Die Inflation ist gravierender, als es scheint

12.04.2023

Colin Graham, Head of Multi-Asset Strategies bei Asset Manager Robeco / Foto: © Robeco

Nicht länger im Rückstand

Graham meint, dass die Rücknahme der geldpolitischen Unterstützung bislang mild verlaufen ist und dass diejenigen Bereiche des Finanzsystems allmählich deutlich werden, in denen es während der Phase der Nullzinsen zu überhöhter Verschuldung gekommen war.

Die allgemeine Einschätzung ist geschwunden, dass die Notenbanken mit ihrer Geldpolitik im Rückstand seien, vielleicht mit Ausnahme von Japan. Die Notenbanken in weniger entwickelten Volkswirtschaften, die mit der Straffung ihrer Geldpolitik lange vor der EZB und der US-Notenbank begonnen hatten, haben nun Spielraum für Zinssenkungen, da die inländische Inflation bereits gesunken ist.

Allerdings könnte es noch zu einem „finanziellen Unfall“ kommen, der eher Parallelen zur Krise von 2008/2009 aufweist als zu der der 1970er Jahren, sagt er. Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank und die erzwungene Übernahme der in Schwierigkeiten befindlichen Credit Suisse durch die UBS zeigen, dass Teile des Bankensektors nach wie vor in gefährlicher Weise anfällig sind.

Laufzeit-Diskrepanz erweist sich als fatal

In den USA wurde im Jahr 2018 die Regulierung von Regionalbanken gelockert. Dabei wurde es kleineren Banken erlaubt, länger laufende Anleihen als Gegenposten zu Sichteinlagen in ihren Bilanzen zu halten. Dadurch entstand eine Diskrepanz auf Laufzeitebene.

US-Staatsanleihen gelten als risikofreie Anlage. So konnten Banken durch Kauf von Staatsanleihen mittels Sichteinlagen ihre Profitabilität erhöhen, wenn die Renditen zurückgingen. Als die Renditen von US-Anleihen in diesem Jahr nach oben schossen, kam es zum gleichen Zeitpunkt zu Buchverlusten, als die Kontoinhaber ihre Liquidität beschleunigt reduzierten, da es an neuem Kapital für Startup-Aktivitäten mangelte.

Die Bankkunden zogen also ihre Einlagen zur Finanzierung ihrer Aktivitäten ab. Das hatte zur Folge, dass Banken mit einer Laufzeit-Diskrepanz Anleihen zur Deckung der Abhebungen verkaufen mussten. Dadurch materialisierten sich die Verluste in der Bilanz. Das führte zu einem Teufelskreis, da andere Kunden ihre Anlagen bedroht sahen und ebenfalls ihre Sichteinlagen abzogen, was die Liquiditätsknappheit der Bank verschärfte.

Beschleunigt wurde dieser Teufelskreis durch die sozialen Medien und Online-Banking, als sich das Liquiditätsrisiko zu einem umfassenderen Solvenzproblem entwickelte.

Ein weiterer Teufelskreis?

Steht uns also ein weiterer Teufelskreis bevor? Das nicht, aber man sollte keine Leitzinssenkungen erwarten, die theoretisch dieses spezielle Problem abmildern würden.

Die Situation weist Ähnlichkeiten zu 2008 auf. Sie ist allerdings nicht so gravierend, da ein Großteil des Geldüberhangs in private Vermögenswerte geflossen ist. Gleichzeitig ist die Qualität der Bankaktiva aufgrund der strengeren Regulierung nach der globalen Finanzkrise höher.

Die Risse, die infolge der strafferen Geldpolitik zutage treten, sind ein normaler Vorgang. Dabei wird deutlich, welche Bereiche des Finanzsystems in der Zeit kostenlosen Kapitals florierten. Die gute Nachricht ist, dass die Realwirtschaft nach wie vor robust ist.

In unserem Basisszenario lässt die straffere Geldpolitik das nominale Wirtschaftswachstum gegen Ende dieses Jahres deutlich zurückgehen. Allerdings glauben wir, dass die Notenbanken nicht über ausreichenden Spielraum für Leitzinssenkungen verfügen, bevor die Inflation nicht besiegt ist und solange es nicht zu einem Absturz des Wirtschaftswachstums kommt.

Gastbeitrag von Colin Graham,
Head of Multi-Asset Strategies bei
Asset Manager Robeco