Fehlsteuerung in Milliardenhöhe

13.08.2025

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Exklusiv

Seit gerade einmal drei Jahren erhalten Menschen in vollstationärer Pflege abhängig von ihrer Aufenthaltsdauer Leistungszuschüsse zu ihren Eigenanteilen. Schon heute zeigt sich, dass die Einführung dieser Zuschläge eine der teuersten Sozialreformen der jüngsten Vergangenheit war.

Was noch schwerer wiegt: Die Zuschläge werden nicht mal ihrem eigentlichen Zweck gerecht. Denn die Leistung kommt nach dem „Gießkannen-Prinzip“ allen zugute und damit auch denjenigen, die nicht darauf angewiesen wären und die Eigenanteile selbst tragen könnten. Deswegen sollte der Ausgaben-Dynamik durch eine Gesetzesänderung schnellstmöglich entgegengewirkt werden. Für die Absicherung des Eigenanteils gibt es Lösungen, die nachhaltiger sind und die junge Generation nicht überfordern.

Hintergrund

In der Gesetzlichen Pflegeversicherung gilt das Teilleistungsprinzip. Das heißt, dass die Pflegebedürftigen stets einen Teil der Kosten aus eigener Tasche zahlen. So bleibt in der vollstationären Pflege ein sogenannter einrichtungseinheitlicher Eigenanteil (EEE). Da dieser von den Versicherten selbst zu tragende Anteil über die Jahre größer wurde, führte der Gesetzgeber im Jahr 2022 die Zuschüsse nach § 43c SGB XI ein. Versicherte erhalten demnach ab dem Pflegegrad 2 einen Zuschlag von 30 %, wenn der Leistungsbezug mehr als zwölf Monate dauert. Bei 36 Monaten sind es schon 75 %.

Kosten laufen aus dem Ruder

Die Ausgaben für den Leistungszuschlag haben sich von Beginn an deutlich stärker entwickelt als vom Bundesgesundheitsministerium ursprünglich berechnet: Anstelle der bis 2025 prognostizierten jährlichen Kosten von 2,5 Mrd. Euro lagen die tatsächlichen Ausgaben im ersten Jahr bereits bei 3,6 Mrd. Euro. Im vergangenen Jahr stiegen die Kosten auf 6,4 Mrd. Euro. Und bis zum Ende der Legislaturperiode könnten sie jährlich auf bis zu 9,4 Mrd. Euro anwachsen. Das geht aus einer aktuellen Studie des IGES-Instituts hervor. Der Grund: Die Pflegekosten bei vollstationärer Pflege sind in den letzten Jahren stark angestiegen. Das liegt zum einen an der wachsenden Zahl der Pflegebedürftigen. Zum anderen wirkt sich die Einführung der tariflichen bzw. an den Tarif angelehnten Entlohnung seit September 2022 aus. Diese Änderung hatte erhebliche finanzielle Auswirkungen auf die Pflegesätze und somit auch auf die Höhe des Leistungszuschlags bei vollstationärer Pflege. Auch in den kommenden Jahren ist von einem deutlichen Anstieg der Ausgaben für die Zuschläge auszugehen. Im ungünstigsten Fall drohen die Ausgaben laut IGES bis 2029 auf 9,4 Mrd. Euro zu steigen. Im Jahr 2035 könnten es schon 11,7 Mrd. Euro sein. Damit steigen die Leistungszuschläge jährlich um 4,8 % im Durchschnitt, was einer höheren Steigerungsrate entspricht als es bei den Eigenanteilen der Fall ist. Diese Entwicklung ist ein erheblicher Kostenfaktor für die Gesetzliche Pflegeversicherung. Laut IGES entsprachen die Ausgaben im Jahr 2024 rund 0,36 Beitragssatzpunkten. In der Folge werden neben Beitragszahlern und Arbeitgebern insbesondere die jüngeren Generationen belastet.

Zuschläge entpuppen sich als Erbenschutzprogramm

Die IGES-Studie zeigt darüber hinaus, dass der Anteil aller Pflegebedürftigen in vollstationären Einrichtungen, die Hilfe zur Pflege beziehen, in den letzten Jahren recht konstant bei einem Drittel geblieben ist. Mit anderen Worten: Der Zuschlag erfüllt trotz hoher Kosten nicht einmal seinen Zweck, dass weniger Pflegebedürftige Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen. Im Gegenteil: Er entlastet zu einem großen Anteil andere Pflegebedürftige, die sich den Eigenanteil im Pflegeheim durchaus selbst leisten könnten. Letztendlich führen die Zuschläge damit zu einer ungerechtfertigten Verteilung und schützen auf Kosten aller Beitragszahler das Vermögen vieler Versicherter und das Erbe ihrer Nachkommen.

Reformen sind dringend geboten

Angesichts unserer alternden Bevölkerung steht insbesondere die Pflegeversicherung vor einem enormen Kostendruck. Umso wichtiger ist, dass die verfügbaren Ressourcen effizient eingesetzt werden. Vor diesem Hintergrund stellt die Begrenzung der Ausgaben-Dynamik bei den Leistungszuschlägen eine wichtige Stellschraube dar. Sinnvoll wäre es, durch eine Gesetzesänderung zum Teilleistungsprinzip in der Gesetzlichen Pflegeversicherung zurückzukehren. Bei der Berechnung des Leistungszuschlags sollte daher künftig nicht mehr der aktuelle EEE zugrunde gelegt werden, sondern der Durchschnitt je Bundesland, der zu einem bestimmten Stichtag einmalig ermittelt wird. Dadurch könnten die Ausgaben für den Zuschuss nach Berechnungen des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP) bis zum Jahr 2029 um circa die Hälfte reduziert werden. Damit sich möglichst viele Versicherte den Eigenanteil bei einer vollstationären Pflege zukünftig leisten können, gibt es alternative Möglichkeiten zur Vorsorge, die die nachfolgenden Generationen nicht belasten. So sieht die Analyse des IGES den Abschluss einer privaten Pflegezusatzversicherung als bessere Möglichkeit, um die Lücke zu schließen. Das ist schon heute für weniger Beitrag möglich als viele denken. So hat etwa die Rating-Agentur Assekurata berechnet, dass sich bei einem Vertragsabschluss mit 25 Jahren mit einem Beitrag von 32 Euro monatlich ein EEE von 1.800 Euro absichern lässt. Wünschenswert ist es darüber hinaus, wenn die Bundesregierung jetzt die Eigenverantwortung stärkt und die private Vorsorge fördert. So lässt sich die Gesetzliche Pflegeversicherung stabilisieren und auf den demografischen Wandel vorbereiten.

Ein Beitrag von Anne Kristina Vieweg, Leiterin Geschäftsbereich Pflege, Verband der Privaten Krankenversicherung e.V.