshilfen engagiert, wird sich nun in das Verfahren einbringen und auch der Rest der Branche sowie der Verbraucherschutz wachen allmählich auf.

In Vermittlerkreisen heiß diskutiert wird die Beschränkung auf eine rein finanzielle Deckungslücken- betrachtung. Die DEFINO-Software prüft in einer Rundum-Analyse – also nicht auf Beratungsanlässe bezogen – nach einer festgelegten Logik, ob der Versicherungsschutz beim Kunden komplett ist und die vorgegebenen monetären Deckungshöhen erreicht. Das ist weder neu, noch wird hier ein sonderlich dickes Brett gebohrt. Softwareanbieter wie etvice oder Rendite 2000 boten vor Jahren bereits Vergleichbares, und gerade von Strukturvertrieben kennt man die Praxis, dem Kunden in erster Linie folgenschwere Deckungslücken vorzurechnen, um leichter zum Abschluss zu kommen. Die unverzichtbare Auseinandersetzung mit den Bedingungswerken ist nicht Teil der aktuellen DIN SPECs. Von den Initiatoren heißt es dazu erklärend: Software, die nach der vorgeschlagenen Spezifikation prüft, sei mit einem Blutbild in der Medizin vergleichbar – die eigentliche Arbeit des Arztes beginne dort auch erst danach.

Es muss sich zeigen, ob eine solche DIN-Spezifikation, die nur einen Ausschnitt des Beratungsprozesses abdeckt, praxisgerecht und vor allem verbraucherorientiert ist. Im schlimmsten Fall entsteht unter der Flagge „DIN" ein Verkaufstool ohne die durch das DIN-Siegel suggerierte fachliche Tiefe. Ein seltsames Bild lieferte DEFINO-Geschäftsführer Dr. Klaus Möller jedenfalls, als die „Welt" ihn kürzlich mit den Worten zitierte, individuelle Beratung passe nicht mehr in die Zeit. Der Anspruch der Ganzheitlichkeit wird auch schwer aufrecht zu erhalten sein, wenn DEFINO-Mitentwickler wie der Finanzvertrieb Formaxx auch weiter drei Viertel ihres Geschäfts im Leben-Bereich machen wollen. Nicht wenige Vermittler dürften versucht sein, ein grünes Licht in der Software ungeprüft durchzuwinken. Eine Privathaftpflicht jedoch, die mit einer Deckungshöhe von 3 Mio. Euro einen „100 %"-Wert bei DEFINO erzielt, kann existenzgefährdende Lücken und Ausschlüsse enthalten. In diesen Fällen wäre es mit der behaupteten Haftungssicherheit nicht weit her. Umgekehrt dürfte mancher Kunde einem Vermittler mit Unverständnis begegnen, der handwerklich korrekt die Bedingungen einer mit „100 %" bewerteten Police thematisiert. Eine Reihe von Marktteilnehmern – vornehmlich Finanzvertriebe und Pools, aber auch die Honorarberatungsplattform con.fee – wollen die DEFINO-Software künftig einsetzen. Ob aber der Markt den Normierungsvorstoß am Ende in der Breite akzeptieren wird, ist offen. Die Diskussion ist jedenfalls eröffnet. _(hwt)

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Beratungssoftware - Onlineausgabe 04/2014