Rosig sieht anders aus

06.09.2022

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Ukraine-Krieg, Pandemie, Lieferkettenprobleme und nicht zuletzt Energiekrise. Viele deutsche Unternehmen kämpfen gerade mit massiven Problemen. Und für die Bürger wird es teuer. Sind die goldenen Jahre endgültig vorbei? Zumindest an der Börse herrschte im 1. Halbjahr Katerstimmung. Bei den Aussichten scheiden sich die Geister. Doch eine Einbahnstraße (nach oben) wird es wohl auf absehbare Zeit nicht geben.

„Deutschland mit erstem Defizit im Außenhandel seit 2008“, titelte das Handelsblatt Anfang Juli in Anspielung auf den Fakt, dass im Mai die Importe den Wert der Exporte überstiegen hatten, wie das Statistische Bundesamt bekannt gab. Ist das nur ein Ausreißer aufgrund des Ukraine-Kriegs oder bekommt das Geschäftsmodell Deutschlands ernsthafte strukturelle Probleme?

Erfolgsmodell unter Druck

Nach Berechnungen des ifo-Instituts wird das Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr um 2,5 % und 2023 um 3,7 % zulegen. Die Inflationsrate dürfte in diesem Jahr mit 6,8 % den höchsten Wert seit dem Jahr 1974 erreichen. Auch im kommenden Jahr dürften die Verbraucherpreise mit 3,3 % überdurchschnittlich stark steigen, so die ifo-Wissenschaftler. „Die Mai-Daten zum deutschen Außenhandel zeigen, dass die hohen Energiepreise die Wirtschaft erheblich belasten. Durch die hohen Importkosten ist die Handelsbilanz sogar erstmals seit 1991 in den roten Bereich gerutscht. Das deutsche Geschäftsmodell kommt durch Krieg, Lieferengpässe und hohe Inflation zunehmend unter Druck“, kommentiert Dr. Johannes Mayr, Chefvolkswirt bei Eyb & Wallwitz. Am Kapitalmarkt haben diese negativen Nachrichten ihre Spuren hinterlassen. Der DAX als großer Leitindex ist Mitte Juli unter die Marke von 13.000 Zähler gerutscht. Zum Vergleich – noch zum Jahresbeginn stand der Index bei 16.000 Punkten. Prozentual stärker ist der kleine Bruder MDAX im selben Zeitraum; von 35.000 Zähler erfolgte der Rückgang bis auf 25.000 Zähler zum Stichtag 12.07. Das hat auch damit etwas zu tun, dass kleinere und/oder mittlere Unternehmen stärker unter der Krise leiden als viele Dickschiffe und auch volatiler sind. Die Gretchenfrage lautet, ob im weiteren Jahresverlauf das Schlimmste überstanden ist und sich die Stimmung wieder ins Positive dreht.

Stimmungsumschwung?

Christian-Hendrik Knappe, Börsenexperte bei SPECTRUM MARKETS, merkt hierzu an: „Bezogen auf den Gesamtmarkt hat sich die Stimmung der Privatanleger im Juni überraschend gebessert. Nach einer langen neutralen Phase liegt das durch den SERIX-Index gemessene Sentiment für die großen europäischen Leitindizes erstmals wieder im positiven Bereich. Angesichts der angespannten Situation bei der Energieversorgung und der nach wie vor sehr unsicheren Pandemielage ist dies schon erstaunlich. Offensichtlich sind aber das Vertrauen in die Widerstandsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und in die Entschlossenheit der Politik, gegenzusteuern, unter den Anlegern noch sehr stark ausgeprägt“. Natürlich muss erwähnt werden, dass der deutsche Aktienmarkt sehr industrielastig ist. Das unterscheidet ihn beispielsweise vom US-amerikanischen Markt, der sehr auf Technologiewerte setzt. Der klassische defensive Sektor, die Pharmasparte, ist auch ein Standbein des deutschen Erfolgsmodells und hat sich rückblickend gut entwickelt. Grund hierfür sind auch solide Unternehmensbilanzen. Natürlich muss an dieser Stelle auch die Diskussion um Value- versus Growth-Werte angerissen werden. Tech (Growth) wird weiterwachsen. In den vergangenen Monaten war viel um ein Revival von Value zu lesen. Unterbewertete Titel, die lange Zeit im Schatten der einstmals übermächtigen Wachstumswerte standen. Hierzulande haben wir vergleichsweise viele Value-Titel, die gehöriges Aufwärtspotenzial haben. „Value Investing ist meiner Meinung nach generell ein smarter Ansatz, nicht nur in Zeiten von Inflation. Die Herausforderung besteht auch in normalen Zeiten darin, eine Aktie fundamental richtig zu bewerten“, wirft Börsenexperte Knappe ein. Mit Blick auf die nahe Zukunft ist Chefvolkswirt Dr. Mayr etwas skeptischer. Die Daten würden die Anfälligkeit des deutschen Geschäftsmodells in Zeiten von Krieg, hohen Energiepreisen und Lieferengpässen widerspiegeln. „Angesichts der aktuellen Preisentwicklung ist das Risiko einer Rezession auch ohne einen Lieferstopp von russischem Erdgas erheblich. Die Wirtschaftsleistung dürfte im 2. Quartal kaum mehr als stagniert haben. Der Druck auf die Margen der Unternehmen und die Realeinkommen der Haushalte werden in den kommenden Monaten sogar noch steigen. Klar ist aber: Die Belastungen können durch die Politik allenfalls kurzfristig gemindert werden“.

Auf Ein-Jahressicht haben sämtliche Aktienfonds mit Schwerpunkt Deutschland eine negative Wertentwicklung. Gleichwohl ist deutschen Investoren die Heimat sehr lieb und nahe. Deutschland-Fonds sind und bleiben in Ihrem Berateralltag ein Basisinvestment. (ah)