Wenn Beschlüsse nichts mehr wert sind - Vorsicht bei der Formulierung der Anleihebedingungen!

22.06.2021

Dr. Andreas Sasdi, Rechtsanwalt und Partner, BSB Quack Gutterer Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB

Viele Anlegerskandale der letzten Jahre führten zu einer zunehmenden gesetzlichen Regulierung und Haftungsverschärfung auf dem grauen Kapitalmarkt. Dabei schießen der Gesetzgeber und die Gerichte bisweilen auch gerne einmal über das Ziel hinaus. Das jüngste Beispiel bildet die neueste Rechtssprechung zu Anleihebedingungen. Worauf Emittenten jetzt und in Zukunft achten müssen, soll der nachfolgende Beitrag aufzeigen.

Während die Finanzbranche einen gesetzgeberischen Aktionismus mit Blick auf den grauen Kapitalmarkt gewohnt ist, entwickelt sich verstärkt eine zweite Spur der Regulierung, und zwar durch die Gerichte selbst. Bisweilen wird dabei allerdings auch über das Ziel hinausgeschossen. Insbesondere das sogenannte „Transparenzgebot“ entwickelt sich neuerdings zu einer regelrechten Allzweckwaffe gegen vermeintliche Fehlentwicklungen auf dem Kapitalmarkt. Das jüngste Beispiel hierfür bietet die neueste Rechtsprechung zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) bei nicht verbrieften Unternehmensanleihen. Worum geht es konkret: Oftmals werden bei Unternehmensanleihen im Zeitablauf auf Gläubigerversammlungen Beschlüsse gefasst, welche die Rückzahlungsmodalitäten modifizieren. Dies ist grundsätzlich sinnvoll und zweckmäßig. Auf diese Weise kann beispielswiese eine Insolvenz des Schuldners abgewendet und das Unternehmen saniert werden – was schließlich auch im Interesse der Gläubiger ist. Oberlandesgerichte und der Bundesgerichtshof (BGH) halten neuerdings diverse standardmäßig verwendete Klauseln allerdings für unwirksam. Deswegen können Anleger in vielen Fällen eine Rückzahlung der von ihnen investierten Gelder vom Emittenten zu den ursprünglichen Konditionen erwirken – auch entgegen Beschlüssen der Gläubiger mit anderen Rückzahlungsmodalitäten. Die Beschlüsse sind dann faktisch nichts mehr wert. Eine Unternehmenssanierung kann in der Folge deutlich erschwert, wenn nicht gar verhindert werden. Emittenten von nicht verbrieften Unternehmensanleihen ist daher anzuraten, ihre AGB zu überprüfen und bei Bedarf zu ändern, damit Beschlüsse auf Anlegerversammlungen in Zukunft auch wirklich gerichtsfest sind. Für Anleger bieten sich über das Einfallstor der AGB-Kontrolle nun hingegen Chancen, sich von einem unliebsam gewordenen Investment zu den ursprünglichen Konditionen zu lösen. Weshalb aber sind nach Maßgabe des BGH und einiger Oberlandesgerichte Beschlüsse nicht gerichtsfest? Und was ist zu tun, um sichere AGB-Klauseln zu verwenden?

BGH: AGB zu Anlegerversammlungen sind intransparent

Das Einfallstor für die Rückabwicklung des Investments bieten die branchenüblichen AGB-Klauseln zu Anlegerversammlungen: Bei einer Klausel, welche es den Anlegern gestattete, ohne jede Beschränkung Beschlüsse zu fassen und dadurch die Anleihebedingungen zu ändern, urteilte der Bundesgerichtshof, dass hierin eine Verletzung des Transparenzgebots vorliege (BGH, Urteil vom 16.01.2020, IX ZR 351/18). Dies hat zur Folge, dass auch auf Grundlage dieser Klauseln gefassten Beschlüsse nicht bindend sind. Die zentrale Begründung des BGH lautet: Der Anleger könne nicht erkennen, was er zusammen mit einer Mehrheit von anderen an der Abstimmung teilnehmenden Gläubiger beschließen kann oder nicht. Im Ergebnis wird den Anlegerversammlungen das Recht genommen, ihre Vertragsbedingungen mit einer qualifizierten Mehrheit zu ändern. Die Relevanz dieser Entscheidung kann nicht überschätzt werden: derartige Öffnungsklauseln wie die der BGH-Entscheidung zugrundeliegende zu Anleger- bzw. Gläubigerversammlungen existieren in der Praxis zuhauf. Umso mehr ist vor dem Hintergrund dieser jüngeren Rechtsprechung bei der Verwendung von AGB also besondere Vorsicht geboten.

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