Knappes Gut: Metalle für die Energiewende

09.09.2022

Julien Bouyssou, ESG Analyst bei BNP Paribas Asset Management / Foto: © BNP Paribas

„Die Energiewende wird das Angebot wichtiger Metalle deutlich verknappen.“

20-mal so viel Lithium, viermal so viel Dysprosium und Kobalt und fast dreimal so viel Tellur: Die Energiewende wird den Bedarf an wichtigen Metallen bis 2050 massiv ansteigen lassen. Wo Engpässe drohen, wie sich diese vermeiden lassen – und welche Rolle dabei der Ausbau der Sharing-Economy im Verkehrssektor spielen kann, erklärt Julien Bouyssou, ESG Analyst bei BNP Paribas Asset Management, im Interview.

finanzwelt: Herr Bouyssou, wir sind mit der Energiewende aktuell in einem massiven Umbau der Wirtschaft. Das verlangt auch eine erhebliche Menge an Rohstoffen. Welche Auswirkungen erwarten Sie auf den Märkten? Julien Bouyssou: Insbesondere bei einigen wichtigen Metallen ist mit einem erheblichen Anstieg der Nachfrage zu rechnen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der belgischen Universität KU Leuven geht davon aus, dass die Nachfrage nach Rohstoffen, die für die Energiewende besonders wichtig sind, bis 2050 weltweit um insgesamt 67 % ansteigen dürfte. Dies betrifft neben Nichteisen-Basismetallen Silizium, Lithium, Nickel, Kobalt und verschiedene Seltenerdmetalle. Dieser massive Mehrbedarf könnte zu einer deutlichen Verknappung des Angebots und wahrscheinlich auch zu Engpässen führen …

finanzwelt: … und damit auch zu steigenden Preisen? Bouyssou: Das wäre sicher die Folge! Einen Vorgeschmack erleben wir aktuell mit dem Ukrainekrieg. So ist beispielsweise der Preis für Nickel in der ersten Jahreshälfte auf ein Niveau gestiegen, das es zuletzt 2007 gab. Anfang März stieg der Preis für eine Tonne des Metalls kurzfristig sogar auf über 100.000 US-Dollar. Solche Preisverwerfungen könnten wir mit der Energiewende auf Märkten wie Europa in Zukunft noch stärker zu spüren bekommen. Besonders betroffen sind Metalle, die in Batterien verwendet werden, beispielsweise Nickel und Seltene Erden.

finanzwelt: Die Dekarbonisierung des Verkehrssektors ist sicher einer der wichtigen Treiber der Nachfrage. Welche anderen Bereiche spielen eine Rolle? Bouyssou: Die Verkehrswende hat mit Abstand sicher den größten Effekt. Allein die Herstellung von Elektroautos wird nach aktuellen Schätzungen bis 2050 zwischen 50 und 60 % des Nachfrageanstiegs auf den Metallmärkten ausmachen. Danach folgt der Ausbau von Stromnetzen und die Photovoltaik-Produktion mit 35 bis 45 %. Dabei werden 80 % der weltweiten Nachfrage auf die fünf Metalle Aluminium, Kupfer, Lithium, Nickel und Zink fallen. Aber auch mehrere Nebenprodukte von Nichtedelmetallen werden für die Energiewende eine Schlüsselproduktion einnehmen – Tellur, Iridium, Scandium, Gallium zum Beispiel.

finanzwelt: Sie haben bereits Materialengpässe angesprochen. Einer Studie zufolge dürfte der weltweite Bedarf für Lithium, das ja für die Batterie­produktion besonders wichtig ist, um Faktor 20 steigen. Inwiefern lässt sich dieser Bedarf decken? Bouyssou: Das ist sicher eine Herausforderung. Allein in Europa wird der Lithium­verbrauch bis 2050 schätzungsweise auf 600 bis 800 Kilotonnen ansteigen – das entspricht der 35-fachen Menge von heute. Selbst wenn wir unsere kompletten Kapazitäten im Bergbau ausnutzen, können wir mit eigenen Ressourcen bis 2030 maximal 55 % unseres Verbrauchs in Europa decken. Eine Frage ist jedoch, wie realistisch das ist, denn neue Bergbau­projekte stoßen oft auf Hindernisse. Und wir dürfen nicht vergessen: Auch die europäischen Raffinerie-Kapazitäten sind begrenzt. Beide Faktoren werden sicher zu Versorgungsproblemen führen – und im Extremfall sogar die Verbreitung kohlenstoffarmer Technologien ausbremsen.

finanzwelt: Welche Alternativen gibt es, um den Verbrauch zu senken? Bouyssou: Dazu werden verschiedene Lösungsansätze diskutiert. Ein Ansatz, der oft genannt wird, ist der Ausbau der Sharing-Economy im Verkehrssektor. Dazu gehören Angebote für den Individualverkehr wie Car-Sharing, aber auch Investitionen in öffentliche Verkehrsmittel und der Ausbau von Eisenbahnnetzen. Wenn nicht jedes Fahrzeug mit Verbrennungsmotor, das aktuell auf den Straßen unterwegs ist, mit einem kohlenstoffarmen Elektro- oder Wasserstofffahrzeug ersetzt wird, lassen sich erhebliche Mengen an Material sparen. Dazu brauchen wir aber entsprechende Alternativen im Verkehrssektor.

finanzwelt: Ein weiterer Ansatz ist der Ausbau von Recycling-Kapazitäten. Welche Potenziale gibt es hier? Bouyssou: Das ist durchaus eine Möglichkeit, die aber erst mittelfristig zum Tragen kommen dürfte. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass erst um 2040 ein größeres Volumen an recyclingfähigen Materialien zur Verfügung stehen dürfte. Bis zur Jahrhundertmitte könnte die sekundäre Versorgung aus Recyclingquellen dann bis zu 65 % der europäischen Nachfrage nach kritischen Metallen decken. Bei Lithium und Seltenen Erden könnte der Anteil sogar bei über 75 % liegen. Dies würde eine ausgedehntere Selbstversorgung ermöglichen.

finanzwelt: … gut für die Wirtschaft – und für die Umwelt? Bouyssou: Ja, und das ist es, was den Ausbau einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft so wichtig macht. Sie liefert uns Rohstoffe, die wir dringend brauchen und hilft, Elektroschrott zu vermeiden. Gleichzeitig verringert sie die ökologischen und sozialen Auswirkungen, die wir derzeit in Exportländer für diese Rohstoffe beobachte, etwa in Chile oder der Dominikanischen Republik – wo der Bergbau eine immense Belastung der Umwelt darstellt. Investitionen in Recyclinganlagen können die nachteiligen Folgen neuer Bergbaustandorte wesentlich begrenzen, ESG-Bedenken ausräumen und zu mehr Artenvielfalt beitragen; eine Win-win-Situation, von der langfristig alle profitieren.

finanzwelt: Danke für das Gespräch. (fw)