Klagen auf hohem Niveau

06.01.2023

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Das Klagen über den Mangel an Fachkräften ist so groß, als stünde die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands auf dem Spiel. Eine breit angelegte Studie zeigt, dass die Lösung des Problems quasi vor der Bürotür liegt. Die Mehrheit der Beschäftigten setzt bei der Arbeitgebersuche nämlich auf ein Angebot in der betrieblichen Altersversorgung. Man muss es einfach nur machen.

Das Potenzial der bAV für die Gewinnung und Bindung von neuen Mitarbeitenden ist so hoch wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr: 37 % der Arbeitnehmer haben sich wegen der bAV für ihren derzeitigen Arbeitgeber entschieden. Für 50 % ist sie ein wichtiger Grund, bei ihrem jetzigen Unternehmen zu bleiben. Trotz eines hart umkämpften Arbeitsmarkts verstehen aber erst 30 % der Unternehmen die bAV als wichtiges Differenzierungsmerkmal im „War for Talents“. Das zeigt die neue Studie „Future of Pensions“ der Unternehmensberatung WTW. „Die Bedeutung der bAV hat in den vergangenen Jahren zugenommen, weil die Generationen, die nun in den Arbeitsmarkt drängen, wissen, dass sie sich um ihre Altersvorsorge selbst kümmern müssen“, sagt Dr. Johannes Heiniz, Senior Director Retirement bei Willis Towers Watson GmbH. „Während die früheren Generationen gut durch die gesetzliche Rente versorgt sind, wird sie für kommende Generationen kaum mehr ausreichend sein. Umso mehr erstaunt es, dass Unternehmen – gerade angesichts des Fachkräftemangels – nicht noch stärker auf die bAV setzen, um neue Talente für sich gewinnen und zu binden.”

Gemischte Systeme gefragt

Laut der Studie „Future of Pensions“ bieten 60 % der befragten Unternehmen eine branchenübliche bAV-Versorgung an. 10 % möchten lediglich die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllen. Bislang messen erst 30 % der bAV eine größere Bedeutung zu und setzen sie aktiv als Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb um Talente ein. Dabei zeigen Umfragen wie der „Global Benefits Attitudes Survey“ von WTW deutlich, dass die bAV aus Sicht der Beschäftigten ein entscheidender Faktor für die Arbeitgeberattraktivität ist. Einer der Gründe ist die Tatsache, dass bAV-Beiträge steuerbegünstigt sind. Daher bieten fast drei Viertel der befragten Unternehmen gemischt finanzierte bAV-Systeme an, in welche Beiträge nicht nur vom Unternehmen, sondern auch von den Mitarbeitenden selbst (über Entgeltumwandlung) einfließen. „Die hohe Attraktivität der bAV liegt auch darin begründet, dass Mitarbeitende ihrem Arbeitgeber in der Regel vertrauen, ein qualitativ hochwertiges Vorsorgeangebot zu unterbreiten und dabei uneigennützig zu handeln, während bei der privaten Altersvorsorge die Anbieter dieses Grundvertrauen nicht immer genießen“, sagt Dr. Heiniz. Etwa drei Viertel der Unternehmen gaben an, in ihrem modernsten Pensionsplan ein kapitalmarktorientiertes Zinsmodell anzuwenden. Vor dem Hintergrund, dass 60 % der Arbeitgeber nicht mehr bereit sind, das Zinsrisiko zu übernehmen, erstaunt dies nicht. Durch die Verwendung kapitalmarktorientierter Zinsmodelle werden Zinsrisiken – aber auch Renditechancen – auf Mitarbeitende übertragen. Das passt auch zu den Vorstellungen der Mitarbeiter. 82 % der Unternehmen schätzen den Stellenwert einer Kapitalmarktbindung aus Sicht der Mitarbeitenden als mindestens wichtig ein. Angesichts der aktuellen Inflation ist das ein wesentlicher Aspekt: 74 % sagen, dass ein Pensionsplan Schutz gegen Inflation bieten sollte. „Der Schlüssel zum Erfolg für eine zukunftsfähige und werthaltige bAV liegt in der direkten Kopplung der bAV an die Kapitalmärkte und in intelligenter Plangestaltung“, sagt Dr. Heiniz.

