Finfluencer – echte Hilfe oder zusätzliches Risiko?
28.07.2025

Andreas Görler / Foto: © Pruschke & Kalm GmbH
Den deutschen Finanzmarkt als heterogen zu bezeichnen, wäre fast schon eine Untertreibung: Rund 220.000 Finanzdienstleister sind hierzulande aktiv. Der größte Anteil entfällt auf Versicherungsvermittler, etwa 180.000 Anbieter, von denen rund 40.000 unabhängig agieren. Dazu kommen weitere 40.000 Finanzanlagevermittler, ergänzt durch Honorarberater, Vermögensverwalter sowie etwa 1.300 Banken – überwiegend Volksbanken und Sparkassen. Der Beratungsmarkt ist also groß, aber für viele Menschen schwer durchschaubar.
Gleichzeitig suchen immer mehr Ratsuchende Orientierung in sozialen Medien. Laut einer Umfrage der BaFin betrachten über 50 Prozent der 18- bis 45-Jährigen soziale Plattformen als glaubwürdige Informationsquelle für Finanzthemen – und folgen sogenannten Finfluencern. Doch wie verlässlich ist diese neue Form der „Beratung“?
Zwischen Bühne und Beratung
Anders als lizenzierte Berater brauchen Finfluencer keine Qualifikation, Zulassung oder Haftungspflicht. Wer über Geldanlagen spricht, muss keine Ausbildung vorweisen – solange keine individuelle Empfehlung erfolgt. Ob eine Person Fachwissen mitbringt oder lediglich Inhalte „nachspricht“, ist schwer zu erkennen. Impressum, Lebenslauf oder Zertifikate sucht man oft vergebens. Dabei ist gerade im Finanzbereich ein gewisses Maß an Qualifikation unerlässlich – nicht nur für korrekte Inhalte, sondern auch für den Schutz der Anleger vor überhöhten Risiken. Wer nie selbst beraten hat oder die Auswirkungen von Empfehlungen nicht kennt, läuft Gefahr, Inhalte stark zu vereinfachen – oder Risiken zu verharmlosen.
Warnzeichen früh erkennen
Viele Finfluencer geben Tipps mit großer Reichweite – ohne jede Regulierung. Besonders bedenklich wird es, wenn mit „sicheren“ Systemen oder zweistelligen Renditen in kurzer Zeit geworben wird. Auch der Fokus auf ein einzelnes Anlageprodukt – wie Kryptowährungen oder hochspekulative Derivate – ist ein Warnsignal. Verbraucherschützer wie die Stiftung Warentest, die Verbraucherzentralen oder die BaFin bieten Warnlisten und Aufklärung. Empfehlenswert ist auch ein kritischer Blick auf die Sprache: Wer permanent Gewinne verspricht, übertreibt oder einzelne Produkte glorifiziert, verfolgt meist eher Vertriebs- als Bildungsinteressen.
Reichweite schlägt Qualität?
Eine Studie des Swiss Finance Institute von 2023 kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Über die Hälfte der analysierten Finfluencer schnitt mit ihren Empfehlungen schlechter ab als der Markt. Dennoch hatten gerade diese die meisten Follower. Expertise allein scheint online nicht auszureichen – entscheidend ist oft die Inszenierung. Professionelle Finanzberater sind hingegen inhaltlich oft zurückhaltender. Wer haftet, vermeidet Aussagen zu Einzeltiteln oder verspricht keine Erträge. Dadurch wirken Videos oder Beiträge aus Fachkreisen häufig trockener und abstrakter – auch wenn sie inhaltlich belastbarer sind. In sozialen Medien wird diese Zurückhaltung schnell als Schwäche interpretiert.
Auf Eigeninitiative kommt es an
Es wäre falsch, Finfluencer pauschal zu verurteilen. Manche vermitteln durchaus Grundwissen verständlich und motivierend. Dennoch sollte man sich bewusst machen: Jeder kann Influencer werden – ohne Nachweis der Eignung. Gerade deshalb ist ein gewisses Maß an finanziellem Grundwissen nötig, um Inhalte einordnen zu können. Für Einsteiger gibt es günstige Literatur, Online-Kurse von Volkshochschulen oder unabhängige Beratungsangebote. Wer sich mit den Grundlagen von Aktien, Anleihen, Fonds oder Zertifikaten beschäftigt, kann Finfluencer-Content besser bewerten – und wird unabhängiger von Meinungen im Netz.
Fazit
Finfluencer sind Teil einer modernen Informationswelt – aber sie ersetzen keine qualifizierte Beratung. Wer finanzielle Entscheidungen trifft, sollte nicht der Reichweite vertrauen, sondern der inhaltlichen Substanz. Wer sich auf dem Finanzmarkt bewegt, braucht Orientierung. Und die beginnt nicht bei TikTok, sondern bei fundiertem Wissen.
Marktkommentar von Andreas Görler, sen. Wealth Manager, zert. Fachmann für nachhaltige Investments, Pruschke & Kalm GmbH – Wellinvest –, Berlin

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