Die „weibliche“ Kraft des Emotional Banking

12.08.2025

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Emotionale Intelligenz, Empathie und Beziehungsmanagement gewinnen an Bedeutung. Besonders in Führungspositionen und im Vertrieb werden diese Fähigkeiten als entscheidende Erfolgsfaktoren erkannt. Frauen nehmen dabei eine zentrale Rolle ein. In Verbindung mit dem Konzept des „Emotional Banking“ ergeben sich neue Perspektiven, wie weibliche Führung und Vertriebskultur die Finanzwirtschaft nachhaltig prägen können.

Female Finance und Female Leadership

„Die Welt der Finanzen wird weiblicher“: So titelte im Juni 2025 die finanzwelt (Ausgabe 03/2025, S. 36/37). Female Finance – immer mehr Frauen investieren in Aktien und engagieren sich an der Börse. Ein Grund mehr, zu überlegen, ob es nicht zielführend ist, dass Frauen auch „auf der anderen Seite“ präsenter sind als gemeinhin üblich – also nicht nur auf Kunden-, auch auf Anbieterseite. Eine positive Antwort auf diese Frage setzt voraus, dass Frauen hinsichtlich der emotionalen Intelligenz und des Einfühlungsvermögens besondere Stärken und Kompetenzen mitbringen. Ein weites Feld – es liegen Studien vor, die zeigen, es gebe einen typisch weiblichen Führungsstil, während andere zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen. In dem Artikel „Frauen in Führungspositionen“ (Personalführung 07/2011) gelangen die Diplom-Psychologen Christian Mölders und Niels Van Quaquebeke zu dem Schluss, man könne durchaus zwischen einem männlich und einem weiblich geprägten Führen unterscheiden. Allerdings: Die Unterschiede seien oft mit stereotypen Zuschreibungen verbunden. Meine persönlichen Erfahrungen lassen vermuten, es gebe nicht nur Female Finance, sondern auch Female Leadership. Darum: Frauen sollten in der Führung und im Vertrieb von Finanzdienstleistungen mit ihren besonderen Fähigkeiten eine zentralere Rolle einnehmen. Was heißt das konkret?

Das Konzept des Emotional Banking

Dabei stellt jede Interaktion – sei es mit Kunden, Mitarbeitenden oder Geschäftspartnern – eine Art „emotionale Einzahlung“ oder „Abhebung“ auf einem Beziehungskonto dar. Positive Erfahrungen führen zu Einzahlungen, während Enttäuschungen oder Missverständnisse das emotionale Guthaben schmälern. Frauen zeichnen sich – nicht immer, aber – oft durch aktives Zuhören, emotionale Verlässlichkeit und die Fähigkeit aus, in die Vorstellungswelt anderer Menschen einzutauchen und so vertrauensvolle Beziehungen wahrscheinlicher zu machen. Das sind Qualitäten, die nicht nur die Kundenzufriedenheit, sondern überdies die langfristige Kundenbindung und die Mitarbeiterbindung fördern – und darum genutzt werden sollten. Im Female Leadership helfen diese Qualitäten, emotionale Sicherheit zu schaffen, Vertrauen zu den Mitarbeitenden aufzubauen und sie zu besseren Leistungen zu motivieren. Und im Vertrieb bedeutet Emotional Banking, dass Kundinnen nicht nur aufgrund von Produktmerkmalen oder Preisen kaufen, sondern weil sie sich verstanden, erstgenommen, wertgeschätzt und emotional abgeholt fühlen – ein Feld, in dem Frauen oft mit ihren besonderen Fähigkeiten glänzen. Emotionale Differenzierung führt zu einer besseren Kundenbindung. Trotzdem sind Frauen in Führung und Vertrieb oft unterrepräsentiert. Ich zumindest habe die Erfahrung gemacht, dass es im einfachen Angestelltenbereich bei Finanzdienstleistern überdurchschnittlich viele Frauen gibt, während sich auf der Führungsetage dieses Verhältnis spätestens ab der zweiten Führungsebene nahezu umkehrt. Die Realität zeigt: Die Chefs loben ihre weiblichen Angestellten zwar und zeigen sich mehr als zufrieden mit deren Ergebnissen; allerdings trauen sie ihnen dann doch keine Führung zu oder fürchten sich vor der Andersartigkeit der „weiblichen Führung“. So können Frauen zu selten die berühmt-berüchtigte gläserne Decke durchstoßen. Das ist kontraproduktiv, weil sich das Konzept des Emotional Banking bei größerer weiblicher Beteiligung eher verwirklichen ließe.

