Zur Pflicht der Auswertung vorhandener Veröffentlichungen in der Wirtschaftspresse für den Kapitalanlagevertrieb
07.02.2013

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Anlageberater können regelmäßig davon ausgehen, dass für die Öffentlichkeit bestimmte Informationen (Presseerklärungen) der zuständigen Aufsichtsbehörde auch in der vom Berater zur Kenntnis zu nehmenden einschlägigen Wirtschaftspresse ihren Niederschlag finden. Über deren Lektüre hinaus schuldet der Berater grundsätzlich keine Nachfrage bei der Aufsichtsbehörde. Art/Datum der Entscheidung: Urteil vom 16.09.2010, AZ: III ZR 14/10, Analyst: Dr. Klaus-R. Wagner, Wiesbaden, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt für Steuerrecht
Kurzzusammenfassung:
Die Entscheidung des BGH befaßt sich mit den Pflichten eines Anlageberaters. Dieser habe sich aktuelle Informationen über das Objekt zu verschaffen, das er empfehlen will. Dazu gehöre auch die Auswertung vorhandener Veröffentlichungen in der Wirtschaftspresse. ABER: Eine mehrere Jahre zurückliegenden Pressemitteilung des Bundesaufsichtsamtes, die zu keiner Meldung in der einschlägigen Wirtschaftspresse geführt habe, müsse dem Anlageberater nicht präsent sein. Er müsse insoweit auch keine Nachfrage bei der Aufsichtsbehörde vornehmen. Ferner schulde der Anlageberater grundsätzlich keine weitere Nachforschung, wenn er die einschlägige Wirtschaftspresse auswerte und diese ihm im Hinblick auf die vertriebene Anlage keinen Anlass gegeben habe, an der Seriosität zu zweifeln.
Entscheidungsanalyse:
Will er Anlageinteressent die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse des Vertreibenden in Anspruch nehmen, so kommt zumindest stillschweigend ein Beratungsvertrag zustande. Für Anlageberater gilt es, folgendes zu beachten:
1. Besteht eine Nachforschungspflicht nach aktuellen Informationen ?
Im Grundsatz ja bezüglich der vertriebenen Anlageprodukte (BGH 05.11.2009 - III ZR 302/08, WM 2009, 2360 Rdn. 18). Dazu gehört die Auswertung vorhandener Veröffentlichungen in der Wirtschaftspresse (BGH 07.10.2008 - XI ZR 89/07, NJW 2008, 3700 Rdn.25; BGH 05.03.2009 - III ZR 302/07, WM 2009, 688 Rdn. 14; BGH 05.11.2009 - III ZR 302/08, WM 2009, 2360 Rdn. 16). Für die Pflicht zur Nachforschung nach aktuellen Informationen besteht eine 3 Tages-Frist (BGH 05.11.2009 - III ZR 302/08, WM 2009, 2360 Rdn. 18). Der Anlageberater ist jedoch nicht verpflichtet, nachzuforschen, ob es in der Vergangenheit Presseerklärungen der Aufsichtsbehörde gegeben hat, die keinen Niederschlag in der einschlägigen Wirtschaftspresse gefunden haben (BGH 16.09.2010 - III ZR 14/10, WM 2010, 1932 Rdn. 15).
2. In welcher Wirtschaftspresse ?
Börsenzeitung, Financial Times Deutschland, Handelsblatt, FAZ (BGH 07.10.2008 - XI ZR 89/07, NJW 2008, 3700 Rdn. 25; BGH 05.03.2009 - III ZR 302/07, WM 2009, 688 Rdn. 14). Nicht Brancheninformationsdienste wie "k" (BGH 07.10.2008 - XI ZR 89/07, NJW 2008, 3700 Rdn. 26). Nicht Wirtschaftswoche (BGH 05.03.2009 - III ZR 302/07, WM 2009, 688 Rdn. 17). Der Anlageberater kann selbst entscheiden, welche Auswahl an Publikationsorganen er vorhält, wenn die getroffene Auswahl ausreichend ist (BGH 05.03.2009 - III ZR 302/07, WM 2009, 688 Rdn. 15; BGH 05.11.2009 - III ZR 302/08, WM 2009, 2360 Rdn.16). Das Vorhalten des Handelsblatts ist jedoch für einen Anlageberater unverzichtbar (BGH 05.11.2009 - III ZR 302/08, WM 2009, 2360 Rdn. 17).
