Die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft benötigt Mut

23.02.2023

Foto: © Sabrina Henkel / finanzwelt

Einen Blick hinter die Fassade zu werfen, kann erhellend sein. Das ist eine der Triebfedern, die mich gelegentlich zu Interviews der „besonderen Art“ führen. Es geht nicht nur um den fachlichen Austausch. Vielmehr reizt es mich dabei, den Protagonisten besser zu verstehen, den Menschen hinter dem Funktionsträger vorzustellen und en passant zu erfahren, wie er zu dem geworden ist, was er heute verkörpert. Nach der gelungenen Premiere im vergangenen Jahr habe ich mich für dieses Gespräch mit Daniel Sailer, Head of Sustainable Investment Office, Metzler Asset Management verabredet. Passend zum Thema des nachhalti-gen Investierens trafen wir uns bei strahlendem Sonnenschein im Palmengarten in Frankfurt und führten das Interview im Senckenberg-Museum fort.

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finanzwelt: ESG hat mittlerweile stark im Anlagebereich Einzug gehalten. Weder ein Assetmanager noch ein Investor können sich diesem Megathema entziehen. Es birgt vielfältige Chancen, gleichwohl auch Risiken oder zumindest veritable Herausforderungen. Daniel Sailer» Lassen Sie mich zunächst einmal etwas Grundsätzliches sagen. Das Thema Nachhaltigkeit/ESG ist zunehmend ein elementarer Teil der neuen Normalität im Anlageverhalten. Das wird unter anderem am stetig wachsenden Interesse von Finanzmarktteilnehmern deutlich. Heißt auch, Klimaschutz und Klimawandel sind zwar dominante Treiber und stehen oben auf der Agenda, aber ESG ist umfassender, facettenreicher und unterliegt einem dynamischen Charakter. So vielfältig die Definitionsansätze sind, so unterschiedlich sind auch die Motivationsgrundlagen der Marktteilnehmer. Eine Pensionskasse oder eine Versicherung unterliegt beispielsweise anderen Anforderungen bei der Kapitalanlage als ein privater Investor. Darauf gilt es, als Anbieter entsprechender Produkte, Antworten zu finden. Regulatorik spielt in diesem Kontext natürlich eine bedeutende Rolle, zumal bei den Themen Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit auf Unternehmen viele gesetzliche Änderungen zukommen.

finanzwelt: Wir haben das Thema der steigenden Nachfrage bereits gestreift. Die seit August 2022 bestehende Pflicht zur Abfrage sogenannter ESG -Präferenzen könnte dem positiven Trend bei privaten Anlegern weiteren Rücken-wind verleihen? Sailer» Kerngedanke war, dass die detaillierte Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen bei Anlegern dazu führe, dass das ohnehin vorhandene Interesse an nachhaltigen Anlageprodukten noch einmal verstärkt werde. Doch angesichts der Komplexität der Regulatorik bleiben viele Fragen tatsächlich offen und Anleger manchmal überfordert zurück. Könnte man die Thematik evtl. einfacher erklären? Mehr Zeit und detaillierteres Wissen, sowohl bei den Beratern als auch Anlegern, sind oftmals vonnöten. Und mit Blick auf 2022 lässt sich festhalten, dass dieses Ausnahmejahr für viele Aktienanlagestrategien mit ESG-Fokus sehr herausfordernd war. Das Umfeld begünstigte aus verschiedenen Gründen nicht nachhaltige Geschäftsmodelle, wie wir z. B. in unserer Studie ‚Bewegte Zeiten für nachhaltige Aktien- anlagen‘ dargelegt haben.

finanzwelt: Was ist aus Ihrer Sicht wirklich entscheidend bei der nachhaltigen Transformation? Sailer» Nachhaltiges Handeln bedeutet, die Auswirkungen der unternehmerischen Tätigkeit auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung entlang der kompletten Wertschöpfungskette zu verstehen und zu steuern sowie die Zukunftsfähigkeit des eigenen Geschäftsmodells stets zu reflektieren. Um dem hehren Vorsatz der Gestaltung der Zukunft gerecht zu werden, müssen wir eben auch auf jene Unternehmen blicken, die Stand heute noch nicht alle Vorgaben erfüllen, aber prinzipiell willens dazu sind. Es ist unsere Aufgabe, auch diese Industriezweige bei der Transformation zu begleiten und uns bei der Kapitalanlage – und damit der Unternehmensfinanzierung – nicht nur auf die bereits dunkelgrünen Unternehmen zu beschränken. Transformation bedeutet Wandel – ein nicht immer ganz einfacher Prozess.

finanzwelt: Mit welchen Folgen müssen Unternehmen rechnen, bei denen Nachhaltigkeit auch künftig nur ein Nebenschauplatz ist? Sailer» Unstrittig ist, dass Unternehmen im globalen, dynamischen Zeitalter ihren Nachhaltigkeitsansprüchen glaubhaft gerecht werden müssen. Im anderen Fall droht ein enormer Reputationsschaden. Kann sich ein Konzern oder eine mittelständische Firma diesem Risiko ernsthaft aussetzen?

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