Ölmarkt vor der Konsolidierung
15.05.2020
Ritu Vohora, Investment Director im Aktienteam bei M&G Investments / Foto: © M&G Investments
Im Sog der Coronavirus-Pandemie schrumpft die globale Wirtschaftsleistung, Arbeitslosenzahlen explodieren und die Einkaufslust der Verbraucher sinkt. Besonders heftig traf die Krise den Öl- und Gassektor, wo überversorgte Märkte und kurzfristige Unterbrechungen der Nachfrage für Anspannung sorgten. Ritu Vohora, Investment Director im Aktienteam bei M&G Investments, beleuchtet die jüngsten Marktentwicklungen und erklärt, wie sie die Zukunft der Branche einschätzt:
„Mit einem Minus von mehr als 60 Prozent seit Jahresbeginn zeigte der Energiesektor im Vergleich zu allen anderen Anlageklassen die schlechteste Wertentwicklung: Brent-Rohöl, die internationale Benchmark, fiel von etwa 70 US-Dollar pro Barrel im Januar auf ein 18-Jahrestief unter 20 US-Dollar im Mai.
Durch umfassende Reiseverbote und eine weltweit massiv eingeschränkte Mobilität fiel der Ölverbrauch global um 30 Prozent. Die Internationale Energieagentur IAE schätzt, dass die Nachfrage im April 2020 um 29 Millionen Barrel pro Tag niedriger war als vor einem Jahr und damit auf das Niveau des Jahres 1995 gesunken ist.
Sensible Balance zwischen Angebot und Nachfrage
Der dramatische Bedarfsrückgang führte allerdings zunächst nicht zu einer Reduktion des Angebots. Im Gegenteil: Seit dem Beginn der Ölgewinnung durch Fracking stieg die Fördermenge stetig an und sorgt bereits seit geraumer Zeit für einen Angebotsüberhang. Die OPEC und ihre Verbündeten haben viele Versuche unternommen, die Produktion zu drosseln – aber ohne Erfolg. Der zum falschen Zeitpunkt geführte Krieg um Marktanteile zwischen Saudi-Arabien und Russland verschärfte das Überangebot weiter.
So entstand ein Ungleichgewicht und damit eine Notsituation bei der Lagerhaltung, weil die vorhandenen Kapazitäten an ihre Grenzen stießen. Am 20. April fielen die Rohölpreise für die Sorte West Texas Intermediate (WTI) in den USA zum ersten Mal in der Geschichte unter null, wobei der Preis für einen Lieferkontrakt zu einem bestimmten Termin im Mai auf negative 40 Dollar absackte. Die Produzenten bezahlten die Käufer also dafür, dass sie ihnen das Öl abnahmen, weil die Kosten für die Lagerung den wirtschaftlichen Wert überstiegen.
Die Industrie will jetzt verhindern, dass die Preise für Verträge im Juni erneut auf ein Niveau unter null sinken. Dafür wurden beispielsweise zusätzliche Bevorratungsmöglichkeiten geschaffen und weitere Maßnahmen ergriffen, wie etwa die Vereinbarung von Produktionskürzungen um rund zehn Prozent durch die OPEC-Mitglieder und ihre Verbündeten mit Wirkung vom Mai. Weil die Preise so stark gefallen sind, haben US-amerikanische Produzenten von Öl und Gas ihre Fördermengen zurückgefahren.
Vor welchen Herausfoderungen die Ölkonzerne stehen und wie die Zukunft aussehen könnte, lesen Sie auf Seite 2