Die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft benötigt Mut

23.02.2023

Foto: © Sabrina Henkel / finanzwelt

Wohl nicht. Im Gegenteil: ESG-Kriterien messen, steuern und in die Berichterstattung einzupflegen, wird für alle Unternehmen immer wichtiger. Unsere eigenen Studien legen zudem den Schluss nahe, dass nachhaltige Unternehmen sich günstiger refinanzieren können und profitabler sind.

finanzwelt: Klimawandel, 1,5 Grad-Ziel – das sind nachprüfbare Eckdaten und Ziele Doch wie lässt sich beispielsweise das „S“ messen? Sailer» Ziel der Taxonomie ist es, Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten zu fördern und hierfür ein vereinheitlichtes Klassifikationssystem auch für sozial nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten zu etablieren. Tatsächlich gibt es für eine Sozial-Taxonomie gegenwärtig aber kaum belastbare Daten. Das erschwert es, konkrete Maßnahmen abzuleiten, die den zusätzlichen sozialen Nutzen untermauern.

Mittlerweile sind wir im Foyer des Senckenberg-Naturmuseums angekommen. Es gilt als eines der größten naturhistorischen Museen Europas. Tausende Ausstellungsstücke sind hier zu sehen, beeindruckend die Vielzahl an Dinosaurierarten, die Vogelwelt und die Galerie der Säugetiere.

finanzwelt: Lassen Sie uns nun etwas persönlicher werden. Seit Mitte 2019 sind Sie bei Metzler Asset Management. Zuvor verantworteten Sie das ESG-Research-Geschäft von MSCI in der DACH-Region. Was war aus heutiger Sicht ausschlaggebend, sich mit dieser vielschichtigen Materie zu befassen? Sailer» Hierzulande hat sich in der Finanzindustrie die nachhaltige Ausrichtung erst in den vergangenen Jahren von einem Nischenthema zu einem breit diskutierten und zentralen Themenfeld entwickelt. Der Weg war steinig, aber jetzt herrscht Konsens darüber, dass wir gerade mit Blick auf die endlichen Ressourcen und in Verantwortung für kommende Generationen den Transformationsprozess forcieren müssen. Auch mein persönlicher Kenntnisstand und Erfahrungsschatz sind im Laufe der Jahre gereift. Durch die Betreuung von skandinavischen Anlegern bin ich vor mehr als zehn Jahren erstmalig mit dem Thema Sustainable Finance in Berührung gekommen. Zunächst war auch ich eher vorsichtig, abwartend gestimmt. Nordische Länder und dortige Unternehmen waren und sind noch heute bei dem Thema ESG quasi Innovationstreiber. Doch je mehr ich mich mit der Thematik befasste umso klarer wurde mir, dass es dabei um wertvolle Informationen für alle Stake-holder geht.

finanzwelt: ESG – drei Buchstaben, die für jeden individuell etwas anderes bedeuten können. Welches persönliche Werteverständnis legen Sie zugrunde? Sailer» Nachhaltigkeit als Zukunftsfähigkeit aufzufassen und entsprechend umzusetzen, das ist mein Ansporn. Das lenkt unser Tun im Sustainable Investment Office, das 2019 im Metzler Asset Management gegründet wurde und das ich heute leite. Viele Menschen sind der Meinung, dass sie zur Lösung globaler Probleme, wie beispielsweise der Dekarbonisierung unserer Wirtschaft, wenig beitragen können. Doch durch ESG-konforme Kapitalanlagen kann jeder Einzelne etwas bewirken. Natürlich sind der Klimawandel und der Übergang zu einer CO2-armen Gesellschaft sehr vielschichtige Themen, doch jeder von uns kann auch durch seine Geldanlage versuchen, einen Beitrag zu leisten. Und ich bin optimistisch gestimmt, dass sich dieses Grundverständnis weiter in der Breite der Gesellschaft durchsetzt.

