Mehr als Zahlen, Daten, Fakten

08.03.2022

(v.l..n.r) Chadya Kamal, Daniela Landgraf, Lan Anh Nguyen, Tra My Cheng, Luisa Griwatz und Lisa Brunner @ Foto: © Sabrina Henkel

lb: Unter diesen Aspekten – Sicherheit und Selbstverant­wortung – und wenn es bei Frauen eher um ein gutes Ge­fühl, statt um 3 bis 4 % mehr Rendite geht: Warum ist es so wichtig, das Thema „Finanzen“ und auch die Finanzbe­ratung nicht nur den Männern zu überlassen, sondern sich selbst damit auseinander zu setzen? Cheng» Diese Erfahrung habe ich gemacht. Den Frau­en, die ich coache, geht es nicht darum, ob sie jetzt 1 %oder 2 % mehr Rendite machen, sondern es geht um das vertrauensvolle Gefühl. Beispielsweise beobachte ich immer wieder, dass unsere finanziell gut aufgestellten Kundinnen, wie Architektinnen oder Ärztinnen, nichts mit ihrem Geld ma­chen. Die Begründung lautet dann ganz oft: ‚Ich fühle mich immer inkompetent und unwissend, weil mir mein Bankbera­ter dieses Gefühl vermittelt. Aber ich bin Ärztin, so doof kann ich gar nicht sein. Da habe ich mich nicht gut aufgehoben ge­fühlt und deswegen nichts gemacht.‘ Als Frauen verstehen wir, wieso sie nichts getan haben, auch wenn das aus finanzieller Sicht natürlich ungünstig war. Aber durch diese Art der Bera­tung entsteht ein Stigma und ein Gefühl, nicht ernst genom­men zu werden – und wer möchte mit diesem Gefühl leben? Kamal» In der Regel kauft eine Frau nicht, wenn das Gefühl nicht dabei ist. Sicherlich ist das bei Männern ähnlich, aber Männer lassen sich dann eben mit den Zahlen, Daten, Fakten überzeugen. Frauen reicht das nicht immer. Das Vertrauen muss entweder zur Investition oder zum Berater da sein. Cheng» Vertrauen und persönliche Bindung sind da ganz wichtig. Meine Co-Gründerin Christine sagt zum Beispiel im­mer zu ihren Kundinnen: ‚Ich möchte so eine Verbindung zu dir haben, dass du, wenn du schwanger bist, zuerst deinen Mann anrufst, danach vielleicht deine Eltern und als drittes wählst du meine Nummer!‘ Ich habe gelacht, als ich das zum ersten Mal gehört habe, aber ich verstehe die Intention. So kann sie als Finanzberaterin nämlich direkt auf die neue Situa­tion reagieren und das individuelle Finanzkonzept anpassen.

lvs: Das ist etwas, was dem klassischen Finanzvertrieb ab­handengekommen ist. Früher, als man Geld oder Unterla­gen noch persönlich abholen musste, weil es keine Online-Konten oder E-Mails gab, saß man dann zusammen auf dem Sofa und wusste sofort, wenn die Frau des Hauses schwanger war. Da konnte man auf einer ganz anderen Ebene beraten. Der klassische Finanzvertrieb hat sich eher von seinen Kunden distanziert und verspielt damit sehr viele Chancen. Diese emotionale Verbindung wird nicht mehr aufgebaut. Griwatz» Das zeigt sich auch im Online-Vertrieb. Wenn man Kunden berät, muss man was rüberbringen und auch eine Emotion verkaufen – auch über Online-Beratungsangebote oder das Telefon. Viele haben das über die Jahre verlernt und schaffen es deshalb nicht, einen Kunden z. B. über Zoom abzuschließen. Weil man es einfach gar nicht mehr drauf hat, die Leute emotional zu packen und zu überzeugen. Landgraf» Gerade Zoom ist für mich ein unheimlich wich­tiges Beispiel, denn das ist größtenteils die Zukunft. Es er­möglicht einen bundesweiten oder sogar weltweiten Kun­denkreis. Man kann irgendwo auf Mallorca oder sonstwo auf der Welt sitzen und seine Kunden beraten. Dafür muss man aber wissen wie. Das fängt schon bei der richtigen Kame­raeinstellung an. Damit der Kunde sich angesprochen fühlt, muss man direkt in die Kamera schauen. Ist das falsch ein­gestellt, so dass man nach oben oder unten schaut, erreicht man den Kunden schlechter und er hat im schlimmsten Fall das Gefühl, man schaut auf ihn herab oder über ihn hinweg. Da dürfen alle Berater jetzt ganz neue Skills lernen, unabhän­gig vom Geschlecht. (lvs/lb)