Haftung eines Versicherungsvertreters und eines Versicherers bei Umdeckung einer Dienstunfähigkeitsversicherung

18.10.2022

Jens Reichow ist Fachanwalt für Bank- und KapitalmarktrechtFachanwalt für Handels- und GesellschaftsrechtJöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Parnterschaft mbB

In einer aktuellen Entscheidung des LG Erfurt (Urt. v. 17.03.2022 – 8 O 860/20) ging es um die Frage der Haftung eines Versicherungsvertreters und eines Versicherers bei der Umdeckung einer Dienstunfähigkeitsversicherung hin zu einer Berufsunfähigkeitsversicherung.

Der Sachverhalt vor dem LG Erfurt

Der Versicherungsnehmer ist Feuerwehrbeamter. Er unterhielt bereits seit einigen Jahren eine Dienstunfähigkeitsversicherung. Nachdem er sich in die Beratung des Versicherungsvertreters begeben hatte, schloss er auf dessen Empfehlung eine neue Versicherung bei dem beklagten Versicherer ab. Infolge der Umdeckung kündigte der Versicherungsnehmer seine bisher bestehende Dienstunfähigkeitsversicherung. Die neu abgeschlossene Versicherung umfasste jedoch entgegen den Erwartungen des Klägers nur eine Berufsunfähigkeitsversicherung.

Als dem Versicherungsnehmer dies Jahre später auffiel, zog er vor Gericht. Dort nahm er den Versicherer und den Versicherungsvertreter wegen Verletzung von Beratungs- und Aufklärungspflichten auf Quasideckung in Anspruch und begehrte die Feststellung, dass der Versicherungsvertreter und der Versicherer im Fall einer durch seine Dienstherren angeordneten Dienstunfähigkeit, verpflichtet sind, eine monatliche Rente zu zahlen.

Sowohl der Versicherungsvertreter als auch der Versicherer bestritten daraufhin jedwede Beratungsfehler und wiesen die Forderung des Versicherungsnehmers zurück. Der beklagte Versicherer war darüber hinaus der Auffassung, dass ihm etwaige Beratungsfehler des Versicherungsvertreters ohnehin nicht zugerechnet werden könnten. Zudem sei ein etwaiger Anspruch des Klägers sowieso verjährt.

Die rechtliche Wertung des LG Erfurt

Das LG Erfurt kam zu der Entscheidung, dass dem Versicherungsnehmer ein Schadensersatzanspruch gegen den Versicherungsvertreter und den Versicherer zusteht. Damit hat der versicherte Feuerwehrbeamte einen Anspruch auf eine zusätzliche Absicherung gegen eine mögliche Dienstunfähigkeit, wie er sie vor der Umdeckung genoss (Siehe hierzu ergänzend: Quasideckung: So ermittelt der BGH den Schaden des Versicherten).

Erhöhte Anforderungen an Beratungs- und Aufklärungspflichten bei „Umdeckung“

Das LG Erfurt betonte bei seiner Entscheidung insbesondere die hohen Anforderungen an die Beratungs- und Aufklärungspflichten des Versicherungsvertreters bei der sog. „Umdeckung“. Geht es um einen beabsichtigten Versichererwechsel unter Kündigung des Vertrags beim bisherigen Mitbewerber in einem existentiellen Bereich, so sind die an den Versicherungsvermittler gestellten Anforderungen an eine sachgerechte Aufklärung und Beratung besonders hoch. Er hat zu beachten, dass der Versicherungsnehmer in der Regel weder eine Deckungslücke noch eine Verschlechterung des Versicherungsschutzes in Kauf nehmen will. In der Regel wird der Versicherungsnehmer sogar erwarten, von dem Wechsel des Versicherers zu profitieren. Besteht die Gefahr, dass diese Erwartungen nicht erfüllt werden, so müssen Versicherer und Vertreter auf diese Gefahr hinweisen (Siehe hierzu auch: OLG Saarbrücken: Haftung des Versicherungsvertreters bei Umdeckung einer Berufsunfähigkeitsversicherung).

Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen, kam das LG Erfurt zu der Entscheidung, dass der Versicherer und der Versicherungsvertreter wegen der Verletzung ihrer Beratungs- und Aufklärungspflichten haften. Der Versicherungsnehmer hatte glaubhaft dargelegt, dass er auch im Falle eines Neuabschlusses bei einer anderen Versicherung an einem umfassenden Versicherungsschutz festhalten wollte, der auch die Dienstunfähigkeitsversicherung mitumfassen sollte. Der Versicherungsvertreter hätte also ausdrücklich darauf hinweisen müssen, dass die neu abgeschlossene Versicherung nur eine Berufsunfähigkeitsversicherung umfasst. Ein solcher Hinweis sei nicht erfolgt.

Beweislastumkehr durch fehlerhafte Dokumentation

Grundsätzlich trägt zwar der Versicherungsnehmer die Beweislast für das Vorliegen einer Pflichtverletzung. Bei einem Verstoß gegen die Dokumentationspflichten greifen jedoch Beweiserleichterungen zugunsten des Versicherungsnehmers. So war es auch in diesem Fall. Wegen fehlender Dokumentationen bzgl. eines Hinweises auf die fehlende Dienstunfähigkeitsversicherung, war es Sache der Beklagtenseite, eine umfassende Aufklärung und Beratung darzulegen und zu beweisen (Siehe hierzu ergänzend: BGH: Umkehr der Beweislast bei fehlender oder unvollständiger Dokumentation). Diesen Beweis konnten die Beklagten nicht führen.

Keine Verjährung

Außerdem kam das Gericht zu der Überzeugung, dass auch die Einrede der Verjährung, auf welche sich die Versicherung berufen hatte, nicht greift. Nach Ansicht des Gerichts, hatte der Versicherungsnehmer glaubhaft dargelegt, dass er keine Kenntnis zu dem eingeschränkten Umfang der Versicherung hatte. Grob fahrlässige Unkenntnis war ihm ebenfalls nicht vorzuwerfen. Vielmehr durfte der Versicherungsnehmer einen Versicherungsschutz erwarten, der mit seinem bisherigen Schutz gleichwertig war.

Das Beratungsverschulden des Versicherungsvertreters war dem Versicherer zuzurechnen, sodass das LG Erfurt im Ergebnis von einer gesamtschuldnerischen Haftung des Versicherers und des Vertreters ausging.

Fazit

Das Urteil des LG Erfurt zeigt wieder einmal, wie schnell es zur Haftung des Versicherungsvertreters bei der Umdeckung einer Versicherung kommen kann und wie wichtig eine ordnungsgemäße Beratungsdokumentation ist, um eine etwaige Beweislastumkehr zu umgehen. Für weitere Informationen zur Haftung des Versicherungsvertreters: Die Haftung des Versicherungsvertreters).

Kolumne von Rechtsanwalt Jens Reichow Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht