"Der Staat kapituliert"

31.03.2021

Wolfgang Kubicki / Foto: © FDP

finanzwelt: Wie viel Gehorsam und wie viel kritisches Denken braucht unser Land jetzt? Führende Politiker haben die Bürger immer wieder zu Bescheidenheit und Disziplin ermahnt. Braucht eine Demokratie nicht selbstbewusste Bürger, die ihre Rechte und Freiheiten einfordern?

Kubicki: Das passiert ja immer häufiger. Es gibt bereits deutlich über 100 Entscheidungen von Obergerichten, die exekutive Maßnahmen aufgehoben haben. Was mich aber am meisten stört, ist, dass von den Bürgerinnen und Bürgern ein höchstes Maß an Disziplin abverlangt wird, die staatlichen Organe aber zugleich ihrer Pflicht in dieser besonderen Situation nicht einmal ansatzweise nachkommen. Die Menschen sollen in die „Osterruhe“ gehen und ihre Liebsten möglichst nicht treffen - und die Impfzentren machen in einigen Ländern Pause. Die Menschen sind im persönlichen und psychischen Ausnahmezustand, und der Staat zeigt seinerseits, dass sich die Pandemie an unser bürokratisches Gemeinwesen anpassen müsse. Das kann man niemandem mehr vernünftig erklären.

finanzwelt: Wie groß sehen Sie die Gefahr einer Radikalisierung unserer politischen Landschaft? Bei SPD, Grünen und Linken wird immer selbstverständlicher von Enteignung gesprochen. Vereinzelt fielen auch die Worte „Arbeitslager“ und „Erschießung“.

Kubicki: Mir bereitet schon Sorgen, dass die soziale Marktwirtschaft auf der linken Seite des politischen Spektrums plötzlich zur Wurzel allen Übels erklärt wird. Dabei haben gerade die Repräsentanten des Staates durch vielfältiges Versagen gezeigt, dass eine größere Staatsgläubigkeit uns sicher nicht besser durch die Krise bringt. Der Impfstoff wurde von Privaten innerhalb kürzester Zeit entwickelt. Der Staat kapituliert schon bei der Masken-, Impfstoff- und Testbeschaffung, also bei deutlich weniger komplexen Aufgaben. Der Ton, den Sie ansprechen, ist leider nicht nur auf der linken Seite grenzwertig, zum Teil undemokratisch. Insgesamt erleben wir, dass das Streben nach dem besseren Argument abgelöst wird vom Drang zur absoluten Selbstbehauptung. Wichtig ist, dass die eigene Gedankenclique hinter einem steht. Um Ausgleich geht es vielen gar nicht mehr. Auch wenn es die meisten nicht hören wollen: Genau das ist das Debattenverständnis, das Donald Trump an den Tag gelegt hat. Man stellt sich besseren Argumenten gegenüber dumm und hört nur noch das, was man hören will. Diesen Strudel müssen wir durchbrechen, sonst geben wir unsere demokratischen Grundsätze auf.

finanzwelt: Was muss jetzt geschehen, damit Grün-Rot-Rot im Bund – das Horrorszenario der großen Mehrheit unserer Leser – verhindert wird?

Kubicki: Das Einfachste wäre: keine dieser drei Parteien zu wählen. Mache ich auch nicht.

finanzwelt: Die FDP-Bundestagsfraktion hat auf Instagram die schöne Tradition, die „Good News der Woche“ zu posten. Worüber freuen Sie sich gerade?

Kubicki: Über die steigenden Temperaturen und die gleichzeitig steigenden Umfragewerte für die Freien Demokraten. Das kann beides so weitergehen. (sh)