Platzt bald die nächste Blase?

30.05.2013

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Wir haben uns an die Berichte von der Dauerrettung von diversen finanziellen Katastrophen so gewöhnt, wie eine frühere Generation an die beruhigenden Berichte von neuen „Frontbegradigungen“, die täglich aus dem Volksempfänger schallten. Die Welt fühlt sich weitgehend in Ordnung an. Möglicherweise ist das so, möglicherweise aber auch nicht.

In den USA schwillt möglicherweise eine enorme Blase, die dazu geeignet sein kann, bei ihrem Platzen die Finanzmärkte in eine neue Krise zu stürzen.

Zunächst: Was sind „Student Loans“? Das höhere Bildungssystem in den USA ist nicht, wie in Deutschland, für Studenten weitgehend kostenfrei. Im Gegenteil, Colleges und Universitäten sind vielfach als gewinnorientierte Unternehmen organisiert, Studenten zahlen erhebliche, seit Jahren steigende Studiengebühren für höhere Bildungsleistungen. Um Zugang zu Bildung zu ermöglichen, vergab man in den 50ern staatliche Studiendarlehen an qualifizierte Studenten. In den letzten Jahrzehnten wurden Studiendarlehen praktisch fast an jedermann vergeben, denn die Hürden sanken ständig und das finanzielle Begehren der Studieneinrichtungen stieg.

Student Loan Darlehen als Assetklasse. Staatliche (Federal) Student Loan Darlehen sind grundsätzlich nur für direkt bildungsbezogene Aufwendungen( z. B. Studien- und Kursgebühren, Bücher, Lernmittel, Unterkunft etc.) verwendbar. Private Student Loan Darlehen, vergeben von nicht-staatlichen Darlehensgebern, sind dagegen oftmals ohne Ausgabenbindung, auch für Konsumausgaben aller Art, verwendbar. In den USA besuchen derzeit jährlich rund 20 Mio. Amerikaner das College, davon beziehen ca. 12 Mio. Collegestudenten Student Loan Darlehen. 97 % aller neuen Konsumkredite in den USA von Februar 2013 sind Automobil-Finanzierungsdarlehen und Student Loan Darlehen. Student Loan Darlehen werden seit Jahren regelhaft als Asset Backed Securities verpackt und in diverser Form dem internationalen Anlegerpublikum verkauft. Es ist davon auszugehen, dass sie sich mittelbar in diversen Portfolien wiederfinden.

Beim kleinen Mann zuhause – die Realität vor Ort. 70 % aller US-Absolventen haben nach einer aktuellen Umfrage von Fidelity Investments Student Loan Schulden; aktuell berichtet das Wall Street Journal, dass der Durchschnitts-Schuldenbetrag für einen Schuldnermit Bachelor-Abschluss bei 30.000 US$ liegt. Und das ist nur der Durchschnitt, bei höherer Ausbildung ist der Wert oft ein Vielfaches. Der Wirtschafts-Nachrichtendienst Bloomberg berichtet dies aktuell am Beispiel von Luke Nichter, heute gut verdienender Professor für Geschichte an der texanischen A&M Universität, dessen Student Loan Schulden in Höhe von 125.000 US$ ihn von jeglicher Immobilienfinanzierung ausschließen. Professor Luke Nichter steht stellvertretend für eine ganze Generation hoch ausgebildeter Amerikaner unter 40 Jahren, die laut Federal Reserve Bank of New York rund 2/3 der Student Loan Darlehen schulden und sich daher keine Hoffnung auf ein Eigenheim machen können.

De facto werden aktuell Millionen von potenziellen 1 A-Käufern von einem derzeit sehr billigen Immobilienmarkt ausgeschlossen. Diese hochqualifizierten und damit eigentlich als Top-Zielgruppen einzuordnen den Amerikanerinnen und Amerikaner fallen als Käufer von in den USA traditionell durch Kredite finanzierten Großkäufen, wie z. B. Immobilien und Autos, weitgehend aus. Es ist kein Wunder, dass in der Alterskohorte von Prof. Nichter, die amerikanische Bevölkerung von unter 40 Jahren, der Immobilienbesitz laut Bloomberg im letzten Quartal 2012 um über 4,6 % gefallen ist – das ist der größte Absturz seit 1982.

Die Folge: ein Großteil der hoch ausgebildeten Absolventen in den USA geht mit erheblicher finanzieller Belastung ins Arbeitsleben. Die Joblandschaft ist seit Jahren rückläufig, zusätzlich führt Verteuerung des Faktors Arbeit durch Obamacare zu einem Schwund von Arbeitsplatz-Angeboten gerade bei KMUs. Man spricht in den USA derzeit von „Underemployment“, d. h. Arbeitsverhältnisse unter der Qualifikation des Stelleninhabers. Student Loan Darlehen sind in der Regel nicht abzuschütteln, nicht einmal im Zuge einer Privatinsolvenz. Der Schuldner ist für gewöhnlich ein Leben lang zur Abzahlung von Zins und Tilgung verdammt und scheidet daher vielfach als durchschnittlicher Konsument von Waren und Dienstleistungen und auch als Käufer im Immobilienmarkt aus. Die Folgen für die Inlandsnachfrage in den USA lassen sich unschwer nachvollziehen.

