KI und KI-R-A werden Wirtschaft und Welt verändern

09.02.2024

Jens-Uwe Meyer. Foto: Die PRofilBerater

Die künstliche Intelligenz wird künftig der stärkste Changetreiber in unserer Gesellschaft sein. Davon ist Dr. Jens-Uwe Meyer, Vorstandsvorsitzender der Innolytics AG, Leipzig, Digitalisierungs- und Innovationsexperte, Vortragsredner und Buchautor („Die KI-Roadmap: Künstliche Intelligenz im Unternehmen erfolgreich einsetzen“), überzeugt. Das haben viele Mittelständler noch nicht erkannt.

finanzwelt: Herr Dr. Meyer, ist das Thema KI ein durch ChatGPT ausgelöstes Modethema oder mehr?

Jens-Uwe Meyer: Das Ausprobieren und Arbeiten mit diesem Chatbot sorgte bei vielen Personen und Organisationen für einen Wow-Effekt in Sachen künstliche Intelligenz. Den meisten ChatGPT & Co-Nutzern ist aber noch nicht bewusst, welch verändernde Kraft für unsere Wirtschaft und Gesellschaft noch in der KI steckt.

finanzwelt: Können Sie das erläutern?

Meyer: Nun, aktuell werden KI-Lösungen vor allem in den Dienstleistungsbereichen der Unternehmen genutzt.

finanzwelt: Wie zum Beispiel im Marketing- und Controllingbereich?

Meyer: Ja. In der Produktion kommen sie bisher aber nur sehr punktuell zum Einsatz. So zum Beispiel bei der Qualitätskontrolle. Das wird sich aber rasch ändern.
KI-R-A wird ein sehr starker Changetreiber sein: Weil sich aus der Verbindung der künstlichen Intelligenz mit der Robotik und Automatisierungfür die Unternehmen gan z neue Möglichkeiten ergeben. Mit KI-R-A können Unternehmen nicht nur einzelne Tätigkeiten effektivieren, sondern ganze Geschäftsprozesse neu gestalten und zum Teil sogar neue Geschäftsmodelle realisieren. Heute ist es keine Utopie mehr, dass in naher Zukunft KI-Lösungen in den Unternehmen nicht nur deren neue Produkte entwickeln, sondern auch deren Produktion steuern; außerdem deren Auslieferung an die Kunden managen sowie deren dortigen Einsatz steuern und überwachen.

finanzwelt: Der Automatisierungsprozess wird sich also aufgrund des verstärkten Einsatzes selbstlernender KI-Systeme rasant beschleunigen.

Meyer: Und immer mehr Tätigkeitsfelder umfassen.

finanzwelt: Mit welchen Konsequenzen?

Meyer: Unter anderem einer radikalen Steigerung der Effizienz. Das macht vielen Menschen Angst, denn sie befürchten: Dann entfällt mein Arbeitsplatz. Das wird teilweise der Fall sein. Doch nicht nur aus unternehmerischer, sondern auch gesellschaftlicher Sicht ist die Automatisierung schlicht nötig.

finanzwelt: Warum?

Meyer: Weil aufgrund des demografischen Wandels viele Aufgaben schlicht automatisiert werden müssen, damit sie überhaupt noch in einer hohen Qualität erbracht werden können - und bezahlbar bleiben?

Die Kompetenz in Sachen KI gezíelt ausbauen

finanzwelt: Ist den Unternehmensführern bewusst, vor welch tiefgreifenden Veränderungen die Wirtschaft und somit ihre Unternehmen stehen?

Meyer: Etwa zehn Prozent von ihnen, ja. Nicht wenige glauben aber sogar noch: Das Thema künstliche Intelligenz ist für uns völlig irrelevant. Entsprechend gering ist ihre Motivation Zeit und Geld in entsprechende Weiterbildungen und das Entwickeln von KI-Strategien zu investieren. Speziell bei vielen Mittelständlern besteht meines Erachtens die Gefahr, dass sie den Anschluss verlieren.

finanzwelt: Was sollten die Entscheider dort tun, um selbst fit für den Wandel zu werden?

Meyer: Sie sollten, falls noch nicht geschehen, einfach mal solche Programme wie ChatGPT und Google Bard ausprobieren und mit ihnen Experimente durchführen. Also sich von ihnen beispielsweise mal eine Arbeitsanweisung schreiben oder einen Businessplan erstellen lassen. Wenn Entscheider das tun, sind sie in der Regel von den Ergebnissen positiv überrascht. Also beginnen sie darüber nachzudenken, inwieweit ließe sich durch den KI-Einsatz eventuell die Arbeit in gewissen Bereichen unseres Betriebs effektivieren oder gar revolutionieren.

Eine KI-Vision und -Roadmap entwickeln

finanzwelt: Was sollten die Entscheider tun, um die nötigen Veränderungsprozesse in ihrer Organisation in Gang zu setzen?

Meyer: Zunächst eine KI-Roadmap entwickeln. Im ersten Schritt gilt es dabei, die möglichen Potenziale für eine Automatisierung mit Hilfe der KI zu identifizieren; danach die Potenziale zu konkreten Anwendungsfällen weiterzuentwickeln und Ziele zu definieren.

finanzwelt: Wie wichtig ist dabei eine Vision, wohin das Unternehmen sich entwickeln soll?

Meyer: Extrem wichtig; auch um möglichst wenig Zeit zu verschwenden. Denn während zurzeit die einen Unternehmen noch überlegen, ob sie sich mit dem Thema KI überhaupt befassen sollen, automatisieren andere mit ihrer Hilfe bereits ihre Prozesse.

finanzwelt: Wie kann diese Vision entwickelt werden?

Meyer: Am Anfang steht stets die Überlegung, welchen Nutzen könnte unser Unternehmen aus einem KI-Einsatz ziehen: Wo werden Prozesse effizienter? Wo erhöht sich die Qualität? Wo bauen wir strategische Wettbewerbsvorteile auf? Die Antworten auf solche Fragen bilden die Basis für die Entwicklung einer Vision. Hilfreich dabei ist es zum Beispiel oft, sich vorzustellen, was müsste geschehen, welche Entscheidungen müssten getroffen werden, damit in unserem Unternehmen alle Prozesse – vom Auftragseingang bis zur Zustellung – vollautomatisch ablaufen. Die Ergebnisse eines solchen Gedankenspiels sind zwar meist noch unrealistisch, es entsteht aber eine Vorstellung davon, in welche Richtung die Unternehmensentwicklung läuft. Hiervon ausgehend können dann kleinere Projekte und Entwicklungsziele definiert werden.

finanzwelt: Was ist der größte Stolperstein beim Realisieren der Version?

Meyer: Die Unternehmenskultur. Aktiv werden bedeutet gerade bei Mittelständlern in der Regel nicht, zunächst einige KI-Experten einzustellen oder gar eine KI-Abteilung aufzubauen. Mitunter genügen ein, zwei Schulungen und einige Prozessveränderungen und schon können erste KI- Anwendungen im Betrieb eingesetzt werden. Es können also „Piloten“ – auch zum Kompetenzaufbau – gestartet werden. Doch dieser Prozess muss von oben angestoßen und gepuscht werden. Sonst verändert sich im Unternehmen nichts. (fw)