Robo Recruiting: „Verkauf mir diesen Stift“ war gestern

09.03.2021

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Klassische Verkäufer-Tests im Bewerbungsverfahren für Vertriebler – ein Relikt der Vergangenheit? In China setzt Ping An, der wertvollste Versicherer der Welt nach Marktkapitalisierung, inzwischen auf Einstellungsgespräche mit einer Maschine! Der Nutzen der Technologie ist allerdings noch umstritten, die Schwächen sind teils skandalös, aber das Entwicklungspotenzial riesig. Über die „Münchner Connection“ könnte das „Robo Recruiting“ auch bei deutschen Versicherungsunternehmen eingeführt werden.

„Reine Zeitverschwendung“ seien Bewerbungsgespräche laut dem ehemaligen Google-Chef-Personaler Lazlo Bock. Warum? „Weil wir 99,4 Prozent der Zeit damit verbringen, zu versuchen unseren ersten Eindruck zu bestätigen.“ Und wie dieser erste Eindruck zustande kommt, hat nicht immer etwas mit der Leistung des Bewerbers zu tun: Persönliche Sympathie, ein aufreizendes Dekolleté, Vitamin B – aber der Vertriebskandidat könnte einem Beduinen in der Wüste kein Wasser verkaufen.

Sexistische Software

Bei Ping An hingegen müssen sich die Bewerber den Fragen einer künstlichen Intelligenz (KI) stellen. Dabei analysiert die Maschine Stimme, Wortwahl sowie Gestik der Aspiranten und vergleicht diese Daten mit den Qualitäten der erfolgreichsten Vertriebler des Unternehmens. So sollen nach objektiven Maßstäben die besten Versicherungsvermittler herausgefiltert werden – und das auch noch viel schneller und kosteneffizienter als im herkömmlichen Prozess. Mit Erfolg? Nach Einführung der Technologie stieg der Wert des Neugeschäfts pro Vermittler um 16,4 Prozent. Allerdings sanken die Zahlen wieder fast genauso stark in der ersten Hälfte von 2020.

Was bringt also das „Robo Recruiting“ tatsächlich? Ein Zusammenhang zwischen Geschäftsentwicklung und KI lässt sich nicht zwingend herstellen. Kritiker nennen stattdessen die generelle Marktlage in den Jahren als entscheidenden Grund. Sicher ist nur, dass maschinell basierte Personalentscheidungen zu entlarvenden Desastern führen können wie bei Amazon. Dort sollten Computer voll automatisch die Top-Tech-Genies aus den bergehohen Bewerberstapeln heraussuchen – basierend auf Daten von erfolgreichen Kandidaten aus rund zehn Jahren. Dummerweise hat die KI aus diesen Erfahrungswerten gelernt, das Attribut „weiblich“ als schlecht einzustufen. Folglich ist die Maschine zum Sexisten mutiert und hat Frauen bei der Bewertung diskriminiert.

Warum es Robo Recruiting bald auch in Deutschland geben könnte, lesen Sie auf Seite 2