Kaufen, wenn die Kanonen donnern – alles ganz einfach?

19.04.2022

Heiko Löschen, Vermögensverwalter der GSP Asset management GmbH / Foto: © GSP

Börsenweisheiten erfreuen sich immer wieder großer Beliebtheit. Als am 24. Februar die Kriegshandlungen in der Ukraine begannen, stand der DAX bei rund 15.000 Punkten. Zwei Wochen später notierte er unterhalb der Marke von 13.000 Punkten. Aktuell befinden wir uns ungefähr in der Mitte dieser Kursschwankungen bei gut 14.000 Punkten. Während dieser ganzen Zeit donnern die Kanonen in der Ukraine und ein Ende ist leider noch nicht in Sicht. Wann ist denn nun der richtige Zeitpunkt für den Einstieg und warum könnte die Börsenweisheit den mutigen Anleger vielleicht erst auf den zweiten Blick zum Erfolg führen?

Ein Mandant hat kürzlich geerbt und verfügt seit ein paar Tagen über freie Liquidität in Höhe von 600.000 Euro. Die Frage lautet, wann steigen wir mit wieviel wo ein? Nach der Börsenregel ist es ganz leicht: die Kanonen donnern, also sofort komplett investieren. Oder? Wir gehen aufgrund der sich uns stellenden Herausforderungen anders an das Thema heran. Eine Reihe von Gründen halten uns aktuell davon ab, voll zu investieren:

1. Hürde – Dauer des Krieges und mögliche weitere Eskalationsstufen

Wir alle und auch die Börsianer hoffen auf ein schnelles Ende der kriegerischen Handlungen. Einerseits kann jedes Indiz hinsichtlich eines möglichen Kriegsendes die Kurse beflügeln, andererseits kann jede weitere Eskalationsstufe deutliche, erneute Kursverluste auslösen. Die Gefahr ist noch lange nicht gebannt!

2. Hürde – Inflation und Notenbanken

Die hohe Inflation wird uns erhalten bleiben und die Notenbanken stehen vor der großen Herausforderung, die Inflation irgendwie in den Griff zu bekommen und gleichermaßen die durch gestörte Lieferketten und Auswirkungen der Pandemie geschwächte wirtschaftliche Situation der Unternehmen und der Volkswirtschaften zu unterstützen. Zinserhöhungen sind unerlässlich; sind sie zu stark, so beeinflussen sie die konjunkturelle Entwicklung negativ.

Zum ersten Mal seit fünfzig Jahren steht in den USA die Notenbank vor der Herausforderung, die Zinsen anzuheben, parallel dazu die Versorgung der Wirtschaft mit Liquidität zurückzufahren und dem Wirtschaftskreislauf Liquidität zu entziehen. Dieses Manöver ist auch für hartgesottene Volkswirte ein sprichwörtlicher „Ritt auf der Rasierklinge“. Diese Situation hat grundsätzlich nichts mit der Entwicklung in der Ukraine zu tun, wird aber dadurch noch anspruchsvoller. Eine Rezession in Verbindung mit hohen Inflationsraten, eine sogenannte Stagflation, könnte ins Haus stehen. Diese stellt für alle Akteure raues Fahrwasser dar und würde neben Risiken auch Chancen für Anleger mit sich bringen.

3. Hürde – Pandemie

Die Pandemie ist noch nicht vorbei. In China sind viele Regionen humanitär und wirtschaftlich massiv betroffen. Sollten weitere Virus-Varianten auftauchen, sind auch in diesem Aspekt die Ampeln noch nicht auf grün. Lieferketten bleiben gestört und die globale Arbeitsteilung funktioniert nicht reibungslos.

Was bedeutet dies jetzt konkret für Gelder, die langfristig angelegt werden sollen?

Es ist nicht abzusehen, ob, wann und wie tief die Aktienkurse in den kommenden Wochen noch fallen können. Die möglichen negativen Einflussfaktoren sind bekannt. Hinzu kommen noch die traditionell für Aktenmärkte eher schwächeren Monate Mai bis September.

Die Drittel-Strategie

Das erste Drittel freier Gelder empfehle ich jetzt zu investieren. Mögliche Zielinvestitionen sind Unternehmen, die am Umbau unserer Energieinfrastruktur führend teilnehmen. Darüber hinaus sind Investitionen im pazifischen Raum aussichtsreich. Des Weiteren sollten nach wie vor markführende Unternehmen mit soliden Bilanzen gute Chancen bieten, neben dem Schutz vor Inflation auch stabile Erträge zu erwirtschaften. Eine gute Mischung zwischen soliden Substanzwerten und Themeninvestitionen in Zukunftsthemen runden das Startportfolio ab.

Sollten die Kurse um rund 10 % fallen, empfehle ich das zweite Drittel zu investieren. Die stark gebeutelten Branchen der Automobile und der Touristik sollten dann neben anderen Titeln das Portfolio auffüllen. Im Anschluss kann der Plan für das letzte Drittel entwickelt werden. Ich rechne für die kommenden Monate aufgrund der dargestellten Hürden mit Kursschwankungen. Mit den Mitteln der noch verbleibenden Liquidität können sich bietende Chancen zum Erwerb von Qualitätsaktien zu günstigen Preisen in Phasen der Marktunsicherheit ergriffen werden. Die Rendite liegt nach wie vor im Einkauf.

Sollte sich das skizzierte Bild grundsätzlich ändern, so müssen erneute Überlegungen angestellt und die Strategie adjustiert werden. Also: Butter bei die Fische!

Kolumne von Heiko Löschen, Vermögensverwalter, GSP asset management GmbH in Münster