Garantien können teuer sein

Bislang wurde bei kapitalmarktorientierten bAV-Systemen in aller Regel mindestens die Höhe der eingezahlten Beiträge garantiert. Allerdings gilt: Je umfangreicher die Garantien, desto konservativer sind die Assetportfolios zu konzeptionieren. Im Niedrigzinsumfeld führte dies zu sehr geringen erwarteten Renditen. Versicherer haben deshalb seit einiger Zeit begonnen, Garantien auf unter 100 % der Beiträge abzusenken, um weiterhin attraktive Renditen erwirtschaften zu können. Auch in modernen fondsbasierten Pensionsplänen finden sich immer häufiger Garantieniveaus unterhalb von 100 %. „Die Möglichkeit, ein Garantieniveau unterhalb der Beitragssummen zu verankern, erweitert das Gestaltungsspektrum betrieblicher Altersversorgung signifikant“, so Dr. Heiniz. Sie eröffne die Chance, neue Wachstumspfade für die bAV einzuschlagen, sei es auf Basis von neueren Lebensversicherungstarifen, in fondsbasierten Zusagen oder in der reinen Beitragszusage. „Entscheidend hierbei ist, dass Sicherheit nicht ausschließlich auf Garantien basieren muss“, erklärt der bAV-Experte: „Moderne Pensionspläne nutzen gezielt die Vorteile der bAV als kollektive Vorsorgeform. Durch intelligente Puffer- und Renditeverteilungskonzepte wird Absicherung auf Einzelpersonenebene auch abseits ‚harter‘ Garantien gewährleistet.“

Es muss schon kommuniziert werden

Und wie sehen Mitarbeiter diesen Trend? Während im Jahr 2017 noch 78 % angegeben haben, dass ihnen Sicherheit wichtiger als Rendite sei, sind es jetzt 69 %. „Die Studienergebnisse zeigen, dass die Differenzen zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen bezüglich des Rendite-Risiko-Verhältnisses kleiner werden“, sagt Dr. Heiniz. „Arbeitgeber sollten trotzdem sehr sensibel mit diesem Thema umgehen und jegliche Änderungen durch Kommunikationsmaßnahmen eng begleiten.“ Ein weiterer wichtiger Stellhebel für die attraktive Gestaltung der bAV ist Flexibilität bezüglich der Auszahlungsoptionen. Zwei Drittel der Unternehmen gaben an, einen weitgehenden Auszahlungsmix bestehend aus Rente und Kapital oder Raten in ihrem modernsten Pensionsplan anzubieten. Damit sind Unternehmen auf dem richtigen Weg: Rund die Hälfte der Mitarbeiter wünscht sich mehr Flexibilität bei den Auszahlungsmöglichkeiten. Hier sind insbesondere intelligente Verrentungsmodelle gefragt, die bei einigen Unternehmen auch schon in die Tat umgesetzt sind.

Aber was nützt das beste bAV-Angebot, wenn die Mitarbeiter es nicht wahrnehmen oder aufgrund der oftmals hohen Komplexität nicht verstehen? Die Mehrheit der Unternehmen (71 %) setzt bei der Kommunikation ihres bAV-Angebots auf klassische Kanäle wie E-Mail oder Print. Mit Blick auf die Zukunft gaben 34 % der Unternehmen an, künftig auch auf Apps setzen zu wollen. Dem gegenüber steht die Sicht der Mitarbeitenden: Nur 25 % der Befragten fühlen sich durch das Angebot ihres Unternehmens bei der Vorbereitung ihrer Rentenphase unterstützt – hier herrscht Handlungsbedarf. Hingegen fühlen sich unter den Mitarbeitern, die regelmäßig Apps zur Verfolgung ihrer Altersversorgung nutzen, 84 % gut unterstützt. (hdm)