Die Struktur- und Kulturentwicklung verzahnen

25.08.2025

Dr. Georg Kraus, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Kraus & Partner/ Foto: © Kraus & Partner

In der Struktur eines Unternehmens spiegelt sich auch dessen Kultur wider. Das berücksichtigen Manager beim Planen größerer Changevorhaben und Projekte zur Restrukturierung ihrer Organisation oft nicht ausreichend. Sie unterschätzen zudem, welch großen Einfluss die „softs facts“ auf solche „hard facts“ wie den Umsatz und Ertrag haben.

Unternehmen lassen sich mit Hilfe solcher „hard facts“ wie Branche, Mitarbeiterzahl, Umsatz und Ertrag beschreiben, doch nicht charakterisieren. Denn sie sagen wenig darüber aus, wie eine Firma „tickt“. Um dies zu ermitteln, benötigt man andere Informationen – zum Beispiel Infos darüber,

- von welchen Maximen sich die Mitarbeiter top-down bei ihrer Arbeit leiten lassen,

- wie sie Informationen aufnehmen und verarbeiten

- wie sie mit Veränderungen umgehen,

- wie konsequent sie Entscheidungen umsetzen,

- wie sie sich im Kundenkontakt verhalten

Oder kurz: Man muss die Kultur des Unternehmens kennen.

„Soft facts“ sind erfolgsentscheidender als oft gedacht

Das wissen die meisten Unternehmensführer. Trotzdem unterschätzen sie oft, welche Chancen, aber auch Risiken in den sogenannten „soft facts“ für das Erreichen der Ziele schlummern. So kann zum Beispiel eine hoch motivierte Mannschaft (scheinbar) Unmögliches erreichen. Eine Belegschaft hingegen, die innerlich gekündigt hat, führt mittelfristig auch wirtschaftlich gesunde Unternehmen in den Ruin.

Trotzdem wird in vielen Betrieben zumindest keine bewusste Kulturarbeit betrieben, denn viele Unternehmensführer befassen sich nur ungern mit den „soft facts“ – auch weil sich diese Erfolgsfaktoren schwieriger als der Umsatz mit Kennzahlen erfassen lassen. Zudem erachten sie aufgrund ihrer biographischen Prägung Kulturfragen nicht selten (unbewusst) als „SozialKlimbim“, der primär Zeit und Geld kostet.

Eine Ursache hierfür ist: In der öffentlichen Debatte wird das Thema Unternehmenskultur häufig auf das Hegen und Pflegen der Mitarbeiter reduziert. So berichten zum Beispiel Zeitschriften unter dem Stichwort „Unternehmenskultur“ meist ausführlich über Programme

- zum Fördern der Gesundheit und Work-Life-Balance der Mitarbeiter und

- zum Steigern der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Diversity.

Sie suggerieren damit: Die Unternehmen mit den aufwändigsten Programmen dieser Art haben die „beste“ Unternehmenskultur.

Dabei wird übersehen: In solchen Programmen spiegelt sich zwar auch die Kultur eines Unternehmens wider, letztlich geht es aber um grundlegendere Fragen. Zum Beispiel darum: Von welchen Normen und Werten lassen sich die Mitarbeiter und Führungskräfte bei ihrer Arbeit leiten? Und: Von welchen Einstellungen ist die Zusammenarbeit geprägt? Denken die Mitarbeiter eher „Was mein Kollege tut, geht mich nichts an“ oder handeln sie nach der Maxime: „Wir sind ein Team. Also müssen wir kooperieren und uns wechselseitig informieren“? Oder wie geht das Unternehmen mit neuen Herausforderungen um? Werden sie verdrängt oder aktiv bearbeitet?

Kulturveränderungen erfordern Zeit und Energie

Viele Unternehmensführer sind zudem zurecht der Überzeugung: Die Kultur eines Unternehmens lässt sich nur allmählich und mit einem hohen Energieaufwand verändern. Also verzichten sie im Alltag nicht selten ganz auf einen entsprechenden Versuch, weil es nach ihrer Auffassung stets „Wichtigeres“ beziehungsweise „Dringlicheres“ zu tun gibt – gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.

Diese Haltung ist verständlich. Denn ebenso wie es seine Zeit dauert, Rennpferde zu züchten, dauert es auch seine Zeit, aus behördenähnlich agierenden Unternehmen kundenorientierte Dienstleister zu machen. Drei bis fünf Jahre muss man hierfür bei größeren Organisationen schon einkalkulieren. Denn um einen solchen (mentalen) Turn-around bzw. Transformationsprozess zu vollziehen, genügt es nicht, die Strukturen zu verändern. Das Unternehmen muss auch neue Formen der Zusammenarbeit fördern. Zudem müssen die Mitarbeiter neue Denk- und Handlungsroutinen entwickeln. Das erfordert seine Zeit.

