Anleger zwischen Inflation, Geopolitik und Zinspolitik
13.10.2025

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Die Weltwirtschaft trotzt der Rezession – doch die Ruhe trügt. Zwischen Inflation, geopolitischer Unsicherheit und geldpolitischen Wendepunkten suchen Anleger nach Orientierung. Für Jörg Held, Head of Portfolio Management bei ETHENEA Independent Investors S.A., stehen daher selektiver Anleihenaufbau, strategischer Aktienoptimismus und taktische Dollarstärke im Fokus.
Handels- und Geopolitik: ruhiger, aber weiter angespannt
„An der Handelsfront hat sich die Lage beruhigt. Wir sehen das aktuelle Niveau der Handelsbarrieren weder als außergewöhnlich wachstumsbremsend noch als signifikant inflationstreibend an“, erklärt Held zur handelspolitischen Lage. Zwar sei das Zollniveau so hoch wie seit den 1930er-Jahren nicht mehr, doch eine neue Eskalation ist ausgeblieben. Rechtliche Streitfragen in den USA, mögliche sektorale Zölle und die ausstehende Einigung mit China sorgten allerdings weiter für Unsicherheit. „Geopolitisch bleibt vor allem der Ukraine-Krieg eine Dauerbelastung. Er hält die Preise für Rohstoffe hoch und verstärkt die politische Risikoprämie“, so Held weiter.
Die globale Inflationslandschaft driftet auseinander
„Die USA und die Eurozone sind jeweils einzigartigen Risiken ausgesetzt und entwickeln sich in der Preissteigerung auseinander“, sagt Held. So hat sich in den USA die Gesamtinflation im August beschleunigt – getrieben durch höhere Energiekosten stieg die Jahresrate auf 2,9 Prozent. Die Kernrate mit weiterhin 3,1 Prozent sei ein klares Zeichen für anhaltenden Preisdruck. „Zwar wirken moderates Wachstum und schwache Lohnentwicklung dämpfend, doch strukturelle Faktoren wie Reshoring und Energiepreise verhindern eine schnelle Rückkehr zur Zwei-Prozent-Marke“, erläutert Held. „In der Eurozone ist der Disinflationsprozess hingegen weiter fortgeschritten. Mit rund zwei Prozent liegt die Teuerung im Zielkorridor der Europäischen Zentralbank (EZB).“ Die Verbraucherpreise stiegen im August im Jahresvergleich um 2,1 Prozent, während die Kerninflation unverändert bei 2,3 Prozent verharrte. „Der Rückgang der Dienstleistungspreise signalisiert Entspannung. Hauptrisiken bleiben externe Schocks über Energie und US-Zölle“, ordnet der Ethenea-Anlageexperte ein.
US-Wirtschaft überraschend robust
Nach einem schwachen Jahresauftakt hat sich die US-Wirtschaft erneut als widerstandsfähig erwiesen. „Der überraschend starke private Konsum und höhere Unternehmensausgaben haben das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts getragen“, erklärt Held. In der Folge wurde das Wachstum für das zweite Quartal auf 3,8 Prozent und die Prognosen für das laufende auf 3,3 Prozent nach oben angepasst. „Der wohl deutlichste Wendepunkt ist der sich immer schneller abschwächende Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote ist auf 4,3 Prozent gestiegen – ein Höchststand seit 2021“, ordnet Held ein. „Die Anzahl neugeschaffener Stellen hat stark abgenommen und auch für die Vormonate wurden sie drastisch nach unten revidiert. Die US-Notenbank hat deshalb im September damit begonnen, ihren Zinssenkungszyklus wieder aufzunehmen.“
Held rechnet damit, dass der Zinssenkungskurs noch forciert werden dürfte: „Vor dem Hintergrund des politischen Drucks, den anstehenden Veränderungen in der Zusammensetzung der Fed und den relativ stabilen Inflationserwartungen gehen wir von mehr als den bislang angekündigten Zinssenkungen in den nächsten 15 Monaten aus. Diese Maßnahmen und das im Sommer verabschiedete Fiskalpaket dürften Anfang nächsten Jahres einen Wachstumsschub bringen.“
Wirtschaft in der Eurozone: schwach, aber stabil
„Binnenkonsum und höhere Reallöhne stützen, während Außenhandel und geopolitische Unsicherheit belasten. Die EZB rechnet nur mit moderatem Wachstum“, erläutert Held. Die EZB hat ihre Bruttoinlandsprodukt-Prognose für dieses Jahr zwar leicht auf 1,2 Prozent angehoben, für 2026 jedoch auf ein Prozent gesenkt – wobei sie nun einen durchschnittlichen US-Zoll von 13 Prozent in ihren Annahmen berücksichtigt. „Der Außenhandel bleibt voraussichtlich die Achillesferse der Europäischen Union. Die Kombination aus den eingeführten US-Zöllen, der anhaltenden Unsicherheit über geopolitische Entwicklungen und dem schwächeren globalen Wachstum belastet die Exportaussichten“, so der Ethenea-Experte. Politische Risiken – etwa Frankreichs Haushaltslage – könnten das Investitionsklima zusätzlich trüben. Positiv ist laut Held, dass die sinkende Inflation der EZB Spielraum für Zinssenkungen lasse.
High-Yield-Anleihen: enge Spreads, selektive Chancen
Die Kreditaufschläge für Unternehmensanleihen notieren historisch niedrig: Im Euroraum liegen sie für Investment-Grade-Anleihen bei 0,79 Prozent, in den USA bei 0,74 Prozent und im High-Yield-Bereich rund 180 Basispunkte höher. „Das letzte Mal lagen diese Werte vor der Finanzkrise 2008 für längere Zeit unter dem aktuellen Niveau“, kommentiert Held. „Wir erwarten keine akute Ausweitung. Da eine Rezession unwahrscheinlicher wird, sind selektiv High-Yield-Anleihen interessant. Angesichts gestiegener Risikoaufschläge halten wir französische Staatsanleihen für attraktiv.“
US-Börsen bleiben auf Rekordniveau
In den USA markieren die Indizes neue Allzeithochs, angetrieben von einigen wenigen Tech-Werten, während der europäische Aktienmarkt eher stagniert. „Strategisch bleiben wir bullisch für die Assetklasse Aktien“, bekennt Held. „Kurszuwächse erscheinen im Rahmen des prognostizierten Gewinnwachstums realistisch.“ Er erwartet eine Fortsetzung der Tech- und KI-Rallye: „Wir rechnen mit einem Aufschließen der zweiten Reihe in der KI-Branche und einer breiteren Marktteilnahme.“ Eine Konsolidierung sei jedoch möglich. Gründe dafür: ein nachlassendes Momentum, Saisonalität und eine gewisse Selbstgefälligkeit der Anleger. Auch eine Reaktion im Sinne von „Buy the rumor, sell the news“ auf die jüngste Zinssenkung der Fed sei denkbar.
Dollar: kurzfristig stark, langfristig schwach
Langfristig geht Portfoliomanager Held von einer ausgeprägten Dollar-Schwäche aus. „Kurzfristig sehen wir allerdings ausreichend Gründe, die US-Dollar-Quote nach oben anzupassen: Der Zollstreit ist deeskaliert, der fiskale Stimulus in den USA stärker als in Europa, und die Wiederauffüllung des Treasury General Account bei der Fed entzieht dem Markt US-Dollar-Liquidität.“

US-Nebenwerte – nächstes Jahr ganz vorn dabei
