Zaudern der Politik gefährdet Wohlstand der jüngeren Generationen

08.11.2022

Prof. Dr. Michael Heuser, Wissenschaftlicher Direktor der DIVA - © DIVA

Die gesetzliche Rente steht vor erheblichen Herausforderungen und die Menschen in Deutschland sind sich der misslichen Lage offensichtlich bewusst. Denn unsere empirischen Befragungen zeigen über die letzten Jahre hinweg einen starken Vertrauensschwund in die gesetzliche Rente. Unterschätzt die Politik die Reformbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger? Auch die Ampel-Regierung tut wie ihre Vorgänger nahezu nichts dafür, den drohenden Kollaps des Umlageverfahrens abzuwenden. Leidtragende werden am Ende die Kinder und Enkel der geburtenstarken Jahrgänge sein, die die Kosten überbordender Sozialleistungen tragen müssen.

Wissenschaft und Experten sind sich einig: Das Umlageverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung wird ohne einschneidende Anpassungen der wesentlichen Stellschrauben schon sehr bald nicht mehr funktionieren. Bereits heute klafft eine 100 Mrd. Euro-Lücke zwischen benötigten Rentenmitteln und Beitragseinnahmen. Der anstehende Renteneintritt der Babyboomer, eine steigende Lebenserwartung und die seit Jahrzehnten niedrige Geburtenrate öffnen diese Schere weiter; immer weniger Erwerbstätige müssen als Beitrags- und Steuerzahler für immer mehr Rentner als Leistungsempfänger aufkommen.

In der Bevölkerung gibt es für diese Entwicklung offensichtlich ein ausgeprägtes Bewusstsein, das durch die aktuellen geopolitischen Verwerfungen und Unsicherheiten noch verstärkt wird. Der Deutsche Altersvorsorge-Index DIVAX-AV, das vom DIVA halbjährlich veröffentlichte Stimmungsbarometer zur Altersvorsorge in Deutschland, sinkt seit zwei Jahren kontinuierlich. Selbst im ersten Corona-Jahr noch mit positivem Wert, drehte er im Herbst 2021 in den negativen Bereich und hat sich dort mittlerweile hartnäckig festgesetzt. Besonders negativ wird dabei die gesetzliche Rente bewertet – im Herbst 2022 haben 61 % der Befragten die Sorge, dass sich deren Versorgungsniveau weiter verschlechtern wird.

Politik setzt weiter auf überholte Rentenarithmetik

Schon die Vorgänger der Ampelkoalition haben es versäumt, Antworten auf die Frage der absehbaren Finanzierunglücken in den sozialen Sicherungssystemen, allen voran in der gesetzlichen Rentenversicherung, zu finden. Die aktuelle Regierung setzt diesen fatalen Kurs fort. Dies wiegt umso schwerer, als die demografiebedingten Grenzen des Umlageverfahrens von der Wissenschaft seit Jahrzehnten prognostiziert und an die Politik adressiert werden.

Geschehen ist das Gegenteil dessen, was notwendig wäre: Mit der abschlagsfreien Rente mit 63, der Mütterrente und dem Aussetzen des Demografiefaktors wurde der demografische Druck auf die zukünftige Ausgabenlast für gesetzliche Renten weiter erhöht. Die Ampel-Koalition hält an der überholten Formel fest, indem sie Beitragssatz, Renteneintrittsalter und Rentenniveau für die laufende Legislaturperiode festschreibt und damit die maßgeblichen Stellschrauben aus der Hand gibt. Den Ausgleich zwischen schrumpfenden Einnahmen und wachsenden Rentenzahlungen müssen deshalb schnell anwachsende Steuerzuschüsse richten. Experten warnen, dass ein „Weiter-wie-bisher“ dazu führen wird, dass in Zukunft bis zur Hälfte des Bundeshaushalts für die gesetzliche Rente beansprucht wird. Das führt geradewegs in den „steinernen Haushalt“ ohne Freiraum für jegliche dringend notwendige Zukunftsinvestitionen.

Lange setzten politische Entscheidungsträger ihre Hoffnungen und ihre Rentenberechnungen darauf, dass eine dauerhaft brummende Konjunktur, technologischer Fortschritt, die Zuwanderung junger Erwerbstätiger und die Erschließung von Erwerbstätigkeitspotentialen vor allem bei Frauen die Beiträge sprudeln lassen und Steuerzuschüsse alimentieren würden. Wie brüchig solche Hoffnungen sind, zeigen die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen.

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