Trotzdem sollte der Versuch nicht unterbleiben, die Unternehmenskultur zu gestalten. Denn anders lassen sich viele unternehmerische Ziele - wie zum Beispiel

- der „Technologie-“ oder „Serviceführer“ oder

- das ertragsstärkste oder das am besten für das KI-Zeitalter gerüstete Unternehmen

in der Branche zu werden - nicht erreichen.

Am Ball bleiben und konsequent sein

Doch Vorsicht! Nicht selten scheitert der Versuch, die Kultur zu verändern. Eine häufige Ursache hierfür ist: Die Unternehmensführer formulieren zwar entsprechende Entwicklungsziele, doch kaum sind sie verkündet, wenden sie sich anderen Dingen zu. Und die Aufgabe, die für die Veränderung nötigen Entwicklungsmaßnahmen einzuleiten und umzusetzen? Diese delegieren sie beispielsweise an eine junge Führungskraft, die sich bewähren soll, oder eine Stabsabteilung.

Bei einem solchen Vorgehen kommt bei den Mitarbeitern die Botschaft an: Allzu wichtig scheint das Ganze unseren „Chefs“ nicht zu sein, sonst würden sie sich selbst darum kümmern. Fatal wird dieses Signal, wenn die Führungskräfte top-down zudem in der Folgezeit widersprüchliche Botschaften an die Mitarbeiter senden.

Das ist oft der Fall. Hierfür drei Beispiele:

1. Der Vorstand eines Unternehmens verkündet „Wir wollen die Nummer 1 in Sachen Kundenorientierung werden“; die Leistung der Bereiche wird aber weiterhin rein am Ertrag gemessen.

2. Ein Vertriebsleiter propagiert ein aktives Verkaufen. Er kontrolliert aber beispielsweise nicht, ob seine Mitarbeiter Angebote konsequent nachfassen.

3. Ein Bereichsleiter verkündet „Wir führen in jedem Quartal ein Mitarbeitergespräch, weil dies wichtig ist“. Doch wenn diese anstehen, verschiebt er sie regelmäßig oder lässt sie ausfallen.

Wenn Unternehmensführer einen kulturellen Wandel wünschen, müssen sie dies durch ihr Verhalten dokumentieren. Sie müssen ihren Mitarbeitern die neue Kultur vorleben. Hierfür ein Beispiel: Der Vorstand sagt „Wir wollen eine Vertrauenskultur entwickeln und künftig nicht mehr einen großen Teil unserer Arbeitszeit damit verschwenden, uns abzusichern“. Dann muss der Vorstand auch selbst zeigen, dass er bereit ist, Risiken einzugehen. Zudem darf er Mitarbeiter nicht an den Pranger stellen, wenn sie Fehler machen. Und er sollte durch symbolische Handlungen signalisieren: Fortan ist ein neues Verhalten gefragt.

Die richtigen Signale an die Mitarbeiter senden

Erneut ein Beispiel. Als der 2019 leider verstorbene ehemalige Vorstandsvorsitzende von VW Ferdinand Piëch vor vielen Jahren der Top-Manager im VW-Konzern wurde, schnappte er sich – so zumindest die Legende – einen Blaumann und stellte sich für einige Tage ans Fließband. Hierdurch signalisierte er den Mitarbeitern in der Produktion: Ich schätze eure Arbeit, und es ist mir wichtig zu erfahren, was euch antreibt und bewegt.

Um die Kultur eines Unternehmens oder Bereichs kennenzulernen, muss man sich nicht unbedingt ans Fließband stellen – auch wenn man den Wert solcher symbolischen Handlungen nicht unterschätzen sollte. Es gibt systematischere Vorgehensweisen. Hilfreich beim Ermitteln der Kultur einer Organisation ist es zum Beispiel, sich zu fragen:

- Wie werden die Mitarbeiter in dem Unternehmen/Bereich primär motiviert? Über das Gehalt, Provisionen, Anerkennung, Druck, Information, Partizipation?

- Wie und nach welchen Kriterien werden neue Mitarbeiter ausgewählt und befördert?

- Wie ist der Umgang der Mitarbeiter im Unternehmen/Bereich? Eher partnerschaftlich oder hierarchie-betont? Sprechen sich die Mitarbeiter zum Beispiel mit „du“ oder „Sie“ an? Wie „offen“ sind die Türen der Vorgesetzten?

- Wie flexibel und problemadäquat ist die Zusammenarbeit? Wie werden Projekte aufgesetzt? Welche Unterstützung erhalten sie? Wie konsequent werden Beschlüsse umgesetzt? Wie wird auf Zielabweichungen reagiert?

