Pflege – wir stehen noch am Anfang des Weges.

02.04.2014

**Für **Jens Spahn, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU Fraktion im Bundestag, Mitglied im Gesundheitsausschuss und stellvertretendes Mitglied des Haushaltsausschusses, ist die Pflege und Pflegepolitik eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen. finanzwelt hat ihn für ein Interview gewinnen können.

finanzwelt: Herr Spahn, Sie haben als junger Mensch diverse Praktika in Pflegeeinrichtungen geleistet. Welche Erlebnisse erinnern Sie? Wie haben diese Erfahrungen Ihre Sicht auf die Pflege als gesellschaftliche Aufgabe geprägt?

Spahn: Stimmt, das letzte Praktikum habe ich vor zwei Jahren in einem Heim in Berlin gemacht. Die Pflegerinnen und Pfleger leisten jeden Tag sehr gute Arbeit. Das ist anstrengend und man kommt auch schon mal an seine Grenzen. Insbesondere ist mir aufgefallen, dass für die einzelnen Bewohner zu wenig Zeit zur Verfügung steht. Wenn Sie diejenigen fragen, die in einem Heim arbeiten, was am dringendsten gebraucht wird, hören Sie immer wieder: „Mehr Kollegen".

finanzwelt: Der Koalitionsvertrag setzt sich das Ziel, bis zu 45.000 Betreuungskräfte in Pflegeeinrichtungen zu beschäftigen. Was sind in diesem Sinne Betreuer? Werden sie voraussichtlich in staatlichen oder in privaten Pflegeeinrichtungen eingesetzt? Gibt es eine Planung zur Finanzierung dieser zu schaffenden Stellen?

Spahn: Betreuungskräfte entlasten die Pflegekräfte dahingehend, dass sie einfach Zeit mit den Bewohnern verbringen. Sie haben zwar nicht die Ausbildung für eine pflegerische Tätigkeit, können sich aber mit den Bewohnern beschäftigen, reden, spazieren gehen. Im Übrigen gibt es solche Betreuungskräfte ja heute schon und ich bekomme nur positive Rückmeldungen. Das bedeutet eine enorme Entlastung für die Pflegekräfte. Die Finanzierung stellen wir über die Anhebung des Beitrages sicher.

finanzwelt: Demenz ist die Mega-Problematik, vor dem die Pflege steht. Können Sie sagen, welche Herausforderungen das Krankheitsbild Demenz an die Pflege, die Gesellschaft, an die Politik, und auch an die Pflegeeinrichtungen stellt?

Spahn: Wenn ich vor zehn Jahren ein Pflegeheim besuchte, konnte ich mit den Bewohnern noch über aktuelle Ereignisse oder Politik diskutieren. Das ist heute oftmals nicht mehr möglich. Jemand, der unter Demenz leidet, braucht aber eine ganz andere Zuwendung. Ob zu Hause oder in einem Pflegeheim – das ist eine große Herausforderung. Insbesondere für pflegende Angehörige ist es eine große Belastung, wenn etwa die eigene Mutter einen nicht mehr erkennt. Und wir stehen hier erst am Anfang des Weges.

finanzwelt: Die gesetzliche Pflegeversicherung deckt tatsächlich oft nur einen Teil der Pflege-Kosten ab. Angehörige müssen für pflegebedürftige Verwandte oftmals über 1.000 Euro pro Monat zuzahlen. Welche Konsequenzen sollten Bürgerinnen und Bürger vorausschauend ziehen?

Spahn: Naja, die Freibeträge sind ja sehr groß. Sie müssen als Alleinstehender schon mindestens 3.600 Euro netto nach Abzug aller Kosten im Monat übrig haben, um solche Summen für einen nahen Angehörigen im Pflegeheim zu bezahlen. Und ich glaube, das ist auch gerechtfertigt. Die Pflegeversicherung war immer eine Teilkaskoversicherung und wird es auch bleiben. Wichtig ist, glaube ich, für die eigene Pflegebedürftigkeit vorzusorgen. Es ist eine gute Nachricht, dass die private Zusatzversicherung, die staatlich gefördert wird, so großen Anklang findet.

finanzwelt: Die Pflegestufen sollen durch weiter gefasste Pflegegrade ersetzt werden. Zu welchem Termin kann dies voraussichtlich umgesetzt werden, welche finanziellen Auswirkungen wird dies für die Pflegeversicherten voraussichtlich haben?

Spahn: Wir wollen schrittweise vorgehen. Wichtig ist doch, dass diejenigen, die jeden Tag einen tollen Job machen, möglichst schnell entlastet werden und zwar bereits zum 01.01.2015. Das sind einerseits die Pflegekräfte in den Heimen, vor allem aber pflegende Angehörige. Wir werden deshalb unter anderem die Anzahl der Betreuungskräfte in den Heimen deutlich erhöhen. Dafür werden wir den Beitragssatz um 0,2 Prozent anheben, was dazu führt, dass 2,4 Mrd. Euro mehr für konkrete Leistungen zur Verfügung stehen. Und wir werden künftig die zehntägige Familienpflegezeit besser stellen. Diese Leistung wird an die Höhe des Kinderkrankengeldes angepasst. Zudem werden wir weitere 0,1 Prozent in den Aufbau eines Vorsorgefonds investieren, der garantieren soll, dass auch in Zukunft, wenn deutlich mehr Pflegebedürftige Leistungen benötigen werden, die Leistungen garantiert sind.

finanzwelt: Welchen Stellenwert können private Investitionen in Pflegeplätze, Pflegeimmobilien und zusätzliche private Pflegeversicherungen als Teil einer vorausschauenden privaten Altersvorsorge Ihrer Ansicht nach haben?

Spahn: Ich bin kein Anlageberater und werde hier deshalb auch keine Tipps geben. Klar ist aber auch: Wir brauchen in Zukunft mehr Pflegeplätze. Ob diese im Heim oder im ambulanten Bereich geschaffen werden, steht auf einem anderen Blatt. Letztlich wollen die meisten so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben. Das wollen wir unterstützen.

finanzwelt: Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerats, stellt die Frage, wer die geplanten zusätzlichen Leistungen erbringen soll. Schon heute fehlen zehntausende Fachkräfte. Sind Lösungen in Sicht?

Spahn: In der Tat gibt es bereits heute zu wenig Pflegekräfte. Das liegt aber auch an der Ausbildung, für die sie zum Teil immer noch bezahlen müssen. Deshalb wollen wir die Ausbildung nach dem Vorbild der dualen Ausbildung umstrukturieren. Dann bilden Einrichtungen aus und der Staat muss die entsprechenden Schulplätze bereitstellen. Und wir sollten darüber nachdenken, wie wir ausländische Pflegekräfte noch besser integrieren können und vor allem bereits bestehende häusliche Beschäftigungsverhältnisse legalisieren können.

(cs)

Interview mit Jens Spahn - Printausgabe 02/2014