Studie: Was Versicherungskunden wirklich wollen
07.02.2013

© Franz Pfluegl - Fotolia.com
Knapp 40 Prozent der Kunden der Versicherer denken über einen Wechsel nach. Die Kunden der Assekuranz fordern Fairness, individuelle Betreuung und empathischen Service. Die Versicherer konzentrieren sich aber, laut einer aktuellen Studie, nur auf kostensparende Steigerung der Effizienz und günstige Prämien.
(fw/db) Die aktuelle Studie "Was Versicherungskunden wirklich wollen" von Bain & Company Deutschland, sorgt für die Alarmstufe Rot bei Deutschlands Versicherer. Im Rahmen der Studie wurden über 2.500 Versicherungskunden befragt. Im Ergebnis deckt die Umfrage eine weit verbreitete Unzufriedenheit und Wechselbereitschaft bei Kunden auf.
Bain misst die Kundenzufriedenheit seit mehr als zehn Jahren mit dem [Net Promoter® Score](http://de.wikipedia.org/wiki/NetPromoterScore "Link zu Wikipedia "Net Promoter Score"") (NPS). Diese Kennzahl ergibt sich aus den Antworten auf eine einzige Frage: "Auf einer Skala von null bis zehn, wie wahrscheinlich ist es, dass Sie diese Versicherung einem Freund oder Kollegen weiterempfehlen?"
Die Antworten werden drei Kategorien zugeordnet. Es hat sich gezeigt, dass nur Werte von neun oder zehn für wirklich begeisterte Kunden stehen ("Promotoren"), sieben und acht eher "passiv Zufriedene" sind und Bewertungen von sechs oder weniger als "Kritiker" eingestuft werden müssen. Minuswerte bedeuten, dass es weit mehr Kritiker als Anhänger gibt. Ein hoher NPS-Wert, insbesondere im Vergleich zum Wettbewerb, besitzt eine enorme wirtschaftliche Bedeutung.
Für die Versicherungsbranche liegt der NPS aktuell bei minus 8 Prozent. Noch schlechter als die Versicherer schneiden nur die Banken, mit einem NPS von minus 13 Prozent, ab. Andere Branchen stehen in den Augen der Kunden erheblich besser dar: So liegt der NPS in der Automobilindustrie bei plus 23 Prozent und bei Computerherstellern bei plus 15 Prozent.
"Kundeninteraktion, Kundenloyalität und Ertragspotenzial von Versicherungsunternehmen hängen eng zusammen. Unsere Studie zeigt, dass treue Bestandskunden die wichtigsten Ertragstreiber sind, denn sie kaufen mehr Produkte, lassen Verträge länger laufen und bringen daher erheblich höhere Prämieneinnahmen", erläutert Dr. Henrik Naujoks, Studieautor und Partner bei Bain in Düsseldorf.
Unzufriedene Kunden sind kein Naturgesetz
Eine Analyse der Studienergebnisse zeigt, dass es auch in der Assekuranz gelingen kann, Kunden zu begeistern. Direktversicherern, mit ihrer klaren und nachvollziehbaren Positionierung, gelingt es vergleichsweise gut, die Kundenerwartungen zu erfüllen, meinen die Autoren der Studie. Während ihr NPS im Durchschnitt bei plus 6 Prozent liege, hätten die öffentlichen Versicherer mit einem NPS von minus 8 Prozent, die Versicherungsvereine mit einem NPS von minus 9 Prozent und die großen Aktiengesellschaften mit einem NPS von minus 11 Prozent das Nachsehen.
Traditionellen Anbieter könnten vor allem dann überzeugen, wenn sie mehrere Policen eines Kunden auf sich vereinen. Die NPS-Werte für Hauptversicherer liegen dann zum Teil deutlich über denen für sonstige Nebenversicherer.
Zudem äußern sich die Befragten, die erst vor kurzem Kontakt mit ihrem Anbieter hatten, erheblich positiver als andere. Dies gilt für jede Interaktion mit einer Versicherung - vom Vertragsabschluss über eine Schadenmeldung bis hin zur Adressänderung. Lag die letzte Interaktion länger als zwei Jahre zurück, ergibt sich ein NPS von minus 33 Prozent; demgegenüber erreicht der Wert bei einem Kontakt in den vergangenen drei Monaten plus 12 Prozent.