- Was wissen die Mitarbeiter über die Kunden und wie behandeln sie diese? Wie Bittsteller, Auftraggeber oder Partner?

- Was ist in dem Unternehmen/Bereich tabu? In welche Fettnäpfchen darf man keinesfalls treten?

Das Ziel all dieser Fragen ist es zu begreifen, wie das Unternehmen „tickt“. Denn nur so lässt sich erkennen, wo Veränderungen ansetzen sollten, damit die Entwicklungsziele und die unternehmerischen Ziele erreicht werden.

Drei Ebenen der Unternehmenskultur

Der US-amerikanische Organisationspsychologe Edgar Schein, einer der Väter der Organisationsberatung, unterscheidet drei Ebenen, auf denen sich eine Unternehmenskultur manifestiert.

- Sichtbare, aber interpretationsbedürftige Symbole: Ist die Architektur modern oder klassisch? Werden Großraum- oder Einzelbüros bevorzugt? Wie kleiden sich die Mitarbeiter? Wie ist der Umgangston? Wie ist das Gehaltsgefüge? Wie präsentiert sich das Unternehmen nach außen – in Stellenanzeigen, Broschüren, im Internet?

- Teilweise unsichtbare Normen: Gibt es schriftlich formulierte Unternehmensleitlinien? Werden diese im Alltag gelebt? Wie ist die Einstellung zu den Mitarbeitern? Werden sie eher zu wechselseitigem Verständnis oder Konkurrenzverhalten ermutigt? Haben sie eher große oder kleine Entscheidungsspielräume? Welche Geschichten über den Firmengründer oder die Führungskräfte kursieren im Unternehmen? Was wird dabei als besonders gut bzw. schlecht dargestellt?

- Unsichtbare, meist unbewusste Basisannahmen: Dies sind selbstverständliche Annahmen, die nicht mehr hinterfragt werden. Sind die Menschen grundsätzlich eher gut oder schlecht bzw. leistungsbereit oder faul? Welche Rolle spielt die Arbeit im Leben eines Menschen? Wie sollte der Umgang Mensch-Mensch sowie Mensch-Umwelt sein?

Alle diese Faktoren zu erfassen, ist zeitaufwändig – und zuweilen auch übertrieben. Trotzdem ist eine fundierte Kulturanalyse wichtig. Das zeigt sich unter anderem darin, wie häufig in Unternehmen zum Beispiel Projekte gestartet, neue Technogien eingeführt und/oder Umstrukturierungen vollzogen werden, ohne die erhofften Effekte zu erzielen. Eine häufige Ursache hierfür ist: In der Planungsphase wurde nicht ausreichend beachtet, dass sich in der Struktur eines Unternehmens ebenso wie in den firmeninternen Arbeitsbeziehungen und -prozessen dessen Kultur widerspiegelt. Deshalb setzen Struktur- und Verfahrensveränderungen, damit sie wirksam werden, meist auch eine Kulturveränderung voraus. Dasselbe gilt, wenn sich die strategischen Ziele ändern.

Den Change- und Transformationsprozess gezielt steuern

Deshalb sollten Unternehmensführer, bevor sie in ihrer Organisation größere Veränderungsprojekte initiieren, die auch eine neue Kultur erfordern, analysieren: Wie tickt das Unternehmen aktuell? Denn nur dann kann der ChangeProzess so gestaltet werden, dass er nicht nur auf dem Papier, sondern auch real gelingt.

Hinzu kommt: Zum Steuern eines Change-Prozesses benötigt man Parameter, aus denen sich ablesen lässt: Hat sich etwas verändert? Befinden wir uns noch auf dem richtigen Weg? Sonst ist bei Bedarf kein korrigierendes Eingreifen möglich. Deshalb führen Unternehmen bei größeren Change-Vorhaben oft nach der ersten Kulturanalyse im Ein-, Zwei-Jahres-Rhythmus (abgespeckte) Folgeanalysen durch – beispielsweise in Form von Mitarbeiter- und Kundenbefragungen.

Diese Analysen haben auch die Funktion, Veränderungen sichtbar zu machen. Denn gerade, weil Kulturveränderungen so lange dauern, haben die Beteiligten zuweilen das Gefühl: „Es bewegt sich nichts. Wir kommen nicht voran.“ Deshalb sollten auch kleine Fortschritte wahrgenommen, dokumentiert und gewürdigt werden, damit die Beteiligten nicht resignieren, sondern weiterhin mutig voranschreiten.

Gastbeitrag von Dr. Georg KrausInhaber der Unternehmensberatung Kraus & Partner, Bruchsal.