Finanzinstitutionen – die Darlehensgeber und Packager an der Wall Street. SLM Corp. (SLM), in den USA bekannt als Sallie Mae, hat allein 2012 für 3,3 Mrd. US$ neue private Student Loan Darlehen ausgereicht, eine Steigerung um 22 % zum Vorjahreszeitraum. Für dieses Jahr geht SLM von einer weiteren Steigerung von 21 %, bezogen auf 2012, auf insgesamt ca. 4 Mrd. US$. Die Aktie von SLM ist in den letzten 12 Monaten um fast das Doppelte des S&P 500 – Durchschnitts gestiegen.

Informierte Player scheinen dennoch kalte Füße zu bekommen: Wie das Wall Street Journal vom 25.4.2013 berichtet, hat Sallie Mae im April dieses Jahres eine Anleihen-Offerte von 225 Mio. US$ wegen mangelnder Nachfrage zum angebotenen Coupon zurückgezogen. Laut Wall Street Journal haben Sally Mae und andere Institutionen in diesem Jahr bereits durch Student Loan Darlehen abgesicherte Anleihen im Wert von 7,8 Mrd. US$ platziert – eine massive Steigerung zu den 5,7 Mrd. US$ im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Am 7.Mai 2013 meldet der Wirtschafts-Nachrichtendienst Bloomberg, dass das Federal Advisory Council, eine Gruppe von 12 Bankern, die das amerikanische Federal Reserve Board of Governors berät, warnt, dass das Anwachsen der Student Loan Schulden „Parallelen zur Immobilienkrise“ aufweist.

Das Damoklesschwert über der Blase? Das Damoklesschwert über der anschwellenden Blase der Student Loan Darlehen ist die hohe und auf Rekordniveau steigende Ausfallrate. Aufgrund der angespannten Arbeitsmarktsituation können manche Darlehensnehmer schlicht nicht zahlen. Laut aktueller Mitteilung des US-Department of Education konnten aktuell allein 13,4 % der Student Loan Darlehensnehmer in der Kohorte derjenigen, die in den ersten drei Jahren ihres Rückzahlungszeitraumes sind (gewöhnlich ab Jobeintritt bzw. Studienende gerechnet), ihre Verbindlichkeiten nicht vertragsgemäß bedienen. Ein Volumen von über 120 Mrd. US$ Student Loan Darlehen sind damit möglicherweise bereits „in default“.

Die magische Zahl von 1,3 Trillionen. Bereits im Juni 2010 haben Student Loan Darlehen mit 830 Mrd. US$ den Betrag der gesamten Kreditkartenschulden in den USA übertroffen. Oktober 2011 war nach USA Today bereits der Betrag von 1.000 Mrd. bzw. 1 Trillion US$ überschritten. Aktuell wird das Volumen aller Student Loan Darlehen auf ca. 1,3 Trillionen US$ (das sind 1.300 Milliarden) geschätzt. Diese Zahl ist aus einem Grunde bemerkenswert: Genauso groß war die Blase der Immobilienkredite in den USA, als sie mit einem Knall, der beinahe die Welt in den Abgrund riss, platzte. Geschichte wiederholt sich nicht, aber manchmal reimt sie sich dann doch.

Warum betreffen mich amerikanische Student Loan Darlehensblasen? Diese Frage stellten sich viele von uns noch im Frühjahr 2008 mit Blick auf den amerikanischen Immobilienmarkt. Die Welt war schön, die Renditen aus den Subprime-Produkten waren hoch, die Ratings ganz zauberhaft und alle Berufsjubler sangen das Lob dieser cleveren Anlageklasse, die aus radioaktivem Giftmüll per Wall-Street-Magie Gold machte. Bis zu dem Moment, als das alles plötzlich nicht mehr stimmte.

Die aktuelle Student Loan Blase scheint viele Subprime-Elemente aufzuweisen. Auch Ausleihungen an ungeeignete Studenten, bei denen mit einer Rückzahlung ähnlich nicht gerechnet werden kann wie bei den damaligen NINJA (No Income, No Jobs, No Assets) Immobilien-Darlehensnehmern. Student Loan Darlehen sollen in großem Maße als Finanzprodukte gepackagt und an diverse Finanzinstitutionen weltweit verkauft worden sein, wohl auch nach Deutschland. Dort schlummern sie dann als Aktiva in den Bilanzen. Sollten sie nach einem eventuellen Platzen einer Blase einmal ähnlich viel – oderwenig – wert sein wie berüchtigte Pakete aus Subprime-Immobiliendarlehen, so werden die Käufer massive Wertkorrekturen durchführen müssen, die dann voll auf die GuV und auf die Eigenkapitalquoten durchschlagen. Hören wir bald wieder das Wort „Bail Out“?

Überdenken Sie, ob das, was Ihr Kunde als Vermögenswert in seinem Anlageportfolio zu haben glaubt, nicht etwa doch nur die clever verpackten, dennoch eventuell uneinbringbaren Schulden fremder Leute sein könnten. An die Subprime-Immobilienkrise hat auch niemand glauben wollen, bevor sie mit voller Wucht die Schönredner davon fegte. Der Krug geht immer solange zum Brunnen, bis er bricht – das Geheimnis ist, ihn davor noch schnell an jemand anders zu verkaufen.

Wo schlummern diese Pakete? Das erfahren Sie in der nächsten Ausgabe.

(Christoph Sieciechowicz)

Student Loan Bubble - Printausgabe 03/2013

http://finanzwelt.de/wp-content/uploads/Student_Loan_Darlehensnehmer.pdf