Emotional Banking als harte Währung des Erfolgs

Frauen im Vertrieb und in Führungsrollen können ein bedeutender Erfolgsfaktor sein. Denn ihre Stärken in Empathie, Kommunikation und Beziehungsaufbau bilden die Grundlage für eine Arbeitswelt, in der Emotional Banking gelebt wird – nicht als Soft Skill, sondern als harte Währung des Erfolgs. Weiblichen Vertriebskräften gelingt es oft, das emotionale Guthabenkonto aufzuladen. Dazu bauen sie eine Glaubwürdigkeitsbrücke zu den Kunden auf, mit der sie zugleich auf den Abschluss zusteuern. Und wenn es zu problematischen Situationen kommt – ein Kunde ist unzufrieden und reklamiert –, hilft ihnen diese Einstellung, eine kundenorientierte Lösung zu finden. Dieser fühlt sich selbst in der schwierigen Gesprächssituation wohl, weil er verstanden wird und nicht zu etwas überredet werden möchte. Sensibilität und eine zugewandte Gesprächsführung helfen weiter – Kompetenzen, die häufig zu den Stärken weiblicher Vertriebskräfte zählen. Ähnliches gilt bei der Mitarbeitendenführung. Frauen in Führungspositionen setzen meistens auf einen transformationalen Führungsstil und bevorzugen eine kooperative Führung, die eine emotionale Zugänglichkeit und Nahbarkeit umfasst. Meine in knapp 29 Jahren Bankdasein einzige Chefin hat wertschätzender und offener geführt als viele männliche Führungskräfte und ihre Mitarbeitenden konsequent gefördert – ohne Angst, sich einen Konkurrenten oder eine Konkurrentin heranzuziehen. Frauen in Führungspositionen vermeiden tendenziell hierarchische Top-down-Ansagen, die den Mitarbeitenden wenig Raum für eigene Entscheidungen lassen. Zudem nutzen sie jede Gelegenheit, Konflikte auf Augenhöhe zu lösen. Eine menschengerechte Führung mithilfe einer auf Partnerschaftlichkeit setzenden Diskussions- und Streitkultur wird als Chance gesehen, Mitarbeitende an das Unternehmen zu binden und zu Topleistungen zu bewegen.

Goldenen Mittelweg einschlagen

Wenn es stimmt, dass bei Finanzdienstleistern, in denen (auch) Frauen an der Spitze stehen, ein offeneres Klima vorherrscht, das sich auf die Performance der Mitarbeitenden und letztendlich die Kundenzufriedenheit und -bindung günstig auswirkt, wäre es zielführend, diesen goldenen Mittelweg einzuschlagen: Während bei den Männern in der Regel die emotionale Intelligenz und die Kompetenz zur Empathie verbessert werden muss, steht bei den Frauen eher die Stärkung der Handlungs- und Umsetzungsorientierung im Mittelpunkt. Nach meiner Beobachtung könnte dies beide erfolgreicher machen und sowohl die Kunden- als auch die Führungskultur in den Finanzdienstleistungsunternehmen positiv beeinflussen.

Ein Beitrag von Anja Ender, Expertin für Wealth-Management, Führung und Vertrieb, Mehrwert-CAMPUS GmbH