3. Was ist mitzuteilen ?
Zeitnahe und gehäufte negative Berichte (BGH 07.10.2008 - XI ZR 89/07, NJW 2008, 3700 Rdn. 25, 28; BGH 05.03.2009 - III ZR 302/07, WM 2009, 688 Rdn. 14). Berichte aus Brancheninformationsdiensten sind im Grundsatz nicht mitzuteilen, es sei denn, solche sind bekannt und diese haben sich in der Fachöffentlichkeit durchgesetzt (BGH 07.10.2008 - XI ZR 89/07, NJW 2008, 3700 Rdn. 27; BGH 05.03.2009 - III ZR 302/07, WM 2009, 688 Rdn. 18). Lediglich negative Berichte ohne nennenswerten Informationscharakter sind nicht mitzuteilen (BGH 05.03.2009 - III ZR 302/07, WM 2009, 688 Rdn. 21). Ist lediglich im Handelsblatt eine Negativmitteilung des Bundesaufsichtsamtes über die zu vertreibende Anlage veröffentlicht worden, so muß dies dem Anlageinteressenten allerdings mitgeteilt werden (BGH 05.11.2009 - III ZR 302/08, WM 2009, 2360 Rdn. 20). Meldungen des Bundesaufsichtsamtes, die jedoch keinen Eingang in die Wirtschaftspresse gefunden haben und längere Zeit zurückliegen, müssen Anlageinteressenten nicht mitgeteilt werden (BGH 16.09.2010 - III ZR 14/10, WM 2010, 1932 Rdn. 18).
Handlungsbedarf:
Vor Jahren schon wurde die Kapitalanlagebranche des freien Kapitalanlagemarktes damit konfrontiert, daß sog. Brancheninformationsdienste mit Negativberichterstattungen über Marktteilnehmer aufwarteten, um dann, wenn sie deswegen in Urteilen zitiert wurden, öffentlichkeitswirksam zu behaupten, sie seien angeblich von der Rechtsprechung anerkannte Pflichtlektüren. Ausgelöst durch unterschiedliche Rechtsprechung zur Aufklärungspflicht des Kapitalanlagevertriebs über Negativberichterstattungen begann eine Diskussion, ob der Anlagevertrieb eine Recherchepflicht nach Negativberichterstattungen hatte bzw. ob und welche Wirtschaftszeitschriften und Brancheninformationsdienste er diesbezüglich auszuwerten hatte und bezogen auf welchen Zeitraum. Diesseits wurde in Fachbeiträgen aufgezeigt, welches die interessengeleiteten bzw. kommerziellen Hintergründe von Negativberichterstattungen am freien Kapitalanlagemarkt insbesondere durch bestimmte Brancheninformationsdienste waren. Auch wurde darauf hingewiesen, daß in einer Vielzahl von Fällen Negativberichterstattungen nicht auf durchgeführten Recherchen beruhen. Andere namhafte Autoren publizierten ebenfalls dazu.
Und in einem weiteren Schritt wurde durch Fachbeiträge verdeutlicht, daß und welche rechtliche Pflichten umgekehrt gerade der Branchen- und Wirtschaftspresse obliegen und welches die Folgen sind, wenn seitens der Branchen- und Wirtschaftspresse dagegen verstoßen wird. Denn es konnte nicht angehen, den Kapitalanlagevertrieb einer Aufklärungspflicht betreffend Negativberichterstattungen zu unterwerfen, wenn diese auf nicht vorhandenen Recherchen und grundlegenden Pflichtverstößen der Branchen- und Wirtschaftspresse beruhten.
Der BGH hat mit seiner Rechtsprechung zur Negativberichterstattung vor dem Hintergrund dieser Fachbeiträge inzwischen angemessen reagiert und differenziert. Die Praxis wird sich darauf einstellen können.
Fundstellen:
Assmann, Negativberichterstattung als Gegenstand der Nachforschungs- und Hinweispflichten von Anlageberatern und Anlagevermittlern, ZIP 2002, 637
Edelmann, Gibt es eine Hinweispflicht des Anlagevermittlers/-beraters auf negative Presseberichterstattungen? BKR 2003, 438
Loritz, Aufklärungs- und Informationsbeschaffungspflichten über Presseberichte beim Vertrieb von Kapitalanlagen, NZG 2002, 889
Loritz, Haftung im Medienbereich bei vorsätzlich falscher Berichterstattung über Kapitalanlageprodukte, WM 2004, 957
Wagner, Abwehrmöglichkeiten gegen auf Imageschädigung zielende Medienberichterstattungen und Sammelklagen, in: Schmider/Wagner/Loritz, Handbuch der Bauinvestitionen und Immobilienkapitalanlagen (HdB), (11/2001), Fach 0302
Wagner, Kapitalanlagerechtliche Aufklärungspflichten über jede Art von Negativberichterstattungen? WM 2002, 1037
Wagner, Beeinflusste Presseberichterstattungen in der Branchen- und Wirtschaftspresse und ihre Folgen am Kapitalanlagemarkt, WM 2003, 1158
Wagner, Keine kapitalanlagerechtlichen Aufklärungspflichten über jede Art von Negativberichterstattungen, BKR 2005, 436
