Inflation, Zinswende und ESG

24.02.2022

(v.l.n.r.) Dr. Martin Dalg, Alexander Dominicus und Dr. Frank Ulbricht

Die Teilnehmer im Einzelnen:

  • Dr. Martin Dilg, Managing Director, Head of Retail-/Wholesale Business, Central & Eastern Europe, AllianceBernstein (AB)
  • Alexander Dominicus, Portfoliomanager des MainFirst Top European Ideas Fund und des MainFirst Germany Fund, MainFirst Asset Management
  • Dr. Frank Ulbricht, Vorstandsvorsitzender der BfV Bank für Vermögen AG und Vorstand der BCA AG

Der Start in das neue Jahr verlief vergleichsweise turbulent an den internationalen Kapitalmärkten. Das erstaunt nicht, wenn man sich die Liste möglicher Unsicherheitsfaktoren zu Gemüte führt. Noch immer belastet die Corona-Pandemie die wirtschaftlichen Perspektiven und liegt wie Mehltau über den Volkswirtschaften. Damit verbundene Lieferengpässe und auch ein hohes Inflationsniveau gesellen sich hinzu. Die vergangenen Monate zeigten ferner, dass die Weltwirtschaft sich nicht einheitlich erholt. Europa und China hinken hinterher, wohingegen die US-Volkswirtschaft ihren Peak erreicht haben dürfte. Dort wird auch 2022 an der Zinsschraube gedreht werden. Geopolitische Risiken kommen global gesehen hinzu. Sektoral standen Tech-Fonds jüngst sehr unter Druck. Wie sind vor diesem Hintergrund die weiteren Perspektiven für die globale Konjunktur und die verschiedenen Anlageklassen? Und wie gehen Anbieter mit dem Megathema ESG um. Damit befasste sich eine finanzwelt-Expertenrunde Mitte Januar 2022.

finanzwelt: Meine Herren, auch zu Jahresbeginn 2022 beherrscht Corona unseren Alltag. Doch wie ist Ihre Erwartungshaltung für das laufende Kapitalmarktjahr? Alexander Dominicus» Die zentrale Botschaft lautet, dass die globale Weltwirtschaft sich auch 2022 weiter erholen wird und auf Kurs ist. Gleichwohl gibt es Faktoren (höhere Inflation, straffere Geldpolitik, Corona-Virus-Varianten aber auch geopolitische Spannungen), die die Anleger im laufenden Jahr durchaus in Atem halten dürften. Das alles gilt es in der Gesamtschau zu berücksichtigen, zumal die globalen Wachstumsprognosen für 2022 bereits nach unten angepasst wurden. Die Erholung schreitet voran, wird jedoch global gesehen uneinheitlich ausfallen. Aus den genannten Gründen könnte es am Kapitalmarkt volatiler als in 2021 zugehen, doch das birgt mitunter auch die Chance, dass man sich mit starken Produkten gut positionieren kann. Dr. Frank Ulbricht» Ich teile diese Einschätzung und erwarte zwar ein volatiles, aber dennoch chancenbehaftetes Kapitalmarktjahr. Hierbei wird das Thema Nachhaltigkeit bzw. ESG weiter an Fahrt zunehmen. Verstärkt werden Anleger ESG-Titel in ihre Portfolios aufnehmen. Infolgedessen erwarte ich eine Zunahme der angebotenen nachhaltigen Geldanlagen. Dies wird sich nicht nur bei Aktienfonds fortsetzen. Auch bei Mischfonds, Anleihenfonds und anderen Anlageklassen wird es mutmaßlich zahlreiche neue nachhaltige Anlagemöglichkeiten geben.

finanzwelt: Zentral ist die Geldpolitik. Sie war bis dato sehr locker. Was wird uns 2022 bringen? Dr. Martin Dilg» Die Fed wird recht rasch die Zinsen moderat anheben, aber die Geldpolitik in den Industrieländern wird generell akkommodierend bleiben. Wenn die Märkte dies erwarten, fallen die Reaktionen auch nicht so heftig aus. Schlecht sind immer Überraschungen, die nicht vorhergesehen wurden. In den Schwellenländern befinden sich die Zentralbanken in vielen Fällen bereits mitten im Straffungszyklus, und es werden noch weitere folgen.

finanzwelt: Herr Dilg, bleiben wir für einen Augenblick noch beim Thema Zinsen/Zinsanstieg. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Anleihemärkte. Wie sind hier die Chancen zu bewerten? Dr. Dilg» Schwellenländeranleihen in Lokalwährung weisen in den nächsten Monaten die schlechtesten Ertragserwartungen unter den festverzinslichen Sektoren auf, könnten aber später im Jahr 2022 eine gute Wahl sein, wenn der Emerging-Markets-Zinssteigerungszyklus größtenteils hinter uns liegt. US-Credit-Risk-Transfer-Papiere (CRTs) haben eine geringe Korrelation zu Staatsanleihen und profitieren häufig sogar von Inflation. Dank eines robusten US-Immobilienmarktes sehen die Fundamentaldaten für CRTs attraktiv aus. Für klassische Staatsanleihen aus den Industrieländern sind die Aussichten angesichts der beschriebenen Trends eher verhalten.

Weiter auf Seite 2