finanzwelt: Wie umfangreich ist Ihr Tätigkeitsspektrum heutzutage? Sailer» Im Metzler Asset Management ist das Sustainable Investment Office nicht ‚freischwebend‘, sondern eng mit dem Portfoliomanagement verwoben. Zusammen mit meinen Kollegen Philipp Linke und Dr. Philipp Finter bilden wir das Kompetenzzentrum rund um alle ESG-Belange; ich persönlich konzentriere mich dabei inhaltlich auf die Beratung unserer institutionellen Investoren und die Implementierung der ESG-Strategie.

finanzwelt: Ist es Passion, die Sie antreibt? Wann sind Sie erstmalig mit Natur bzw. dem nachhaltigen Gedanken in Berührung gekommen? Sailer» Meine ersten Berührungspunkte reichen schon einige Jahre zurück. Anfang der 2.000er Jahre reifte hierzulande die Solarindustrie und wurde kontrovers diskutiert: Solarmodule sollten das Klima schützen, doch die Modulproduktion brauchte auch viel Energie und der Abbau der Rohstoffe stellt noch heute die Produzenten vor Herausforderungen. Wie ist also die Ökobilanz über den kompletten Lebenszyklus? Solche Fragen sollten beantwortet werden, ohne Werturteile darüber zu fällen, was grundsätzlich ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ ist. Es ist wichtig, komplexe Sachverhalte zu analysieren, hinter die Fassade zu schauen und zu begreifen, dass wir die Zukunft mit unserem Handeln gestalten.

finanzwelt: Ansätze, die es zu vermitteln gilt… Sailer» Nachhaltigkeit sollte einen festen Platz im Lehrplan von Schulen erhalten. Es reicht nicht, das Thema beiläufig zu behandeln. Im Schulunterricht lässt sich objektiv vermitteln, was jeder beispielsweise gegen den Klimawandel tun kann. Ein gleicher Wissensstand verbessert das Gemeinschaftsgefühl und schafft Bewusstsein dafür, dass alle Verantwortung tragen. Gleichzeitig muss Schule aber auch ein Ort für finanzielle Bildung sein. Diese sichert letztlich eine uneingeschränkte gesellschaftliche Teilhabe.

finanzwelt: Was ärgert Sie besonders in der Diskussion um nachhaltiges Investieren? Sailer» Schnelligkeit bestimmt große Teile unseres Lebens. Vor diesem Hintergrund mag es mitunter schwerfallen, sich mit komplexeren Sachverhalten wie nachhaltigem Investieren zu befassen. Aber diese ‚Nicht jetzt‘-Einstellung können sich weder die Gesellschaft als Ganzes noch der Einzelne weiterhin leisten. Auf die Kapitalanlage bezogen bedeutet das, es muss der Wille der jeweiligen Unternehmensleitung sein, Nachhaltigkeit als Führungsaufgabe zu verstehen, umzusetzen und auch zu kommunizieren. Denn ohne Kommunikation ist alles nichts; sie ist der Motor für Veränderung und schafft Transparenz. Offenheit und Transparenz wiederum bilden bei allen Stakeholdern Vertrauen. Darum geht es.

finanzwelt: Wie setzen Sie nach Möglichkeit Nachhaltigkeit im persönlichen Alltag um? Sailer» Wie wahrscheinlich jeder von uns beobachte ich unser soziales, ökologisches und ökonomisches Umfeld und erkenne vielfältigen Handlungsbedarf. Also versuche ich, mein eigenes Denken und Agieren dahingehend zu reflektieren und ggf. zu verändern. Das ist nicht immer einfach, aber jeder sollte sich besonders seiner Vorbildfunktion gegenüber Kindern bewusst sein. Gerade Kindern kann man nachhaltiges Leben ganz nebenbei näherbringen. So können Kinder die wichtigsten Dinge, die jeder im Kleinen für die Umwelt tun kann, schon früh als selbstverständlich abspeichern. Darüber hinaus sind mir persönlich Dinge wie regional einkaufen, Umgang mit Abfällen und Bewegung in der Natur wichtig, auch und gerade in der Kommunikation mit dem eigenen Nachwuchs. So entwickeln sie eine Werteverständnis für unser komplexes Ökosystem, Respekt für Pflanzen und Tiere. Ganz zentral ist auch, den Mut nicht zu verlieren. Für die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft brauchen wir das gesellschaftliche Engagement und den Zukunftsmut der Generationen. (ah)