Dr. Dirk Lubig, Co-Autor der Studie und Partner bei Bain in München sieht hier einen einfachen Hebel zur Steigerung der Kundenloyalität:
"Bis heute ist es die Ausnahme, dass ein Kunde wenigstens einmal pro Jahr von seinem Vermittler kontaktiert wird. Intern fehlen häufig noch ganzheitliche Ansätze und Prozesse, sowie ein entsprechendes Monitoring. Dabei stärkt selbst ein kurzer Kontakt nicht nur die Bindung und damit die Loyalität, sondern bietet vielmehr eine ideale Möglichkeit, über neue Produkte oder Veränderungen bei bestehenden Verträgen zu sprechen."
Die messbare Unzufriedenheit kann erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen haben: Denn Promotoren erwerben der Bain-Studie zufolge fast 70 Prozent mehr Produkte, bleiben ihrer Versicherung im Durchschnitt eineinhalb Jahre länger treu und empfehlen sie mehr als doppelt so oft weiter wie Kritiker. Im Ergebnis liegen die Einnahmen an Prämien bei einem loyalen Kunden fast doppelt so hoch wie bei einem Kritiker.
Versicherer schätzen Kundenerwartungen falsch ein
Die Bain-Studie fand heraus, dass der wichtigste Loyalitätstreiber die vom Kunden empfundene Fairness und Sicherheit seines Versicherers ist.
Auf Platz zwei rangiert die Beratung und Erfüllung seiner individuellen Bedürfnisse.
Erst an dritter Stelle steht das Thema Preise, gefolgt von der Transparenz der Produkte und dem Service.
Viele Anbieter haben sich dagegen einseitig auf günstige Tarife und schlanke Strukturen fokussiert. Dieser "falsch geeichte Kompass" führt dazu, dass die Erwartungen der Kunden unerfüllt bleiben und in der Folge Unzufriedenheit und Wechselwilligkeit wachsen.
Bei Anbietern, die diese Kundenbedürfnisse nicht erfüllen, dürfte eine Abstimmung mit den Füßen folgen: Knapp 40 Prozent der Versicherten erklärten, dass sie wechselwillig seien.
Studienautor Naujoks empfiehlt: "Ähnlich wie bei den Banken ist auch bei den Versicherungen eine Rückkehr zu alten Tugenden und damit traditionellen Werten überfällig. Um die Loyalität ihrer Bestandskunden zu stärken und sie von einem Wechsel abzuhalten, müssen die Versicherer stärker auf Fairness und empathischen Service sowie individuelle Betreuung setzen."
Im Rahmen der Bain-Studie erklären 60 Prozent der Kunden, dass das Internet für sie künftig der wichtigste Kanal bei einer Interaktion sei. Das gilt für die Information, den Abschluss, die Schadenmeldung und die Verwaltung persönlicher Daten.
Das Vordringen digitaler Plattformen reduziert aber keineswegs das Bedürfnis nach individueller Betreuung, denn fast drei Viertel der befragten Versicherungskunden halten die persönliche Betreuung nach wie vor für wichtig, oder sogar sehr wichtig.
Fazit: Online- und Offline-Service gleichzeitig ausbauen
Für die Versicherer können diese Ergebnisse der Studie weitreichende Konsequenzen auslösen.
"Noch sehen viele Anbieter das Internet - neben dem Ausschließlichkeitsvertrieb, Maklern und Banken - als einen weiteren Vertriebskanal. Doch die Kunden differenzieren nicht mehr länger zwischen den einzelnen Kanälen, sondern erwarten ein einheitliches Angebot und Serviceerlebnis. Die Unternehmen müssen daher mit Hochdruck die noch bestehenden Grenzen zwischen Online- und Offline-Welt überwinden und eine sogenannte Omni-Channel-Fähigkeit ihres Angebots und Ihrer Beratung sicherstellen", empfiehlt Naujoks.
Leserservice: Interessant für finanzwelt-Leser ist auch der Vergleich mit einer im August 2012 erschienen Bain-Studie ["Was Bankkunden wirklich wollen"](http://www.bain.de/publikationen/articles/retail-Banking-was-bankkunden-wirklich-wollen.aspx "Link zur Studie "Was Bankkunden wirklich wollen"").

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