Die Gliedertaxe in der Unfallversicherung
07.12.2023
Rechtsanwalt Jens Reichow. Foto: Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte
Wer einen Unfall erleidet und sich an die Unfallversicherung wendet, wird häufig mit dem Begriff der Gliedertaxe konfrontiert. Was genau unter der Gliedertaxe zu verstehen ist und wie sich der Invaliditätsgrad berechnet soll im nachstehenden Artikel erläutert werden.
Bestimmung des Invaliditätsgrades
Die Gliedertaxe bewertet den Verlust oder die – dem Verlust gleichgestellte – vollständige Funktionsunfähigkeit von Körperteilen, Organen und Sinnesorganen. Für den Verlust bestimmter Glieder oder Sinnesorgane enthält die Taxe Prozentsätze. Die Höhe der Leistung aus der Unfallversicherung bemisst sich dann nach dem sich daraus ergebenden Invaliditätsgrad. Bei teilweisem Verlust oder teilweiser Funktionsunfähigkeit wird ein entsprechender Teil des Prozentsatzes angenommen und üblicherweise in Bruchteilen der vollen Funktionslosigkeit ausgedrückt.
Verlust und Funktionsunfähigkeit
Unter dem Verlust ist eine endgültige Trennung des Gliedes vom Körper zu verstehen. Daraus folgt, dass kein Verlust vorliegt, wenn ein abgetrenntes Glied wieder angenäht und voll funktionstüchtig wird oder wenn durch Implantation eines Fremdgliedes die volle oder teilweise Funktionsfähigkeit wiederhergestellt werden kann (siehe auch Wegfall der Invalidität durch implantierte Prothese? (BGH)).
Die dem Verlust gleichstellte Funktionslosigkeit betrifft den Zweck des Gliedes. In seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigt ist ein Glied, wenn es seine natürlichen Aufgaben im Ganzen betrachtet nicht mehr zu erfüllen vermag. Sofern einzelne Funktionen des Gliedes unbeeinträchtigt sind, kann jedoch nicht auf einzelne unfallbedingte Einschränkungen abgestellt werden und daraus auf den Grad der Funktionsunfähigkeit geschlossen werden. In solchen Fällen ist der Grad der Funktionsbeeinträchtigungen niedriger einzustufen.
Auslegung der Gliedertaxe
Die Gliedertaxe ist unter Zugrundelegung der Sichtweise eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszulegen. Daraus ergibt sich, dass die Gliedertaxe nach einem abstrakten und generellen Maßstab feste Invaliditätsgrade für die ihr genannten Glieder und Sinnesorgane bestimmt (siehe dazu auch Gliedertaxe: Mehrfache Beeinträchtigung desselben Körperteils (BGH)). Unerheblich ist dabei, ob der Verlust aufgrund der konkreten Lebenssituation des Versicherungsnehmers besonders schmerzlich ist oder ihn in individueller Hinsicht härter betrifft (siehe auch Berücksichtigt die Gliedertaxe individuelle Besonderheiten des Versicherungsnehmers? (OLG Hamm)).