Die geplante Unterbrechung der Stromversorgung – Was gilt im Falle eines sog. Brownouts?

09.12.2022

Tarek Abdelghany, Rechtsanwalt für Energiewirtschaftsrecht,  Salary Partner bei Mazars in Frankfurt / Foto: © Mazars

Seit einigen Wochen wird die Versorgungs- und Netzsicherheit nunmehr auch im Stromsektor diskutiert. Zwar ist der vollständige Ausfall der Netze (sog. Blackout) nach Einschätzung der Netzbetreiber und der Bundesregierung sehr unwahrscheinlich, das Szenario eines geplanten, manuellen Abschaltens von Netzlast (sog. Brownout) kann in manchen Regionen hingegen nicht mehr ausgeschlossen werden. Selbst wenn man die Gefahr von Versorgungsunterbrechungen generell als gering einschätzt, gehört es zu einer guten Vorsorge, den Fall einmal gründlich zu durchdenken. Während dies für Netzbetreiber zum normalen Geschäft gehört, stellen sich gerade für energieintensive Unternehmen in diesen Zeiten eine Reihe von Fragen.

Welche Notfallpläne gibt es?

Zunächst haben staatliche Stellen die Versorgungs- und Netzsicherheit im Energiebereich als ein Problem für sog. Kritische Infrastrukturen behandelt. So haben das Bundesinnenministerium, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) diverse Leitfäden veröffentlicht, die sich als eine Art Management-Anleitung für den Krisenfall verstehen. Konkrete, auf die energiewirtschaftliche Praxis zugeschnittene Handlungskonzepte lassen diese Leitfäden allerdings vermissen.

Wesentlich konkreter behandelt der vom Bundeswirtschaftsministerium veröffentlichte Risikovorsorgeplan die Stromversorgungskrise. Von der Einsicht getragen, dass Strom an Ländergrenzen nicht Halt macht, wird die Präventions- und Krisenplanung per EU-Verordnung zunächst in die Hände der europäischen Übertragungsnetzbetreiber gegeben. Diese definieren typische Auslöser für Stromversorgungskrisen, wie etwa den „Angriff auf kritische Infrastruktur“ und die „Knappheit der Energieträger Erdgas und Kohle“. Basierend auf den europäischen Krisenszenarien bestimmt wiederum die Bundesnetzagentur (BNetzA) als „verlängerter Arm“ der Bundesregierung auf nationaler Ebene die Verfahren und die Kommunikation mit den vier deutschen Übertragungsnetzbetreibern Amprion, TenneT, 50Hertz und TransnetBW.

Welche Verfahren der Netzbetreiber gibt es bei Versorgungsstörungen?

Kommt es zu Versorgungsstörungen, würden zunächst die Übertragungsnetzbetreiber im Rahmen ihrer Systemverantwortung Maßnahmen (z.B. Zuschalten von Kraftwerken) treffen. Stellt die Bundesregierung darüber hinaus den Krisenfall nach dem Energiesicherungsgesetz (EnSiG) fest, wäre die BNetzA als sog. Lastverteiler entscheidungsbefugt. Im Ernstfall, wenn das Repertoire der Netzbetreibermaßnahmen ausgeschöpft ist, würden Abschaltgruppen gebildet werden. Die Abschaltgruppen würden nacheinander, „rollierend“ leistungsreduziert bzw. vom Netz getrennt werden.

Derartige Maßnahmen erfordern enge Abstimmungen zwischen mehreren Netzbetreibern. Denn die meisten Stromverbraucher sind nicht unmittelbar an das Übertragungsnetz, sondern an das nachgelagerte örtliche Netz des Verteilernetzbetreibers angeschlossen. Daher erarbeiten die beteiligten vor- und nachgelagerten Netzbetreiber Konzepte für kritische Netzsituationen nach standardisierten Verfahren, die in einer technischen Norm namens „Zusammenarbeit der Netzbetreiber in der Kaskade“ festgelegt ist.

Nach welchen Kriterien würde im Notfall abgeschaltet werden?

Eine feste Abschaltreihenfolge gibt es nicht. Anders als im Gasbereich gibt es im Stromsektor kein Gesetz, das geschützte Kunden vom ersten Zugriff ausnimmt. Faktisch macht eine Lastverteilung aber eine Verteilungsentscheidungen erforderlich. Es müssen also im Notfall bestimmte Verbrauchergruppen prioritär berücksichtigt werden.

