Perfektionismus – wie können denn 90 % gut genug sein?

09.07.2021

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In der letzten Ausgabe der Finanzwelt habe ich bereits über meinen Weg in und aus meinem Burnout berichtet. Heute möchte ich auf ein Phänomen eingehen, dass mich auf dem Weg dabei eng begleitet hat: der Perfektionismus.

Manche sehen Deutschland als ein Land von Perfektionisten. Angeblich sind zwei Drittel der Deutschen Perfektionisten. Die Hälfte davon funktionabel – sie können also gut damit umgehen. Die andere Hälfte nicht so sehr. Diese Gruppe leidet darunter und wird unter Umständen dadurch sogar krank.

Perfektionisten als Führungskraft und Entscheider

Im Rückblick kann ich gar nicht sagen, ob ich mich zu der Gruppe zähle, die unter dem Perfektionismus gelitten oder davon profitiert hat. Ich schätze beides. Perfektionisten sichern alles ab, antizipieren Probleme, die andere gar nicht kommen sehen und liefern in der Regel sehr hohe Qualität in ihrer Arbeit ab. Für meine Karriere waren dies entscheidende Pluspunkte, ohne die ich sicher nicht so weit gekommen wäre. Für mich als Manager und Entscheider war der Perfektionismus eher hinderlich. In der heutigen Welt sind die Dinge oft sehr komplex, verändern sich schnell und sind nicht mehr gut vorhersehbar. Das ist ein schwieriges Umfeld für Menschen, die jede Entscheidung mehrfach absichern und keine Fehler machen wollen. Ich hätte mir damals gewünscht, öfter aus dem Bauch heraus oder nach kurzer Analyse, schnell entscheiden zu können. Aber so einfach ist das nicht, wenn man Risiken eher vermeiden will. Und für mich als Führungskraft war der Perfektionismus schon eine richtige Herausforderung. Mir wurde erst nach meinem Burnout bewusst, welche Ausstrahlung ich als perfektionistischer Vorgesetzter auf meine Mitarbeiter gehabt haben musste. Die hohen Ansprüche hat man ja nicht nur an sich selbst, sondern auch an seine Mitarbeiter. Nur allzu oft werden solche Vorgesetzte zu Kontroll-Freaks und Detailmanagern. Es wirkt nicht gerade vertrauensvoll, wenn der Vorgesetzte alle Details kontrolliert und verbessert. Wer sich selbst keine Fehler erlaubt, hat auch Schwierigkeiten damit, wenn die Mitarbeiter Fehler machen. Gute Vorgesetzte sind jedoch in der Lage, ihren Mitarbeitern zu vertrauen und sie ihre eigenen Fehler machen zu lassen. Daran wachsen sie und können ihr eigenes Profil aufbauen. Zudem sollten wir uns als Führungskraft immer bewusst machen, wie wir als Vorbild auf unsere Mitarbeiter wirken. Fakt ist, dass die Mitarbeiter sich nach deinem Verhalten ausrichten werden. Ist Kontrolle und Fehlermeidung dein oberstes Gebot, dann werden auch die Ebenen unter dir so geführt.

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