Fingiertes Anerkenntnis der Berufsunfähigkeit nach Gutachten?

10.01.2024

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke. Foto: Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Fingiertes Anerkenntnis der Berufsunfähigkeit

Der Versicherungsnehmer ist der Auffassung, der Versicherer habe auf Grundlage der im eigenen Auftrag erstatteten Gutachten ein sog. gebotenes Anerkenntnis abgeben müssen. Da der Versicherer dem nicht nachgekommen sei, habe er seine aus § 173 Abs. 1 VVG und dem Versicherungsvertrag folgende Verpflichtung verletzt. Dies habe zur Folge, dass dieses Anerkenntnis fingiert werde.

Darauf stützte der Versicherungsnehmer seine Klage und beantragte sowohl die rückständige Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente von März 2017 bis einschließlich August 2020 als auch die Zahlung einer monatlichen Berufsunfähigkeitsrente ab September 2020 bis längstens einschließlich Juni 2044. Zudem verlangte er die Rückzahlung der überbezahlten Beiträge für den Monat März 2017.

Verweisung auf Hilfsmittel bezüglich der Handgelenkbeschwerden

Das LG Nürnberg-Fürth befasste sich zunächst mit der Frage, ob eine Berufsunfähigkeit des Versicherungsnehmers schon aufgrund der Möglichkeit des Verweises auf bestimmte Hilfsmittel ausgeschlossen sein könnte. Ausweislich der Sachverständigengutachten umfassen die Beschwerden des Versicherungsnehmers Belastungsschmerzen mit einem Schmerzfokus über dem Handgelenk, eine schmerzhafte Umwendbewegung, eine schmerzhafte Dorsalextension sowie einen allgemeinen Kraftverlust in der rechten Hand.

Unter Berücksichtigung dieser Beschwerden entschied das Gericht, eine zeitliche Limitierung bei klassischen Büro-/Verwaltungstätigkeiten könne nicht angenommen werden. Vielmehr sei eine zeitliche Limitierung lediglich bei Ablagearbeiten gegeben, die wiederum mit einem Heben von schwereren Gewichten über 5 kg verbunden seien oder eines kraftvollen Grobgriffs bedürfen. Bei dem Tätigkeitsbild des Versicherungsnehmers führe eine solche Limitierung nicht zur Annahme, dass er zu mindestens 50% nicht in der Lage sei, diese Tätigkeit auszuüben.

Dahingegen sei nach den Ausführungen des Gutachters das Arbeiten an Tastaturen mit Hilfe einer Schiene auch schmerzfrei möglich. Durch diese Tätigkeit würde das Handgelenk nicht stark beansprucht werden. Auch bei dennoch auftretenden Schmerzen gebe es andere Möglichkeiten, wie das Nutzen von Einhandtastaturen oder ähnlichem. Damit könne auf bestimmte Hilfsmittel verwiesen werden, die die Annahme einer Berufsunfähigkeit ausschließen.

Objektive Gebotenheit des Anerkenntnisses

Das Gericht lehnte einen Anspruch des Versicherungsnehmers auf Leistung aus der Berufsunfähigkeitsversicherung auf Grundlage eines fingierten Anerkenntnisses des Versicherers ab. Erklärt der Versicherer sein Anerkenntnis nicht, obwohl er sich bedingungsgemäß erklären musste, so sei er gleichwohl so zu behandeln, als ob er anerkannt hätte. Dann läge ein fingiertes Anerkenntnis vor, von dem sich der Versicherer nur im Wege eines Nachprüfungsverfahrens lösen könne (Zum Nachprüfungsverfahren des Berufsunfähigkeitsversicherers siehe auch: „Die Nachuntersuchung in der Berufsunfähigkeitsversicherung“).

Nach Auffassung des Gerichts sei die alleinige Voraussetzung für die Annahme eines fingierten Anerkenntnisses dessen objektive Gebotenheit, also dass bedingungsgemäß Berufsunfähigkeit vorgelegen hat (Zu den Anforderungen des fingierten Anerkenntnisses siehe auch: „Leistungsdauer nach einem fingierten Anerkenntnis“). In Anbetracht dessen sei im vorliegenden Fall nicht von einem fingierten Anerkenntnis auszugehen. Insbesondere liege ein solches nicht bereits vor, wenn der Versicherer aufgrund der ihm vorliegenden Gutachten von einer Berufsunfähigkeit hätte ausgehen müssen. Bei dem Versicherungsnehmer habe eine erforderliche bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit aufgrund der Verweisbarkeit auf Hilfsmittel gerade nicht vorgelegen. Unerheblich sei indessen, dass die vom Versicherungsnehmer eingeholten Gutachten womöglich zu einem anderen Ergebnis gekommen wären.

Ferner sei das Abweichen des Versicherers von der Einschätzung des von ihm beauftragten Sachverständigen und damit die Ablehnung der Berufsunfähigkeit nicht rechtsmissbräuchlich. Die Frage der Berufsunfähigkeit sei schließlich juristischer Natur.

Fazit

Es ist nicht von einer fingierten Anerkenntnis der Berufsunfähigkeit auszugehen, wenn lediglich der Versicherer aufgrund seiner der ihm vorliegenden und von ihm eingeholten Gutachtenlage von einer Berufsunfähigkeit ausgehen konnte. Vielmehr muss ein Anerkenntnis objektiv geboten sein. Dafür müsste im streitgegenständlichen Zeitraum eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorgelegen haben. Arbeitnehmer, deren Tätigkeitsbild von der Arbeit an Tastaturen geprägt ist, können auf die Verwendung von Hilfsmitteln, wie Gelenkschienen oder Einhandtastaturen verwiesen werden, sodass keine Berufsunfähigkeit vorliegt.

Ein Gastbeitrag von Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke, Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte.

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