Eine Priorisierung bestimmter Stromverbraucher bei Abschaltungen im Notfall erfolgt dennoch nicht im rechtsfeien Raum. In einem von der Bundesregierung ausgerufenen Krisenfall (EnSiG-Fall) könnte die BNetzA zwar hoheitlich anordnen, dass ganze Versorgungsbereiche zeitlich und regional begrenzt von der Stromversorgung getrennt werden. Allerdings hat die BNetzA hier Vorgaben der Elektrizitätssicherungsverordnung (EltSV) zu beachten. Danach sind Abschaltungen nur zulässig, wenn mildere Maßnahmen (z.B. Leistungsverringerung) nicht ausreichen, um einen Netzzusammenbruch zu verhindern. Dabei darf die Deckung des Strombedarfs zur Erfüllung öffentlicher und anderer für die Bevölkerung lebenswichtiger Aufgaben nicht beeinträchtigt werden.

Es ist also davon auszugehen, dass z.B. Krankenhäuser und andere Einrichtungen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen (u.a. Polizei, Schulen, Feuerwehr, Wasserbetriebe), nur im äußersten Notfall vom Netz genommen würden. Daneben gibt es aber auch Grenzfälle, für die es schwer zu beurteilen ist, ob sie der Erfüllung öffentlicher und bzw. lebenswichtiger Aufgaben dienen. Was ist z.B. mit Betrieben, die Krankenhäuser mit hygienischer Wäsche versorgen und damit für die Funktionsfähigkeit der gesamten Einrichtung sorgen? Für derartige Grenzfälle hat sich in der Diskussion um die Gasmangellage der Begriff des „kritischen Dienstleisters“ etabliert. Kritische Dienstleister machen zu Recht darauf aufmerksam, dass auch sie einen lebenswichtigen Energiebedarf haben können. Das hat inzwischen auch die Bundesnetzagentur in einer Veröffentlichung aus dem September 2022 anerkannt.

Eine weitere Fallgruppe, die es gesondert zu betrachten gilt, ist die energieintensive Industrie. Industrieunternehmen erfüllen zwar in der Regel selbst keine öffentlichen Aufgaben. Dennoch können Abschaltungen wichtige Lieferketten, die für die Gesellschaft systemrelevant sind, stark beeinträchtigen. Insofern ließe sich auch hier ein lebenswichtiger Strombedarf im Einzelfall begründen.

Wie wird zwischen BNetzA, Netzbetreibern und Letztverbrauchern mit Blick auf eine mögliche Versorgungsunterbrechung kommuniziert?

Während im Gassektor eigens eine Online-Sicherheitsplattform als Kommunikationsplattform geschaffen wurde, über die Großverbraucher, BNetzA und Marktgebietsverantwortliche Informationen sammeln und austauschen, gibt es im Stromsektor aktuell keine vergleichbaren Kanäle.

Seitens der Übertragungsnetzbetreiber werden immerhin Analysen veröffentlicht, die von der Bundesregierung für den kommenden Winter in Auftrag gegeben wurden. In einer Veröffentlichung des Übertragungsnetzbetreibers Amprion wird zudem erläutert, „warum wir nicht mit einem Blackout rechnen“. Eine Plattform zum Austausch mit Stromverbrauchern ist aber nicht vorgesehen.

Demgegenüber haben gerade Unternehmen mit hohem Strombedarf viele Fragen: Wie steht es genau um das Abschaltkonzept, das der Anschlussnetzbetreiber mit dem Übertragungsnetzbetreiber nach dem Risikovorsorgeplan zu erarbeiten hat? Welche Abschaltgruppen werden im örtlichen Verteilernetz für die rollierende Abschaltung gebildet? Gibt es Möglichkeiten, Ausnahmen von der Abschaltung vorsorglich zu begründen?

In den meisten Fällen bleibt den Unternehmen nichts anderes übrig, als auf den Anschlussnetzbetreiber, zu dem oftmals eine längere Kundenbeziehung besteht, zuzugehen und schlicht nachzufragen.

Gastbeitrag von Tarek Abdelghany, Rechtsanwalt für Energiewirtschaftsrecht, Salary Partner bei der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Mazars in Frankfurt.