BREXIT – und was nun?

10.01.2018

Dr. Edelfried Schneider / Foto: © Dr. Dienst & Partner GmbH & Co. KG

Die Folgen eines ungeordneten EU-Austritts für den Warenverkehr, d.h. für die Zollsysteme und deren Wiedereinführung, sind derzeit nicht absehbar.[4] Allenthalben wird mit einem deutlichen Rückgang des Handelsvolumens zwischen Großbritannien und Kontinentaleuropa gerechnet. Deutschland hat im Jahre 2016 Waren und Dienstleistungen in Höhe von 116 Mrd. EUR nach Großbritannien exportiert; der Import betrug 60 Mrd. EUR – also ungefähr ein Verhältnis von 2:1. Besonders betroffen wäre die Automobil- und Automotive-Industrie, die bei Exporten von 31 Mrd. EUR und Einfuhren von rd. 9 Mrd. EUR einen Überhang von 22 Mrd. EUR verzeichnet. Im Durchschnitt rechnet man mit einem 5%-igen Zoll auf deutsche Exporte auf die Insel; deutsche Automobile würden also entsprechend teurer werden mit einem unzweifelhaften Nachfragerückgang. Auch der Maschinenbau sowie die Chemie- und Pharma-Industrie wären nennenswert betroffen.

Das bisherige Exportvolumen steht in Deutschland für etwa 750.000 Arbeitsplätze;[5] mit einem spürbaren Rückgang ist also bei reduzierten Exporten zu rechnen.

Die Personen- und Niederlassungsfreiheit ist schon jetzt stark beeinträchtigt; nicht umsonst verlassen viele Arbeitnehmer die Insel, insbesondere in den hochwertigen Dienstleistungsbereichen. Auch die Zahl von Einbürgerungsanträgen britischer Bürger in Deutschland hat im Jahr 2016 gegenüber dem Vorjahr um 360,6% zugenommen.[6]

Nach einschlägiger Statistik leben 1,2 Mill. Briten in der EU[7], davon jeweils 0,3 Mio. in Spanien und Irland, der Rest in Frankreich, Deutschland und Italien. Kritischer ist hingegen die Zahl von 3 Mio. EU-Bürgern, die in Großbritannien leben, davon alleine 0,6 Mio. aus Polen, 0,4 Mio. aus Irland und 0,3 Mio. aus Deutschland. Auch die übrigen osteuropäischen EU-Länder zeigen bedeutende Kontingente.

Zur Aufrechterhaltung der britischen Wirtschaftskraft ist ein wesentliches Verbleiben der europäischen Arbeitskräfte in Großbritannien unerlässlich. Die notwendigen vertraglichen Voraussetzungen hierfür müssen alsbald geschaffen werden, wenn die britische Wirtschaft keinen Schaden nehmen will.

Umgekehrt sind die Risiken für die Entsendeländer aber auch sehr bedeutsam; man stelle sich nur vor, wie die Arbeitsmärkte in Osteuropa reagieren würden, wenn eine bedeutende Anzahl von EU-Bürgern Großbritannien in Richtung Heimat verlassen müsste.

Die Kapitalmarktunion, zuletzt von der EU mit großen Anstrengungen verfolgt[8], kann auch ohne Großbritannien umgesetzt werden, jedoch ist die Bedeutung des Börsenplatzes London für die Beschaffung von Eigen- und Fremdkapital zentraleuropäischer Unternehmen und Vorhaben erheblich beeinträchtigt. Der Finanzsektor beschäftigt in London etwa 400.000 Arbeitskräfte[9], während Frankfurt in diesem Sektor nur 75.000 Beschäftigte aufweist, Paris 145.000 und nun auch den Sitz der EBA (European Banking Authority) bekommt.

Das wesentliche Instrument des freien Kapitalverkehrs innerhalb der EU ist der sog. europäische Finanzpass.[10] Der Finanzpass ermöglicht es Finanzinstitutionen, also insbesondere Banken und Investmentfonds, welche ihren Hauptsitz oder eine Niederlassung in einem europäischen Mitgliedsstaat unterhalten, ihre Geschäfte und Dienstleistungen in der gesamten EU anzubieten. Nach einem BREXIT müssen britische Banken ohne finanzaufsichtsrechtlich überwachte Niederlassung in einem europäischen Mitgliedsstaat eine solche neu errichten und eine Betriebslizenz für Europa erwerben. Auch der von London ausgehende Handel mit Finanzprodukten wäre dramatisch erschwert, wenn Großbritannien die Kapitalverkehrsfreiheit nach europäischem Muster nicht mehr garantieren würde. Dennoch ist gerade bei Regulierungen im Finanzsektor ein erheblicher Wettbewerb zu befürchten. UK wird hier den Weg der Deregulierung gehen, was allerdings Probleme für die Geschäftsmodelle international tätiger Banken hervorrufen wird.

Zu erwarten ist ein verschärfter Steuerwettbewerb in allen Bereichen. Die Unternehmensbesteuerung liegt in UK bei rd. 20%, in Deutschland bei rd. 30%. Obwohl haushaltsmäßig keine besonderen Spielräume ersichtlich sind, hat der britische Finanzminister Osborne angekündigt, durch Steuersenkungen die Wirtschaft „super wettbewerbsfähig“ zu machen und einen der niedrigsten Unternehmenssteuersätze der entwickelten Welt anzubieten, etwa im Bereich von 15%.[11]

Die Frage ist, was insbesondere mittelständische, exportorientierte Unternehmen tun können, um in der jetzigen Situation keinen weiteren Schaden zu nehmen. Die individuellen Möglichkeiten sind in der Tat eingeschränkt; am wirksamsten ist ein guter und häufiger Kontakt zu den britischen Geschäftspartnern. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass durch ein Erstarken des Euros gegenüber dem Pfund währungsbedingt UK-Geschäft verloren geht. Die Errichtung eigener Vertriebsgesellschaften in UK sollte allerdings erwogen werden, weil insbesondere die Verbrauchernachfrage nach europäischen Produkten bleiben wird; schon jetzt wird über nennenswerte Vorratsaufstockung berichtet.[12] Überlegungen zur Eröffnung von Produktionsstandorten sollten derzeit eher zurückgestellt werden.

Die Einflussnahme auf die Verhandlungen über die Verbände und Handelskammern scheint derzeit völlig untergeordnet. Hier ist sicherlich mehr Aktivität notwendig.

Auch im Berufsstand werden die Folgen eines BREXIT nicht ausreichend diskutiert. Die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen ist nicht das große Problem; vielmehr muss der Berufsstand schauen, wie sich die Dinge auf die Mandantschaft auswirken.

Zu nennen sind diesbezüglich z.B. der Einfluss auf das Gesellschaftsrecht, auf die Unternehmensberichterstattung und materielle steuerrechtliche Auswirkungen.

Es gibt in Deutschland etwa 9.000 UK Limited Companies, z.B. auch als Komplementär von haftungsbeschränkten Kommanditgesellschaften, die mangels Firmensitz in der EU zur OHG mit persönlicher Vollhaftung mutieren würden.

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