Blick nach Argentinien: Mileis „Kettensäge“ zeigt Wirkung

20.08.2025

Tobias Wagner / Foto: © KSW Vermögensverwaltung AG

Als der exzentrische Ökonom Javier Milei im Dezember 2023 Argentiniens Präsidentschaft übernahm, versprach er nichts weniger als eine wirtschaftliche Revolution. Sein Werkzeug: die Motosierra, die Kettensäge. Weg mit dem überbordenden Staat, weg mit dem Peso, her mit der totalen Deregulierung. Ein Land am Abgrund, so seine Diagnose, braucht eine Schocktherapie. Inzwischen regiert Milei seit rund 20 Monaten – Zeit für eine Zwischenbilanz.

Zweifellos hat Milei international für Aufsehen gesorgt: Der Kurs des Peso wurde freigegeben, Subventionen drastisch gekürzt, der öffentliche Dienst eingefroren und der gesamte Staatsapparat wurde deregulieren. Investoren und Teile der Wirtschaftselite begrüßen diesen Kurs. Argentinien zeigt erstmals seit Jahren fiskalische Disziplin. Innerhalb weniger Monate verwandelte sich das Haushaltsdefizit in einen Primärüberschuss – eine Seltenheit in der Geschichte des Landes.

Mittlerweile sind einige weitere Effekte Mileis Reformen gut sichtbar. Die Hyperinflation, die Argentinien jahrzehntelang plagte, ist in den Griff bekommen worden. Die monatlichen Preissteigerungen fielen von 20 Prozent auf mittlerweile unter 2 Prozent: Das ist kein Zufall, sondern das Resultat einer radikalen Politik. Der Staat spart wie nie zuvor. Beamte wurden entlassen, Ministerien aufgelöst, Subventionen gekürzt. Der Staatshaushalt schreibt erstmals seit 15 Jahren schwarze Zahlen. Milei liefert, was er versprochen hat.

Armut trifft vor allem Kinder

Doch während die Ratingagenturen applaudieren, ist der Preis für die Bevölkerung hoch. Die Wirtschaft fiel zu Beginn seiner Präsidentschaft in eine Rezession. Der Binnenkonsum brach ein, weil die Reallöhne sanken. Die Arbeitslosigkeit steigt, während Armut und Hunger in weiten Teilen der Bevölkerung Alltag sind. Mitte 2024 galten über 50 Prozent der Bevölkerung als arm. Zwei von drei Kindern leben unterhalb der Armutsgrenze, oft ohne Zugang zu Schulspeisungen oder medizinischer Versorgung. Der Rückzug des Staates trifft diese Bevölkerungsgruppe besonders hart.

Milei hält an seinem Kurs fest. Das „Tal der Tränen“ sei nötig, um langfristig Wohlstand zu schaffen. Erste Daten stützen seine These: Denn einhergehend mit der Stabilisierung der Inflation scheint es auch bei der Armutsquote wieder aufwärtszugehen. Die Armutsquote sank von 52,9 Prozent im ersten Halbjahr 2024 auf 38,1 Prozent im zweiten Halbjahr. Doch viele Menschen müssen mehrere Jobs annehmen, um Kürzungen im Sozialbereich und bei den Subventionen aufzufangen.

Freiheit mit Fürsorge verbinden

Wachstum ist nun entscheidend. Nach zwei Rezessionsjahren erwarten OECD und IWF für 2025 ein reales BIP-Wachstum von 5,5 Prozent, für 2026 knapp vier Prozent.

Mileis Politik zeigt Wirkung. Er hat Reformbereitschaft und Entschlossenheit demonstriert. Nun muss er beweisen, dass er auch Maß kennt und Marktfreiheit mit sozialer Verantwortung kombinieren kann. Hier lohnt für ihn ein Blick über den Atlantik – zu Ludwig Erhard, dem Vater der sozialen Marktwirtschaft. Ludwig Erhards Konzept der sozialen Marktwirtschaft verbindet wirtschaftliche Freiheit mit einem stabilen Ordnungsrahmen, der zugleich soziale Härten abfedert. Ein aufgeblähter Staat war auch Erhard fremd.

Ob Argentinien diesen Weg gehen kann, ist noch offen. Aber erstmals seit Jahren gibt es wieder eine reale Perspektive auf wirtschaftliche Stabilität – und vielleicht auch auf gesellschaftlichen Ausgleich.

Marktkommentar von Tobias Wagner, KSW Vermögensverwaltung AG, Nürnberg.