„Staatsanleihen sind kein sicherer Hafen mehr“

19.03.2020

Jean-Marie Mercadal, Chefanlagestratege bei OFI Asset Management / Foto: © OFI

Die Märkte agieren mehr als panisch und haben bereits jetzt eine sehr starke Wirtschaftsrezession eingepreist, sagt Jean-Marie Mercadal, Chefanlagestratege bei OFI Asset Management. Das sei aus heutiger Sicht übertrieben, auch wenn klar sei, dass wir eine tiefgreifenden Wirtschaftsrückgang bekommen werden.

Anleger mit langfristiger Perspektive sollten aus unserer Sicht damit beginnen, wieder zu investieren, insbesondere in Aktien und Hochzinsanleihen:

„Staatsanleihen sind kein sicherer Hafen mehr. Die Tatsache, dass die Anleiherenditen in letzter Zeit weiter gestiegen sind, wirft Fragen auf. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen, die als ultimativer sicherer Hafen in früheren Krisen galten, ist in den letzten Tagen von -0,85 % auf -0,42 % gestiegen. Ebenso ist die Rendite des US-Pendants von einem Tiefststand von etwa 0,35 % auf 0,8 % gestiegen.

Sind die Märkte also dabei, einen massiven fiskalischen Stimulus einzupreisen?

Bei der derzeitigen Krise handelt es sich eher um eine Wirtschafts- als um eine Finanzkrise. Deshalb liegt es an den Staaten, die durch die Epidemie verursachten Schäden wieder in Ordnung zu bringen. Dies wird die weltweit bereits hohe Staatsverschuldung um enorme Summen erhöhen, aber einige Regierungen – wie die französische, deutsche und österreichische – haben sich verpflichtet, die Unternehmen „um jeden Preis“ zu unterstützen.

Fakt ist, dass das Wachstum in diesem Jahr tatsächlich sehr stark beeinträchtigt wird, auch wenn bisher noch nicht viele Prognosen gemacht wurden. Eine Analyse von Goldman Sachs geht davon aus, dass das US-Wachstum im ersten Quartal auf 0  % und im zweiten Quartal auf -5 % fallen wird, bevor es wieder auf +3 % im dritten und +4 % im vierten Quartal ansteigt. In diesem Fall würde es sich um eine V-förmige Erholung handeln. Das erscheint logisch, da die Produktionsanlagen (bisher) keinen Schaden erlitten haben. Die Produktion steht vielerorts „lediglich“ auf Stillstand bzw. unter Quarantäne. Die entscheidende Frage ist also, wann die Erholung wieder einsetzen wird – eine Prognose, die zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich ist.

Kurz gesagt: Die gegenwärtige Krise wird sich vielleicht irgendwann als konstruktiv erweisen, da sie positive Veränderungen im Verhalten (mehr Gemeinsinn), in den Methoden (Arbeiten von zu Hause), in der Organisation der Produktionsketten (weniger Globalisierung) auslösen könnte. Dies könnte uns dabei helfen, uns wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren und auch den Weg zu einer grüneren und verantwortungsbewussteren Wirtschaft zu ebnen.“ (ah)